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Borderline SexualitÀt

Pervers oder Paraphil? Borderline und die gestörte SexualitĂ€t

 â“Ist das noch Perversion oder schon Paraphilie ❓ 

Borderline und die gestörte SexualitĂ€tPerversion und Paraphilie – durch sie wird eine Niederlage aus der Kindheit in einen Triumph im Erwachsenenalter umgewandelt! Zitat Robert J. Stoller

Der Begriff der Persönlichkeitsstörung ist heute in aller Munde wird in vielen Forschungen und VortrĂ€gen immer wieder von allen Seiten neu betrachtet. Diese Entwicklungsstörung hinterlĂ€sst tiefe Spuren in der Persönlichkeit eines Menschen, da ein junger Mensch wĂ€hrend seiner kindlichen Entwicklungsphase im „Reifen“ stark gestört wird und sich damit als Erwachsener zu einer gestörten Persönlichkeit entwickelt. Die Auswirkung davon sehen wir dann in einem völlig widersprĂŒchlichen und unreifen Verhalten, dass oft ins Extreme der SexualitĂ€t abdriftet.

SexualitĂ€t gehört einfach zum Leben und einem Miteinander dazu. Und darum ist es bemerkenswert, dass Borderline zwar einerseits von allen Seiten betrachtet und durchleuchtet wird – der Zusammenhang zwischen Borderline und SexualitĂ€t jedoch – außer durch Otto Kernberg – nur in verschwindend wenigen Studien untersucht wird.

Es wird praktisch ĂŒber alles geschrieben, was mit Borderline in Verbindung steht:

  • Die Objektbeziehungen,
  • die ImpulsivitĂ€t,
  • die gestörte IdentitĂ€t
  • die Spaltung und VerdrĂ€ngung,
  • und nicht zuletzt der instabile Umgang mit der Lebens-RealitĂ€t.

SexualitĂ€t jedoch wird in dieser ganzen AufzĂ€hlung der Borderline–Symptome lediglich versteckt erwĂ€hnt. Wir finden sie zum Beispiel bei der erhöhten ImpulsivitĂ€t. Es wird sogar ausdrĂŒcklich hervorgehoben und betont, dass in diesem Bereich das Thema „Sexuelle Funktionsstörungen“ ausgesprochen selten zu beobachten ist. DafĂŒr ist eher das persönliche Erleben der SexualitĂ€t stark beeintrĂ€chtigt, was wir durch ein heftiges Idealisieren oder Entwerten beobachten können.

Darum steht auch in all den Studien ĂŒber Borderline und die SexualitĂ€t eher der Beziehungsaspekt und nicht die die Funktion der SexualitĂ€t im Fokus. Auch wir wollen uns in diesem Beitrag weniger mit einer sexuellen Funktionsstörung befassen, sondern uns einmal mit dem Begriff einer Borderline–Paraphilie befassen.

 đŸ‘‰Paraphilie und Perversion

Paraphilie kommt – wie so viele Ursprungswörter unserer Sprache aus dem Griechischen. Das Grundwort „Para“ bedeutet daneben und „Philia“ beschreibt eine freundschaftliche Liebe. Paraphilie ist somit eine krankhafte Liebe, die so extrem von der Norm abweicht, dass sie sogar im Vergleich zur Perversion eine weitere extreme Steigerung darstellt. Was das nun ist, werden wir gleich besprechen.

Zuerst aber einmal einen Blick auf den Begriff der Perversion 
 Er kommt diesmal aus dem lateinischen Wortschatz. Perversus“ bedeutet: verdreht oder verkehrt und bezeichnet damit eine krankhafte Empfindung oder ein krankhaft unnormales Verhalten. Wenn wir von Perversion sprechen und diesen von der Paraphilie abgrenzen wollen, dann liegt der Hauptunterschied darin, dass mit Perversion eine neurotische Persönlichkeitsstruktur beschrieben wird, in der die Libido (Die lusthafte Liebe) immer noch eine wichtige Rolle spielt, VerdrĂ€ngung als Abwehrmechanismus jedoch im Vordergrund steht und Spaltung, Objektidentifizierung und eine RealitĂ€tsleugnung im Sexuellen wirksam wird.

