Ist das noch Perversion oder schon Paraphilie
Perversion und Paraphilie â durch sie wird eine Niederlage aus der Kindheit in einen Triumph im Erwachsenenalter umgewandelt! Zitat Robert J. Stoller
Der Begriff der Persönlichkeitsstörung ist heute in aller Munde wird in vielen Forschungen und VortrĂ€gen immer wieder von allen Seiten neu betrachtet. Diese Entwicklungsstörung hinterlĂ€sst tiefe Spuren in der Persönlichkeit eines Menschen, da ein junger Mensch wĂ€hrend seiner kindlichen Entwicklungsphase im âReifenâ stark gestört wird und sich damit als Erwachsener zu einer gestörten Persönlichkeit entwickelt. Die Auswirkung davon sehen wir dann in einem völlig widersprĂŒchlichen und unreifen Verhalten, dass oft ins Extreme der SexualitĂ€t abdriftet.
SexualitĂ€t gehört einfach zum Leben und einem Miteinander dazu. Und darum ist es bemerkenswert, dass Borderline zwar einerseits von allen Seiten betrachtet und durchleuchtet wird â der Zusammenhang zwischen Borderline und SexualitĂ€t jedoch â auĂer durch Otto Kernberg â nur in verschwindend wenigen Studien untersucht wird.
Es wird praktisch ĂŒber alles geschrieben, was mit Borderline in Verbindung steht:
SexualitĂ€t jedoch wird in dieser ganzen AufzĂ€hlung der BorderlineâSymptome lediglich versteckt erwĂ€hnt. Wir finden sie zum Beispiel bei der erhöhten ImpulsivitĂ€t. Es wird sogar ausdrĂŒcklich hervorgehoben und betont, dass in diesem Bereich das Thema âSexuelle Funktionsstörungenâ ausgesprochen selten zu beobachten ist. DafĂŒr ist eher das persönliche Erleben der SexualitĂ€t stark beeintrĂ€chtigt, was wir durch ein heftiges Idealisieren oder Entwerten beobachten können.
Darum steht auch in all den Studien ĂŒber Borderline und die SexualitĂ€t eher der Beziehungsaspekt und nicht die die Funktion der SexualitĂ€t im Fokus. Auch wir wollen uns in diesem Beitrag weniger mit einer sexuellen Funktionsstörung befassen, sondern uns einmal mit dem Begriff einer BorderlineâParaphilie befassen.
Paraphilie kommt â wie so viele Ursprungswörter unserer Sprache aus dem Griechischen. Das Grundwort âParaâ bedeutet daneben und âPhiliaâ beschreibt eine freundschaftliche Liebe. Paraphilie ist somit eine krankhafte Liebe, die so extrem von der Norm abweicht, dass sie sogar im Vergleich zur Perversion eine weitere extreme Steigerung darstellt. Was das nun ist, werden wir gleich besprechen.
Zuerst aber einmal einen Blick auf den Begriff der Perversion ⊠Er kommt diesmal aus dem lateinischen Wortschatz. Perversusâ bedeutet: verdreht oder verkehrt und bezeichnet damit eine krankhafte Empfindung oder ein krankhaft unnormales Verhalten. Wenn wir von Perversion sprechen und diesen von der Paraphilie abgrenzen wollen, dann liegt der Hauptunterschied darin, dass mit Perversion eine neurotische Persönlichkeitsstruktur beschrieben wird, in der die Libido (Die lusthafte Liebe) immer noch eine wichtige Rolle spielt, VerdrĂ€ngung als Abwehrmechanismus jedoch im Vordergrund steht und Spaltung, Objektidentifizierung und eine RealitĂ€tsleugnung im Sexuellen wirksam wird.
Ganz anders die Paraphilie: Hier wird nicht verdrĂ€ngt, sondern eher intensiv gespalten und verleugnet, was wiederum eindeutig Teil einer BorderlineâPersönlichkeitsstruktur ist!
Ich möchte anhand von ein paar Fallbeispielen aus der Literatur von Otto Kernberg und anderen zeigen, dass es wichtig ist, die SexualitÀt des Borderliners von Perversion und der Paraphilie abzugrenzen.
