Dieses Verhalten wird von den Leidenden oft auch selber als Sucht erlebt und darum auch als solche dann beschrieben.
Sehr häufig tritt das SVV (SVV = selbstverletzendes Verhaltend) in Verbindung mit Medikamenten– und Alkohol Missbrauch auf und ist eigentlich eher der Versuch, die eine Handlung durch eine andere zu ersetzen. Alles mit dem einen Ziel: die eigenen Spannungszustände zu umgehen. Selbstverletzendes Verhalten ist an sich eine Hilfs–Ich–Funktion wie ein Medikament oder eine Droge.
Selbst groß angelegte Studien an Borderline–Patientinnen, zeigen immer wieder einen Aspekt auf:
… und zwar, das selbstverletzendes Verhalten ganz bewusst und nicht reflexhaft von den Betroffenen eingesetzt wird.
Borderliner beschreiben ihr SVV-Verhalten häufig mit dem Begriff „Druckentlastung“. Häufig wird hier mit dem Vergleich eines Dampfkessels oder eines Ballons gearbeitet, welcher sich kurz vor dem „Platzen“ befindet. Wird die innere Anspannung zu stark, fängt der Betroffene an zu dissoziieren und das SVV-Verhalten nimmt seinen Lauf…
Als eine Dissoziation beschreiben wir eine gestörte Reaktion, welche häufig durch ein Trauma oder durch überstarken Stress ausgelöst wird. Die sichtbaren Symptome können dann Abgestumpftheit, Depersonalisation, Flashbacks oder aber auch Amnesie sein. Der Schmerz durch das SVV beendet dann die Dissoziation.
Und auch wenn es sich sehr schwierig für einen Außenstehendes anfühlt, das Folgende anzuerkennen, aber das Blut vermittelt dann ein Gefühl von Wärme und Lebendigkeit („Blut tut gut“ sagte einmal eine Patientin) Anschließend folgt dann ein Zustand von Befreiung und Erleichterung.
SVV wird nicht selten als Scheitern angesehen und provoziert impulsartig immer wieder eine Wiederholung dieser Handlung – wie eine Tic-Störung. Gelingt es den Betroffenen nicht, durch z.B. Alkohol, Medikamente, laute und aggressive Musik oder intensive Tagträumerei die voranschreitende Ich–Auflösung zu stoppen, können Sie in einen Zustand anaklitischer Depression geraten.
Anaklitisch – Das Wort kommt aus dem altgriechisch und bedeutet „sich anlehnen“ Diese sogenannte anaklitische Depression tritt z.B. auf, wenn ein Säugling alleingelassen wird, sich nicht anlehnen kann und er dann unter dem Verlust seiner Bezugsperson und damit unter „Liebesverlust“ leidet.
Die Betroffenen erzählen dann, wie sie in solchen Situationen von Alleinsein und Einsamkeit geradezu überwältigt werden von starken Empfindungen einer Dysphorie (die „aus dem Ruder“ gekommene Stimmungslage), einer inneren Leere und völliger Inhaltslosigkeit.
Um sich von diesem Zustande zu befreien, wird das SVV dann konsequent als Antidepressivum und Gefühlsregulator eingesetzt.
Selbstverletzendes Verhalten ist eine typische Auto-Aggressions-Handlung und dient häufig zu einer Selbstbestrafung. Man kann dies mit einem „Teil-Suizid“ vergleichen, in welchem einzelne Körperbereiche bestraft werden – ohne den kompletten Suizid begehen zu wollen.
Viele der Betroffenen fühlen eine innere Wut in sich hochsteigen,
Häufig beklagen Sie sich über ihr eigenes Schicksal und schimpfen auf diese „ungerechte Welt“, oft sogar teilweise auch nachvollziehbar. Diese sich im Inneren aufstauende Wut muss ja irgendwie raus …. Und womit ginge dies besser (Ironie) als z.B. durch selbstverletzendes Verhalten. Wut auf die Welt und Andere muss aber nicht immer in einer SVV enden. Sie kann sich auch durch Selbsthass und Selbstbeschuldigung gegen sich selbst zeigen.
Die typische Denkweise eines Borderliners ist von der Spaltung in Schwarz-Weiß in Nur-Gut und Nur-Böse gekennzeichnet. Darum ist ein Leben ohne Versagen und ohne Schuld für die armen Betroffenen praktisch nicht möglich. Es kommt zu Schuldgefühlen, Selbstverachtung und Selbsthass. Die Symptomhandlung – also das SVV – dient dann als zur Entlastung des eigenen überforderten Über–Ich´s.
In der Literatur ist diese Handlung seit Karl Menninger (siehe Teil 2) immer wieder als Suizid-Diagnose genommen worden:
Die Forscher sprechen hier dann von einem „teilweisen somatischen Suizid“ einer „lavierten Suizidhandlung“ (abgewandelte / veränderte), oder vom einem „unbewussten Suizidversuch in kleinen Schritten durch diese Selbstschädigung“.
Die Handlung kann man als einen typisch neurotischen Kompromiss verstehen:
Zusammengefasst könnte man dieses SVV tatsächlich als „Anti-Suizidales Verhalten“ bezeichnen.