Ganz anders die Paraphilie: Hier wird nicht verdrĂ€ngt, sondern eher intensiv gespalten und verleugnet, was wiederum eindeutig Teil einer Borderline–Persönlichkeitsstruktur ist!

Ich möchte anhand von ein paar Fallbeispielen aus der Literatur von Otto Kernberg und anderen zeigen, dass es wichtig ist, die SexualitÀt des Borderliners von Perversion und der Paraphilie abzugrenzen.

Wie bereits beschrieben: Perversion hat – trotz der neurotischen EinschrĂ€nkungen und Hemmungen – immer noch etwas mit Libido zu tun. Paraphilie ist das genau Gegenteil, wie wir noch sehen werden.

Die Borderline–Persönlichkeitsstruktur ist etwas, was aus dem stabilen Rahmen herausfĂ€llt und sich immer wieder in Extremen wiederfindet. Eine der Extreme ist dann die Paraphilie – aber auch wirklich nur eine von mehreren. Ich denke hier dann auch an eine Geschlechts-IdentitĂ€tsstörung, an die VerstĂŒmmelung der eigenen Geschlechtsorgane und andere Störungen. Lass uns das einmal im nĂ€chsten unter Thema genauer untersuchen:

1. Sexuelle Symptome bei Borderline – Patienten.

Wie bereits gesagt, gibt es nicht allzu viele Studien, welche einen Zusammenhang zwischen SexualitĂ€t und der Borderline–Persönlichkeitsstörung betrachten. Es wird zwar einiges geschrieben, aber nur wenig geforscht. Der Grund dafĂŒr könnte sein, dass die anderen AuffĂ€lligkeiten wie z.B. die ImpulsivitĂ€t, die BindungsunfĂ€higkeit oder die heftige Wut eher im Vordergrund stehen als die sexuellen Symptome.

Ging es um das Herausfinden des WARUM Borderline entsteht, dann betrachtete man eher die Frauen in diesem Thema. Der Mann und seine möglichen sexuellen Traumatisierungen wurden bislang nur wenig erforscht. Mir persönlich ist auch keine wirklich aussagekrĂ€ftige Studie zu diesem Thema bekannt.

Vielleicht sollte man aber mal eine Studie der Psychologie-Professorin Mary Zanarini von der McLean UniversitÀt in Belmont Massachusetts aus dem Jahre 2003 betrachten. Sie fand nÀmlich heraus, dass fast die HÀlfte der Borderline-MÀnner Schwierigkeiten in ihren sexuellen Beziehungen hatten, weil sich

  • ihre Symptome entweder verstĂ€rkten (in Form von Selbstverletzungen oder suizidalen Handlungen)
  • oder sie hatten Bindungsangst, nicht zuletzt auch wegen ihrer stĂ€rker ausgeprĂ€gten Symptome.

Eine weitere traurige Erkenntnis der Studie war, dass fast die HĂ€lfte der untersuchten MĂ€nner in ihrer Kindheit sexuelle Missbrauch Erfahrungen erlitten. Ein Thema, was im weiteren Verlauf noch angesprochen wird
 

Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Birger Dulz und die leider bereits 1994 verstorbene Dr. Angela Schneider, bezeichneten diese Handlungen als Polymorph–perverse–SexualitĂ€t. Polymorph benennt etwas, was in vielen Formen auftreten kann („poly = viel und „morphe“ = Form). Ich finde, dass die Bezeichnung „Polymorph in diesem Zusammenhang gar nicht so schlecht gewĂ€hlt ist, denn sie beschreibt eine VerĂ€nderung eine Transformation der ursprĂŒnglichen Perversion.

Das sich das Verhalten einer Gesellschaft Ă€ndert, ist nichts Neues. Bereits Sigmund Freud hatte damals den „ur–perversen Typus“ beschrieben, der zu seiner Zeit klassisch mit einem konstanten Handlungsmuster daherkam, wie zum Beispiel die Vorliebe fĂŒr gewisse KleidungsstĂŒcke / ich denke hier an den Schuhfetischisten
 Auch heute gibt es neue Formen der sexuellen Perversion. Sie ist nun bei weitem instabiler und polymorpher noch vor 100 Jahren

  • Was aber hat das alles mit unserem Thema – SexualitĂ€t, Perversion und Paraphilie – zu tun?