Wie bereits beschrieben: Perversion hat â trotz der neurotischen EinschrĂ€nkungen und Hemmungen â immer noch etwas mit Libido zu tun. Paraphilie ist das genau Gegenteil, wie wir noch sehen werden.
Die BorderlineâPersönlichkeitsstruktur ist etwas, was aus dem stabilen Rahmen herausfĂ€llt und sich immer wieder in Extremen wiederfindet. Eine der Extreme ist dann die Paraphilie â aber auch wirklich nur eine von mehreren. Ich denke hier dann auch an eine Geschlechts-IdentitĂ€tsstörung, an die VerstĂŒmmelung der eigenen Geschlechtsorgane und andere Störungen. Lass uns das einmal im nĂ€chsten unter Thema genauer untersuchen:
Wie bereits gesagt, gibt es nicht allzu viele Studien, welche einen Zusammenhang zwischen SexualitĂ€t und der BorderlineâPersönlichkeitsstörung betrachten. Es wird zwar einiges geschrieben, aber nur wenig geforscht. Der Grund dafĂŒr könnte sein, dass die anderen AuffĂ€lligkeiten wie z.B. die ImpulsivitĂ€t, die BindungsunfĂ€higkeit oder die heftige Wut eher im Vordergrund stehen als die sexuellen Symptome.
Ging es um das Herausfinden des WARUM Borderline entsteht, dann betrachtete man eher die Frauen in diesem Thema. Der Mann und seine möglichen sexuellen Traumatisierungen wurden bislang nur wenig erforscht. Mir persönlich ist auch keine wirklich aussagekrÀftige Studie zu diesem Thema bekannt.
Vielleicht sollte man aber mal eine Studie der Psychologie-Professorin Mary Zanarini von der McLean UniversitÀt in Belmont Massachusetts aus dem Jahre 2003 betrachten. Sie fand nÀmlich heraus, dass fast die HÀlfte der Borderline-MÀnner Schwierigkeiten in ihren sexuellen Beziehungen hatten, weil sich
Eine weitere traurige Erkenntnis der Studie war, dass fast die HĂ€lfte der untersuchten MĂ€nner in ihrer Kindheit sexuelle Missbrauch Erfahrungen erlitten. Ein Thema, was im weiteren Verlauf noch angesprochen wirdâŠ
Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Birger Dulz und die leider bereits 1994 verstorbene Dr. Angela Schneider, bezeichneten diese Handlungen als PolymorphâperverseâSexualitĂ€t. Polymorph benennt etwas, was in vielen Formen auftreten kann (âpoly = viel und âmorpheâ = Form). Ich finde, dass die Bezeichnung âPolymorph in diesem Zusammenhang gar nicht so schlecht gewĂ€hlt ist, denn sie beschreibt eine VerĂ€nderung eine Transformation der ursprĂŒnglichen Perversion.
Das sich das Verhalten einer Gesellschaft Ă€ndert, ist nichts Neues. Bereits Sigmund Freud hatte damals den âurâperversen Typusâ beschrieben, der zu seiner Zeit klassisch mit einem konstanten Handlungsmuster daherkam, wie zum Beispiel die Vorliebe fĂŒr gewisse KleidungsstĂŒcke / ich denke hier an den Schuhfetischisten⊠Auch heute gibt es neue Formen der sexuellen Perversion. Sie ist nun bei weitem instabiler und polymorpher noch vor 100 Jahren
Borderline tritt heute immer hĂ€ufiger in Verbindung mit einer anders gelebten SexualitĂ€t auf. Die tritt zwar nicht mit körperlichen Funktionsstörungen auf, geht aber deutlich oft tieferen GefĂŒhlen und intimen Situationen aus dem Weg.
Deutlich weniger IntimitĂ€t und NĂ€he, dafĂŒr aber mehr Abwehr â so könnte man die Formel bezeichnen!
Und weil der Borderline ja auch ein Mensch mit GefĂŒhlen ist, verspĂŒrt er nach dem vielen Weglaufen auch den Wunsch nach Geborgenheit und NĂ€he. Mit der Folge, dass er zwar unzĂ€hlige Sexualkontakte in seinem Leben hatte, aber nie eine wirkliche Beziehung hat aufbauen können.