Borderline tritt heute immer hĂ€ufiger in Verbindung mit einer anders gelebten SexualitĂ€t auf. Die tritt zwar nicht mit körperlichen Funktionsstörungen auf, geht aber deutlich oft tieferen GefĂŒhlen und intimen Situationen aus dem Weg.

👉 Deutlich weniger IntimitĂ€t und NĂ€he, dafĂŒr aber mehr Abwehr – so könnte man die Formel bezeichnen!

Und weil der Borderline ja auch ein Mensch mit GefĂŒhlen ist, verspĂŒrt er nach dem vielen Weglaufen auch den Wunsch nach Geborgenheit und NĂ€he. Mit der Folge, dass er zwar unzĂ€hlige Sexualkontakte in seinem Leben hatte, aber nie eine wirkliche Beziehung hat aufbauen können.

  • Was könnte der Grund dafĂŒr sein, dass Borderliner hĂ€ufig nur sehr unbefriedigende Beziehungen haben?

Auch hier möchte ich mal wieder eine interessante Studie zu Wort kommen lassen, diesmal von den beiden Psychoanalytikerinnen Harriet Kimble Wrye und Judith K. Welles: In ihrem Buch ĂŒber die mĂŒtterliche erotische GegenĂŒbertragung haben Sie recht anschaulich gezeigt, warum in den Augen des Borderliners NĂ€he und IntimitĂ€t so gefĂ€hrlich wirken. Die GrĂŒnde die sie aufzĂ€hlen sind Störungen aus der frĂŒhen Kindheit, welche alte Fantasien und Impulse immer wieder neu aufleben lassen. In diesen angstvollen Momenten wird NĂ€he und IntimitĂ€t als Gefahr wahrgenommen und fast schon selbstzerstörerisch bekĂ€mpft.

Ist das alles mal wieder allein die Schuld der MĂŒtter? Nun, das lassen diese Forscher bewusst offen, aber sie zeigen ganz klar, das in der Erotik dieser spĂ€teren Erwachsenen, die mĂŒtterlich erotische Übertragung von zentraler Bedeutung ist! 

Woran machen Sie das fest? Durch eine sehr genaue Studie zu Übertragung und GegenĂŒbertragung. Patienten ĂŒbertragen in der Therapie ihre körperlichen BedĂŒrfnisse wie ein Verschmelzen und beim Therapeuten kommt oft dann in der GegenĂŒbertragung das GefĂŒhl hoch, ihr GegenĂŒber wie ein kleines Kind zu schĂŒtzen, pflegen oder zu nĂ€hren. 

Und genau jetzt ist es wichtig, dass der Therapeut in diesen Übertragungs- und GegenĂŒbertragungsthemen fest geschult ist, um sie zu erkennen und nicht blind auszuagieren – sich also nicht zum „Handlanger“ seines Patienten machen lĂ€sst. Ein wirklich spannendes Thema in der Psychotherapie!

Die Abstufungen von neurotisch, ĂŒber pervers bis paraphil

Otto Kernberg ist meines Wissens derjenige, der sich wohl am intensivsten mit den Themen sexueller Störung, Perversion und der Paraphilie auseinandergesetzt hat. In seinem Werk: „Wut und Hass – ĂŒber die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionen“ beschreibt er immer wieder diesen Zusammenhang. Interessanterweise hat er sechs verschiedene Ebenen beschrieben, die so typisch fĂŒr die Perversion im Bereich Borderline sind und ich hier einmal aufzĂ€hlen möchte

  1. Die normal neurotische Ebene. Da gibt es immer wieder mal Anteile von Perversion. Sie werden aber nur ab und zu beim Liebesspiel verwendet
  2. Die neurotisch perverse Ebene. Hier werden schon regelmĂ€ĂŸig immer wieder perverse Themen eingesetzt.
  3. Die Borderline perverse Ebene. Perversion ist hier ein fester Teil der Umgangssprache.
  4. Die Borderline paraphile Ebene: das ist die Steigerung der Perversion, auf die wir gleich im nÀchsten Unterpunkt eingehen werden. Kurz gesagt: Perversion in sich immer wieder verÀndernden Fassungen.
  5. Die malign-narzisstische Ebene:
    Das Wort „malign“ bedeutet grundsĂ€tzlich erst mal „böse / schlecht“ und wird in der Medizin mit einer Krankheit in Verbindung gebracht. In unserem Falle sprechen wir dann von einem schweren sadomasochistischen Verhalten. Personen auf diesem Struktur-Niveau ignorieren komplett alle Regeln / Grenzen und sehen in ihrem GegenĂŒber nicht mehr einen Menschen, sondern nur noch irgendein Objekt, dass sie nach ihrem Willen benutzen und anschließend wegstoßen können.
  6. Die asexuelle Ebene
 Diese Borderline-Struktur ist völlig frei von sexuellen Motiven, jedoch angetrieben von einer tiefen Verletztheit und stĂ€ndigen RachegefĂŒhlen. In den Studien von Otto Kernberg wird immer wieder gezeigt, dass diese Personen in ihrer frĂŒhesten Kindheit praktisch gar keine liebevolle Pflege durch die Mutter erhalten haben! Und weil dem so war und ist es spĂ€ter auch nicht möglich, ihn durch irgendeine liebevolle erotische Partnerschaft zu besĂ€nftigen.

Teil 2: Paraphilie zerstört jede Beziehung

Der Begriff „Paraphilie“ wurde erst im Jahr 2000 in den DSM 4 aufgenommen.
Der Grund hierfĂŒr war, dass die Bezeichnung „Perversion“ neu beurteilt werden musste! Unsere Welt befindet sich stĂ€ndig in einem Wandel – oft leider nicht zum Guten, sondern eher in die entgegengesetzte Richtung. Wenn schlechtes, wie Perversion noch schlechter wird, dann muss man zwangslĂ€ufig die Stufe eins von der Stufe zwei abgrenzen. Und dies geschah mit dem Begriff Paraphilie.

Paraphilie ist – salopp gesagt – Perversion 2.0


Das Neue in diesem Zusammenhang ist, dass es nicht mehr um eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen Mann und Frau geht.

👉 Dass jetzt wichtigste Kriterium ist nun, dass jemand nicht mehr in der Lage ist, in seiner SexualitĂ€t, die Interessen seines Partners zu berĂŒcksichtigen.

Unter Paraphilie versteht man ein sexuell extrem bedĂŒrftiges und triebhaftes Verhalten. Dies alles immer in Verbindung mit sexuellen Fantasien, die sich entweder

  • auf Objekte,
  • ein sadomasochistisches Leiden,
  • das DemĂŒtigen von sich selbst oder dem GegenĂŒber
  • oder sexuelle Praktiken mit Personen, die damit nicht damit einverstanden sind oder sein können (ich denke hier an Kinder oder Behinderte)
    und das alles ĂŒber einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten.

Das ist jetzt mal ein klar anderer Ansatz als der ursprĂŒngliche Begriff „Pervers“. Denn am Anfang war „pervers“ noch eine Bezeichnung fĂŒr „neurotisch“ und hatte zumindest ein kleines Maß an Libido vorausgesetzt. Die zwei grĂ¶ĂŸten Änderungen in diesem Begriff sind also:

  • Die FĂ€higkeit bzw. die Nicht–FĂ€higkeit sich in den Anderen einzufĂŒhlen.
  • Das EinverstĂ€ndnis von beiden Seiten. Denn, solange jemand „etwas mit jemand anderes machen möchte, der dies genauso auch will – also seine Zustimmung zu der Handlung gibt – hat dies nicht mehr die Wertigkeit einer Krankheit!

Platt ausgedrĂŒckt

  • ist „der Perverse“ einfach nur anders und gehört zu einer individuellen Vielfalt
  • und „der Paraphile“ ist ein pathologisch Krankhafter, der sich ĂŒber die Grenzen und Normen seines GegenĂŒbers hinweg setzt.