Auch hier möchte ich mal wieder eine interessante Studie zu Wort kommen lassen, diesmal von den beiden Psychoanalytikerinnen Harriet Kimble Wrye und Judith K. Welles: In ihrem Buch ĂŒber die mĂŒtterliche erotische GegenĂŒbertragung haben Sie recht anschaulich gezeigt, warum in den Augen des Borderliners NĂ€he und IntimitĂ€t so gefĂ€hrlich wirken. Die GrĂŒnde die sie aufzĂ€hlen sind Störungen aus der frĂŒhen Kindheit, welche alte Fantasien und Impulse immer wieder neu aufleben lassen. In diesen angstvollen Momenten wird NĂ€he und IntimitĂ€t als Gefahr wahrgenommen und fast schon selbstzerstörerisch bekĂ€mpft.
Ist das alles mal wieder allein die Schuld der MĂŒtter? Nun, das lassen diese Forscher bewusst offen, aber sie zeigen ganz klar, das in der Erotik dieser spĂ€teren Erwachsenen, die mĂŒtterlich erotische Ăbertragung von zentraler Bedeutung ist!
Woran machen Sie das fest? Durch eine sehr genaue Studie zu Ăbertragung und GegenĂŒbertragung. Patienten ĂŒbertragen in der Therapie ihre körperlichen BedĂŒrfnisse wie ein Verschmelzen und beim Therapeuten kommt oft dann in der GegenĂŒbertragung das GefĂŒhl hoch, ihr GegenĂŒber wie ein kleines Kind zu schĂŒtzen, pflegen oder zu nĂ€hren.
Und genau jetzt ist es wichtig, dass der Therapeut in diesen Ăbertragungs- und GegenĂŒbertragungsthemen fest geschult ist, um sie zu erkennen und nicht blind auszuagieren â sich also nicht zum âHandlangerâ seines Patienten machen lĂ€sst. Ein wirklich spannendes Thema in der Psychotherapie!
Otto Kernberg ist meines Wissens derjenige, der sich wohl am intensivsten mit den Themen sexueller Störung, Perversion und der Paraphilie auseinandergesetzt hat. In seinem Werk: âWut und Hass â ĂŒber die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionenâ beschreibt er immer wieder diesen Zusammenhang. Interessanterweise hat er sechs verschiedene Ebenen beschrieben, die so typisch fĂŒr die Perversion im Bereich Borderline sind und ich hier einmal aufzĂ€hlen möchte
Der Begriff âParaphilieâ wurde erst im Jahr 2000 in den DSM 4 aufgenommen.
Der Grund hierfĂŒr war, dass die Bezeichnung âPerversionâ neu beurteilt werden musste! Unsere Welt befindet sich stĂ€ndig in einem Wandel â oft leider nicht zum Guten, sondern eher in die entgegengesetzte Richtung. Wenn schlechtes, wie Perversion noch schlechter wird, dann muss man zwangslĂ€ufig die Stufe eins von der Stufe zwei abgrenzen. Und dies geschah mit dem Begriff Paraphilie.
Paraphilie ist â salopp gesagt â Perversion 2.0âŠ
Das Neue in diesem Zusammenhang ist, dass es nicht mehr um eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen Mann und Frau geht.
Dass jetzt wichtigste Kriterium ist nun, dass jemand nicht mehr in der Lage ist, in seiner SexualitĂ€t, die Interessen seines Partners zu berĂŒcksichtigen.
Unter Paraphilie versteht man ein sexuell extrem bedĂŒrftiges und triebhaftes Verhalten. Dies alles immer in Verbindung mit sexuellen Fantasien, die sich entweder
Das ist jetzt mal ein klar anderer Ansatz als der ursprĂŒngliche Begriff âPerversâ. Denn am Anfang war âperversâ noch eine Bezeichnung fĂŒr âneurotischâ und hatte zumindest ein kleines MaĂ an Libido vorausgesetzt. Die zwei gröĂten Ănderungen in diesem Begriff sind also:
Platt ausgedrĂŒckt
Wir leben heute in sich immer stĂ€rker verĂ€ndernden Zeiten und deshalb muss man auch die Methodik einer Diagnose der verĂ€nderten RealitĂ€t anpassen. Viele Menschen â ich denke hier u.a. an Travestie â wechseln ihre eigene IdentitĂ€t immer flexibler und hĂ€ufiger â Ă€hnlich einer Rolle in einem TheaterstĂŒck. Sie haben einfach Freude und Lust daran, ihr Leben immer wieder in entgegengesetzten Bewusstheiten zu verwirklichen. Von diesem Punkt aus betrachtet, könnten wir Borderline auch als eine gesteigerte Reaktion auf den Alltag betrachten â Ă€hnlich wie es Sigmund Freud mit der Hysterie. Er entwickelte den Begriff der Histrionie, um den krankhaft neurotischen Verhaltensweisen in seiner Zeit einen Namen zu geben.
Wir mĂŒssen in diesem Thema (Perversion / Paraphilie) noch einem anderen Begriff etwas Raum geben: dem Sadomasochismus. Im DSM finden wir folgende Kriterien hierfĂŒr:
FĂŒr mindestens sechs Monate muss folgendes beobachtbar sein âŠ
Der psychiatrisch klassifizierte Sexual-Sadismus wird diagnostiziert, wenn jemand sein sexuelles BedĂŒrfnis mit jemanden auslebt, der damit absolut nicht einverstanden ist und diese Handlung zu einem deutlichen Leiden oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten fĂŒhrt.
Robert Stoller (1925 bis 1991) war ein amerikanischer Psychiater und Analytiker und sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwĂ€hnt bleiben. Er hat in seinem Buch âPerversion â die erotische Form von Hassâ genau dieses Thema durchleuchtet. Hierbei stellt er klar, dass das entscheidende Merkmal von Perversion der Hass ist. Durch Hass wird andere Menschen Schaden zugefĂŒgt, weil dies fĂŒr ihn dann ein Akt der Rache ist. Rache fĂŒr das, was er in seiner Kindheit erleben musste, als er sich nicht verteidigen konnte, wĂ€hrend er / sie drangsaliert wurde.
Erinnerst du dich noch an meinen einleitenden Gedanken? Perversion und Paraphilie sind die Umwandlung einer Niederlage in einen Triumpf. Zitat Robert Stoller: âDurch die Perversion wird die Wut in einen Sieg ĂŒber jene verwandelt, die ihn unglĂŒcklich machten, denn in der Perversion wird ein Trauma zum Triumpf.
Diese Machtspiele und die Lust am eigenen Schmerz und den des Anderen ist in unserer heutigen Gesellschaft keine Minderheit mehr. Quer durch unsere Gesellschaft wird dies praktiziert und scheint besonders die etwas Besserverdienenden anzusprechen.
In einem Bericht des Sternmagazins konnte man lesen, dass die meisten Mitglieder solcher Clubs
Interessant ist m.E. hierbei das nach einer Befragung und Erfahrungsberichten aus der Szene viermal so viele der BDSM-Fans eher den unterwĂŒrfig-devoten Part bevorzugen als den Dominanten. Wahrscheinlich dient gerade er als ein Ventil um mal die Verantwortung und den Druck des Lebens einfach loszulassen und endlich auch mal SchwĂ€che zeigen zu dĂŒrfen.
Etwas anderes ist m.E. auch wichtig â der Zusammenhang mit dem Thema Trauma: Auf Wikipedia wird eine Studie aus dem Jahr 2008 vorgestellt, die an ĂŒber 3000 Mitgliedern der BDSM-Szene durchgefĂŒhrt wurde. Ăber ein Drittel der Teilnehmenden (37,5 %) waren schon ein oder mehrmals Opfer von Diskriminierung, BelĂ€stigung oder Vorurteilen. Dies scheint die These des Druckablassens und den des Racheaktes von Robert Stoller zu unterstĂŒtzen.
Zuerst sollte klargestellt werden, dass die Störung nicht daran gemessen werden kann, wie stark der Fetisch oder wie ungewöhnlich ein Ritual oder ein Aussehen auf uns wirkt. Das alles sollte man immer im Vergleich zur allgemeinen Kultur oder Ethik der Gesellschaft sehen. Die Grenze ist eine ganz andere!