Wir leben heute in sich immer stĂ€rker verĂ€ndernden Zeiten und deshalb muss man auch die Methodik einer Diagnose der verĂ€nderten RealitĂ€t anpassen. Viele Menschen – ich denke hier u.a. an Travestie – wechseln ihre eigene IdentitĂ€t immer flexibler und hĂ€ufiger – Ă€hnlich einer Rolle in einem TheaterstĂŒck. Sie haben einfach Freude und Lust daran, ihr Leben immer wieder in entgegengesetzten Bewusstheiten zu verwirklichen. Von diesem Punkt aus betrachtet, könnten wir Borderline auch als eine gesteigerte Reaktion auf den Alltag betrachten – Ă€hnlich wie es Sigmund Freud mit der Hysterie. Er entwickelte den Begriff der Histrionie, um den krankhaft neurotischen Verhaltensweisen in seiner Zeit einen Namen zu geben.

Teil 2.1 Ab wann ist die Störung krankhaft?

Wir mĂŒssen in diesem Thema (Perversion / Paraphilie) noch einem anderen Begriff etwas Raum geben: dem Sadomasochismus. Im DSM finden wir folgende Kriterien hierfĂŒr:

FĂŒr mindestens sechs Monate muss folgendes beobachtbar sein 


  • Immer wiederkehrende, intensiv sexuell erregende Fantasien
  • Sexuelle dranghaftes Verhalten, welches das reelle Leiden und / oder die Erniedrigung eines GegenĂŒbers mit beinhalten
  • Als zweites Kriterium gilt, wenn es beim GegenĂŒber durch das Ausleben dieses zwanghaften BedĂŒrfnisses zu einem deutlichen Leiden oder anderen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten fĂŒhrt.

Der psychiatrisch klassifizierte Sexual-Sadismus wird diagnostiziert, wenn jemand sein sexuelles BedĂŒrfnis mit jemanden auslebt, der damit absolut nicht einverstanden ist und diese Handlung zu einem deutlichen Leiden oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten fĂŒhrt.

Robert Stoller (1925 bis 1991) war ein amerikanischer Psychiater und Analytiker und sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwĂ€hnt bleiben. Er hat in seinem Buch „Perversion – die erotische Form von Hass“ genau dieses Thema durchleuchtet. Hierbei stellt er klar, dass das entscheidende Merkmal von Perversion der Hass ist. Durch Hass wird andere Menschen Schaden zugefĂŒgt, weil dies fĂŒr ihn dann ein Akt der Rache ist. Rache fĂŒr das, was er in seiner Kindheit erleben musste, als er sich nicht verteidigen konnte, wĂ€hrend er / sie drangsaliert wurde.

Erinnerst du dich noch an meinen einleitenden Gedanken? Perversion und Paraphilie sind die Umwandlung einer Niederlage in einen Triumpf. Zitat Robert Stoller: „Durch die Perversion wird die Wut in einen Sieg ĂŒber jene verwandelt, die ihn unglĂŒcklich machten, denn in der Perversion wird ein Trauma zum Triumpf.

Diese Machtspiele und die Lust am eigenen Schmerz und den des Anderen ist in unserer heutigen Gesellschaft keine Minderheit mehr. Quer durch unsere Gesellschaft wird dies praktiziert und scheint besonders die etwas Besserverdienenden anzusprechen.

In einem Bericht des Sternmagazins konnte man lesen, dass die meisten Mitglieder solcher Clubs

  • der oberen Mittelschicht angehören
  • ĂŒber eine gute Schulbildung verfĂŒgen
  • In der Gesellschaft gut integriert sind
  • und im „restlichen Leben“ in der Regel als stabil und zuverlĂ€ssig gelten.

Interessant ist m.E. hierbei das nach einer Befragung und Erfahrungsberichten aus der Szene viermal so viele der BDSM-Fans eher den unterwĂŒrfig-devoten Part bevorzugen als den Dominanten. Wahrscheinlich dient gerade er als ein Ventil um mal die Verantwortung und den Druck des Lebens einfach loszulassen und endlich auch mal SchwĂ€che zeigen zu dĂŒrfen.