Die Grenze liegt da, wo jemand im erregten Zustand die Interessen seines GegenĂŒbers nicht mehr wahrnehmen oder berĂŒcksichtigen kann!
Dieses â ich kann mich nicht mehr in den Anderen hineinversetzen â dass ist genau die Urform einer Spaltung und zeigt die dramatische NĂ€he zur BorderlineâStruktur, wo ein Spielen mit verschiedenen Rollen nicht mehr möglich ist. Mit anderen Worten: Dies ist eine PartialobjektâĂbertragung, in der das GegenĂŒber mit all seinen Persönlichkeits-Schattierungen nicht mehr in ein Gesamtes integriert werden kann.
Ein Beispiel aus meinen persönlichen GesprĂ€chen: Eine Familie berichtet ihrer mit Borderline diagnostizierten erwachsenen Tochter kurz ĂŒber den Wunsch eines im Endstadium befindlichen todkranken Nachbarn, sich freiwillig zu suizidieren. Die Tochter konnte in diesem Moment die Wucht dieser Information nicht mehr ertragen und ist auf die schwarze Seite gekippt. Weitere ErklĂ€rungsversuche der Eltern mit guten Argumenten und Informationen, ĂŒber deren HilfseinsĂ€tze drangen dann nicht mehr durch. Ein klassischer Moment der Spaltung. Hier jedoch ohne gravierende Folgen⊠Spaltung und dieses sich nicht mehr in die Denke und die Grenzen des Anderen eindenken zu können, ist also ein sehr wichtiges Kriterium!
Und genau hier kann man eine klare Grenze zur klassischen Neurose ziehen: Die Neurose ist eine Angsterkrankung, die
Nun aber können wir immer mehr ein Verhalten in der Gesellschaft beobachten das völlig anders zu sein scheint: Keine VerdrĂ€ngung und keine Hemmung, dafĂŒr aber Spaltung und Agieren. Bei ihr steht die SexualitĂ€t â Ă€hnlich einem Ăberdruck-Ventil â ganz in den Diensten einer aggressiver Abwehr noch schĂ€dlicherer, oft tödlichen Handlungen. Lass uns etwas tiefer in dieses Thema eintauchenâŠ
Unsere Welt ist immer mehr im Wandel â ich kann diesen Satz nicht oft genug zitieren. Auf der einen Seite gibt es immer noch die Menschen, die Sigmund Freud damals mit dem Begriff âPerversionâ beschrieben hat, deren SexualitĂ€t oft eingeschrĂ€nkt und ihre Handlungen viel mit Hemmung und VerdrĂ€ngung zu tun hatten. Aber in neuerer Zeit gibt es immer mehr und auch sichtbarere Störungen, in denen Spaltung und Agieren ganz im Vordergrund stehen und die SexualitĂ€t funktionell gar nicht eingeschrĂ€nkt ist, aber â frei nach Robert Stoller â ganz im Dienst einer aggressiven Abwehr steht. Deshalb ist es auch richtig, dass man den alten Begriff âPerversionâ fĂŒr die neurotische Version und âParaphilieâ fĂŒr die aggressiv, agierende Version nimmt.
Wir finden in der Literatur einige Beispiele hierfĂŒr, die ich in einem anderen Beitrag einmal in Ruhe aufbringen möchte. Dies wĂŒrde den Rahmen fĂŒr diesen Vortrag deutlich sprengen. Ich lade aber jeden Interessenten dazu ein, sich nĂ€her mit Otto Kernberg und seinen Forschungen rund um Borderline und die Störungen der SexualitĂ€t auseinandersetzen. Meine Empfehlung: Kernberg âWut und Hass: Ăber die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionenâ
Mein Fokus ist eher der Ursprung, der heute immer stĂ€rker zu beobachten aggressiven Verhaltensweisen im sexuellen Thema. Darum möchte ich â nicht zuletzt auch wegen des fantastischen Werkes von Robert Stoller â den Blick auf folgendes Thema lenken:
In der interessanten Forschung (âGeschichte des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und allgemeine Psychopathologieâ) hatten die Forscher Figueroa, Silk und andere 1997 im Rahmen einer Studie folgendes ermittelt: Bei den untersuchten und behandelten Versuchsteilnehmern waren vier von fĂŒnf Personen â die zusĂ€tzlich mit Borderline diagnostiziert wurden â in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden, was dann zu einem deutlichen Anstieg der Symptome fĂŒhrte. Ein wichtiges Ergebnis aus dieser Studie war, dass der Missbrauch â ganz besonders wenn er von engsten Familienmitgliedern verursacht wurde â zu paranoiden Haltungen, Feindseligkeiten und Hass gefĂŒhrt hat.
Solche Studien zeigen immer wieder, dass ein persönlich erlebter Missbrauch in der Kindheit â egal ob ein einzelnes Gewalttrauma oder ein Entwicklungstrauma â oft dazu fĂŒhrt und auch nachweisbar dazu fĂŒhrt, dass man sich selbst spĂ€ter zu einem MissbrauchstĂ€ter entwickelt.
Denke immer an die Worte von Robert Stoller: Perversion, Wut und Hass dient vielen Erwachsenen dazu, ein Kindheitstrauma in einen Triumph ĂŒberfĂŒhren zu lassen.
Und dies belegen viele Studien, wie zum Beispiel eine aus dem Jahre 2003 von Daniel Salter und anderen âEntwicklung sexuell missbrĂ€uchlichen Verhaltens bei sexuell missbrauchten MĂ€nnernâ Hier wurden in einer 19 Jahre andauernden Forschung â also eine Longitudinale / LĂ€ngsschnitt-Studie â mehrere Hundert ehemalige mĂ€nnliche Sexual-Opfer beobachtet. Dabei ging es auch um die Frage:
Was könnte einen nun davon abhalten, solch einen Verhalten auszufĂŒhren?
In einer anderen sehr interessanten Studie des neuseelĂ€ndischen Forschers Ian Lambie aus dem Jahr 2002 (âResilienz in der Opfer-TĂ€ter-Spirale bei sexuellem Missbrauch von MĂ€nnernâ) wurden missbrauchte Jungen untereinander verglichen. Die Frage hierbei war nicht so sehr, warum so viele Missbrauchs-Opfer aus der Kindheit im Erwachsenenalter spĂ€ter TĂ€ter wurden â dazu gibt es ja schon die Forschungen von Robert Stoller â sondern vielmehr ging es um die Frage, was fĂŒr Faktoren es denn gibt, die jemanden davon abhalten (!!!) in eine Opfer-TĂ€ter-Spirale einzutreten. Dabei wurden groĂe Unterschiede zwischen spĂ€teren TĂ€tern und Resilienten festgestellt.
Vor allem erhielt die resiliente Gruppe im Vergleich zu den TĂ€tern
Dies alles zeigt, wie notwendig es ist, TĂ€ter und Opfer nicht ĂŒber einen Kamm zu scheren⊠Es ist immer eine Kombination aus vielen Faktoren, welche einen Menschen zu einem TĂ€ter machen oder ihn resilienter werden lassen. Eine tolle Studie!
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch ĂŒber Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer hĂ€ufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind.
Ich möchte aber nicht nur ĂŒber Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:
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Unsere Welt ist durchzogen von Wut und Aggression. Aber warum ist dem so? Robert Stoller (amerikanischer Psychoanalytiker) ist dieser Frage zeit seines Lebens nachgegangen. Seine Motto: wenn ich die Perversion verstehe, dann verstehe ich auch das âNormaleâ. Perversion ist das Verdrehen einer NormalitĂ€t in etwas Krankhaftes.
Was ist seine Kernaussage in diesem Buch? Zitat: âDurch Perversion wird die Wut in einen Sieg ĂŒber die Vergangenheit umgewandelt und ein Trauma in einen Triumph.â ErnĂŒchternd? Lies dich einmal in dieses wertvolle Buch ein. Und achte auch auf die Aussagen, warum â nach Stoller â in der Lust, in der Familie, in der Gesellschaft und in dem Erhalt der Menschheit eine Notwendigkeit der Perversion besteht.