👉 Etwas anderes ist m.E. auch wichtig – der Zusammenhang mit dem Thema TraumaAuf Wikipedia wird eine Studie aus dem Jahr 2008 vorgestellt, die an ĂŒber 3000 Mitgliedern der BDSM-Szene durchgefĂŒhrt wurde. Ăœber ein Drittel der Teilnehmenden (37,5 %) waren schon ein oder mehrmals Opfer von Diskriminierung, BelĂ€stigung oder Vorurteilen. Dies scheint die These des Druckablassens und den des Racheaktes von Robert Stoller zu unterstĂŒtzen.

  • Ab wann ist es denn eine Störung?

Zuerst sollte klargestellt werden, dass die Störung nicht daran gemessen werden kann, wie stark der Fetisch oder wie ungewöhnlich ein Ritual oder ein Aussehen auf uns wirkt. Das alles sollte man immer im Vergleich zur allgemeinen Kultur oder Ethik der Gesellschaft sehen. Die Grenze ist eine ganz andere!

Die Grenze liegt da, wo jemand im erregten Zustand die Interessen seines GegenĂŒbers nicht mehr wahrnehmen oder berĂŒcksichtigen kann!

Dieses – ich kann mich nicht mehr in den Anderen hineinversetzen – dass ist genau die Urform einer Spaltung und zeigt die dramatische NĂ€he zur Borderline–Struktur, wo ein Spielen mit verschiedenen Rollen nicht mehr möglich ist. Mit anderen Worten: Dies ist eine Partialobjekt–Übertragung, in der das GegenĂŒber mit all seinen Persönlichkeits-Schattierungen nicht mehr in ein Gesamtes integriert werden kann.

Ein Beispiel aus meinen persönlichen GesprĂ€chen: Eine Familie berichtet ihrer mit Borderline diagnostizierten erwachsenen Tochter kurz ĂŒber den Wunsch eines im Endstadium befindlichen todkranken Nachbarn, sich freiwillig zu suizidieren. Die Tochter konnte in diesem Moment die Wucht dieser Information nicht mehr ertragen und ist auf die schwarze Seite gekippt. Weitere ErklĂ€rungsversuche der Eltern mit guten Argumenten und Informationen, ĂŒber deren HilfseinsĂ€tze drangen dann nicht mehr durch. Ein klassischer Moment der Spaltung. Hier jedoch ohne gravierende Folgen
 Spaltung und dieses sich nicht mehr in die Denke und die Grenzen des Anderen eindenken zu können, ist also ein sehr wichtiges Kriterium!

Und genau hier kann man eine klare Grenze zur klassischen Neurose ziehen: Die Neurose ist eine Angsterkrankung, die

  • Zum einen mit einer großen evtl. auch falsch verstanden RĂŒcksicht fĂŒr den GegenĂŒber zu tun hat,
  • Zum Anderen hat sie viel mit Hemmung und VerdrĂ€ngung zu tun.

Nun aber können wir immer mehr ein Verhalten in der Gesellschaft beobachten das völlig anders zu sein scheint: Keine VerdrĂ€ngung und keine Hemmung, dafĂŒr aber Spaltung und Agieren. Bei ihr steht die SexualitĂ€t – Ă€hnlich einem Überdruck-Ventil – ganz in den Diensten einer aggressiver Abwehr noch schĂ€dlicherer, oft tödlichen Handlungen. Lass uns etwas tiefer in dieses Thema eintauchen


Teil 2.2. Der Unterschied zwischen Perversion und Paraphilie

Unsere Welt ist immer mehr im Wandel – ich kann diesen Satz nicht oft genug zitieren. Auf der einen Seite gibt es immer noch die Menschen, die Sigmund Freud damals mit dem Begriff „Perversion“ beschrieben hat, deren SexualitĂ€t oft eingeschrĂ€nkt und ihre Handlungen viel mit Hemmung und VerdrĂ€ngung zu tun hatten. Aber in neuerer Zeit gibt es immer mehr und auch sichtbarere Störungen, in denen Spaltung und Agieren ganz im Vordergrund stehen und die SexualitĂ€t funktionell gar nicht eingeschrĂ€nkt ist, aber – frei nach Robert Stoller – ganz im Dienst einer aggressiven Abwehr steht. Deshalb ist es auch richtig, dass man den alten Begriff „Perversion“ fĂŒr die neurotische Version und „Paraphilie“ fĂŒr die aggressiv, agierende Version nimmt.

Wir finden in der Literatur einige Beispiele hierfĂŒr, die ich in einem anderen Beitrag einmal in Ruhe aufbringen möchte. Dies wĂŒrde den Rahmen fĂŒr diesen Vortrag deutlich sprengen. Ich lade aber jeden Interessenten dazu ein, sich nĂ€her mit Otto Kernberg und seinen Forschungen rund um Borderline und die Störungen der SexualitĂ€t auseinandersetzen. Meine Empfehlung: Kernberg „Wut und Hass: Über die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionen“

Mein Fokus ist eher der Ursprung, der heute immer stĂ€rker zu beobachten aggressiven Verhaltensweisen im sexuellen Thema. Darum möchte ich – nicht zuletzt auch wegen des fantastischen Werkes von Robert Stoller – den Blick auf folgendes Thema lenken: 

Teil 2.3. Traumata und sexueller Missbrauch als Ursache fĂŒr spĂ€tere Paraphile Handlungen

In der interessanten Forschung („Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und allgemeine Psychopathologie“) hatten die Forscher Figueroa, Silk und andere 1997 im Rahmen einer Studie folgendes ermittelt: Bei den untersuchten und behandelten Versuchsteilnehmern waren vier von fĂŒnf Personen – die zusĂ€tzlich mit Borderline diagnostiziert wurden – in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden, was dann zu einem deutlichen Anstieg der Symptome fĂŒhrte. Ein wichtiges Ergebnis aus dieser Studie war, dass der Missbrauch – ganz besonders wenn er von engsten Familienmitgliedern verursacht wurde – zu paranoiden Haltungen, Feindseligkeiten und Hass gefĂŒhrt hat.

Solche Studien zeigen immer wieder, dass ein persönlich erlebter Missbrauch in der Kindheit – egal ob ein einzelnes Gewalttrauma oder ein Entwicklungstrauma – oft dazu fĂŒhrt und auch nachweisbar dazu fĂŒhrt, dass man sich selbst spĂ€ter zu einem MissbrauchstĂ€ter entwickelt.

Denke immer an die Worte von Robert Stoller: Perversion, Wut und Hass dient vielen Erwachsenen dazu, ein Kindheitstrauma in einen Triumph ĂŒberfĂŒhren zu lassen.

Und dies belegen viele Studien, wie zum Beispiel eine aus dem Jahre 2003 von Daniel Salter und anderen „Entwicklung sexuell missbrĂ€uchlichen Verhaltens bei sexuell missbrauchten MĂ€nnern“ Hier wurden in einer 19 Jahre andauernden Forschung – also eine Longitudinale / LĂ€ngsschnitt-Studie – mehrere Hundert ehemalige mĂ€nnliche Sexual-Opfer beobachtet. Dabei ging es auch um die Frage:

👉 Was könnte einen nun davon abhalten, solch einen Verhalten auszufĂŒhren?

Meine Buchempfehlung zu diesem Thema Robert Stoller Perversion Die erotische Form von Hass

Teil 2.4 Was fördert Resilienz?

In einer anderen sehr interessanten Studie des neuseelĂ€ndischen Forschers Ian Lambie aus dem Jahr 2002 („Resilienz in der Opfer-TĂ€ter-Spirale bei sexuellem Missbrauch von MĂ€nnern“) wurden missbrauchte Jungen untereinander verglichen. Die Frage hierbei war nicht so sehr, warum so viele Missbrauchs-Opfer aus der Kindheit im Erwachsenenalter spĂ€ter TĂ€ter wurden – dazu gibt es ja schon die Forschungen von Robert Stoller – sondern vielmehr ging es um die Frage, was fĂŒr Faktoren es denn gibt, die jemanden davon abhalten (!!!) in eine Opfer-TĂ€ter-Spirale einzutreten. Dabei wurden große Unterschiede zwischen spĂ€teren TĂ€tern und Resilienten festgestellt. 

Vor allem erhielt die resiliente Gruppe im Vergleich zu den TĂ€tern

  • mehr UnterstĂŒtzung durch die Familie!
  • Sie hatten mehr Freundschaften mit Gleichaltrigen,
  • Sie waren gebildeter
  • und hatten interessanterweise auch weniger Geschwister.
  • Sie erzĂ€hlten deutlich weniger ĂŒber sexuelle Fantasien und sexuelles Verlangen in Bezug auf kleine Kinder. 
  • Die resiliente Gruppe neigte eher dazu, die Auswirkungen ihres sexuellen Missbrauchs zu internalisieren, wĂ€hrend die Opfer-TĂ€ter-Gruppe eher externalisierende Effekte zeigte, zu denen auch körperlicher Missbrauch gegenĂŒber anderen gehörte. 
  • Die „spĂ€teren Resilienten“ gaben deutlich hĂ€ufiger an, von weniger als drei TĂ€tern misshandelt worden zu sein.

Dies alles zeigt, wie notwendig es ist, TĂ€ter und Opfer nicht ĂŒber einen Kamm zu scheren
 Es ist immer eine Kombination aus vielen Faktoren, welche einen Menschen zu einem TĂ€ter machen oder ihn resilienter werden lassen. Eine tolle Studie!

Borderline Diagnose? Lassen Sie uns miteinander ins GesprĂ€ch kommen. 

Marcus JĂ€hn Werde wieder stark durch CoachingEs sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch ĂŒber Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer hĂ€ufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind. 

  • Was ist das eigentlich, eine Persönlichkeitsstörung, ein Perfektionismus, ein Spaltung oder eine GegenĂŒbertragung?
  • Kann ich trotz Borderline oder Narzissmus eine stabile Partnerschaft aufbauen und damit ĂŒber Jahre hinweg leben? 
  • Ist eine Kommunikation mit einem Borderliner möglich? Wie hilft hier die U.M.W.E.G.-Methode©? 
  • Kann ich meine Bindungsangst oder Verlustangst irgendwann einmal kontrollieren?
  • Was kann ich tun, wenn ich mich gerade in einer Trennung befinde, oder kurz davor bin?


Ich möchte aber nicht nur ĂŒber Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:

  • Eine humorvoll und spielerisch – ja fast tĂ€nzerisch – eingesetzte Gewaltfreie Kommunikation in Kombination mit der von mir entwickelten 
  • U.M.W.E.G.-Methode© und nicht zuletzt die Transaktionsanalyse als Sprachkonzept können helfen, auch in schwierigen Situationen noch kĂŒhlen Kopf zu bewahren. 

Buchen Sie sich einfach auf meinem Online-Kalender ein Zeitfenster oder nutzen Sie mein klassisches Kontaktformular um mit mir in Verbindung zu treten. Ich freue mich auf Sie. Ihr Marcus

Marcus JĂ€hn Meine Buchempfehlung zu diesem Thema

Warum immer diese Wut?

Unsere Welt ist durchzogen von Wut und Aggression. Aber warum ist dem so? Robert Stoller (amerikanischer Psychoanalytiker) ist dieser Frage zeit seines Lebens nachgegangen. Seine Motto: wenn ich die Perversion verstehe, dann verstehe ich auch das “Normale”. Perversion ist das Verdrehen einer NormalitĂ€t in etwas Krankhaftes. 

Was ist seine Kernaussage in diesem Buch? Zitat: “Durch Perversion wird die Wut in einen Sieg ĂŒber die Vergangenheit umgewandelt und ein Trauma in einen Triumph.” ErnĂŒchternd? Lies dich einmal in dieses wertvolle Buch ein. Und achte auch auf die Aussagen, warum – nach Stoller – in der Lust, in der Familie, in der Gesellschaft und in dem Erhalt der Menschheit eine Notwendigkeit der Perversion besteht. 

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