Aber Vorsicht…. Selbst-Verletzungsimpulse einerseits, sind nicht automatisch Suizidimpulsen ist sicherlich falsch. Andererseits wäre es auch falsch zu behaupten, dass SVV und Suizidalität sich gegenseitig ausschließen würde.
Wir dürfen also niemals kategorisch sagen: „Er verletzt sich selbst, dann wird er sich auch nicht umbringen.“ Das ist ein klarer Fehler!!!
Forschungen zeigen nämlich: „es gibt tatsächlich eine Untergruppe von Betroffenen, die trotz des SVV-Verhaltens ernsthaft in die Suizidalität rutschen. Trotzdem alle Zahlen zeigen, dass diese Gruppe eher die Ausnahme als die Regel darstellt, so bleiben sie immer noch eine große Herausforderung für die Therapeuten da mit dem Gedanken an Suizid wirklich nicht zu spaßen ist. Darum ist es ein sehr „dünnes Brett“ einen Betroffenen als „SVV – Patienten“ zu diagnostizieren und danach anzunehmen, dass er sich schon nicht zu einer lebensgefährlichen Handlung hinreißen lassen wird.“
Ganz im Gegenteil:
In einer neueren Studie war selbstverletzendes Verhalten sogar ein besonders starkes (und kein untergeordnetes) Merkmal für einen vollendeten Suizid.
Selbstverletzendes Verhalten kann einem Menschen dabei helfen,
Dieses Motiv war bereits von Anfang an eines der meistgenannten in den Studien von Armando Favazza (1987) eines der meist genannten. Armando Favazza haben wir ja bereits in Teil 2 dieser kleinen Themenreihe angesprochen.
Er ist wohl der führende Forscher in dem Thema SVV bei Borderline und anderen Persönlichkeitsstörungen.
Das selbstverletzendes Verhalten ist ein – in den Augen des Leidenden – verlässliches Mittel, um im Sturm der Gedanken und Gefühle wieder etwas mehr Selbstkontrolle zu bekommen.
Patienten mit einer Borderline–Persönlichkeitsstörung und haben eine starke Neigung zur Dissoziation.
Dissoziation ist ein Fachbegriff der ein Auseinanderfallen von psychischen Funktionen beschreibt, die eigentlich immer zusammengehören.
Bei einer Dissoziation (F44) hat der Betroffene z.B.
Gerade diese Zustände einer inneren Leere, einer Störung des emotionalen Erlebens – einem inneren „Ich-fühle-mich-tot“ (Dysphorie)können sowohl als anaklitische Form der Depression, als auch als dissoziative Zustände bezeichnet werden.
Aus dieser inneren Leere heraus kann der Schmerz und das Blut dem Betroffenen die Gewissheit geben, trotz aller Probleme immer noch am Leben zu sein. Selbstverletzendes Verhalten ist allem Anschein nach, eines der stärksten Mittel, um solche eine Dissoziation effektiv zu beenden. „Das Schneiden an sich erscheint in seiner Wirkung wie eine Therapie um mit sich selber wieder in Verbundenheit zu kommen.“
Da sich dies für einen Außenstehendes so abstrus / chaotisch und unverständlich anhört, haben Ärzte damit begonnen Patienten jeweils direkt nach dem SVV zu befragen, welche Gefühle sie vor der Handlung hatten. Praktisch alle sprachen am Anfang von Gefühlen wie Ärger, Selbsthass oder der Angst die am Ende dann in einer großen Empfindungslosigkeit endeten.
Aufgrund dieser vielen übereinstimmenden Aussagen vermutet man, dass die meisten der Schnittverletzungen in einem depersonalisierten Zustand geschehen. Wir können wirklich sagen, dass Borderline, Dissoziation und SVV wie eine Einheit sich gegenseitig verstärkender Symptome auftreten.
Otto Kernberg (der geistige Vater der Übertragungsfokussierten Psychotherapie) schreibt hierzu: (frei zitiert) „Bei Patienten mit SVV, die sich von Spannungen durch selbst zugefügte Schmerzen zu entlasten versuchen, … beobachtet man manchmal sogar eine große Lust und einen noch größeren Stolz über diese Macht der Selbstzerstörung.“ Dieser offensichtlich narzisstische Gedanke hinter der SVV-Handlung wird von den Betroffenen oft bis tief in die Therapie hinein wie ein heiliger Gral behütet und beschützt.
Und genau das könnte auch der Grund dafür sein, dass über dieses Thema (SVV) in unserer heutigen Literatur – die sich ja überwiegend auf die Ergebnisse einer zeitlich begrenzten Borderline-Forschung konzentriert, nur herzlich wenig zu finden ist.
Aber warum wird dieses SVV so lange vom Betroffenen verheimlicht? Nun, ein Verlust dieser „Handlungsfreiheit“ käme fast einem Identitätsverlust gleich.
Es gab Zeiten, in denen es in den geschlossenen Psychotherapiestationen teilweise sogar eine Art von „Selbstverletzung-Wettbewerb“ gab, bei dem sich der eine Patient mit dem Anderen allein durch die Massivität und die Schwere des selbstverletzenden Verhaltens übertrumpfen wollte.
Ich spreche hier aber zum Glück tendenziell von der Vergangenheit denn diese narzisstische Handlung ist aktuelle klinisch eher rückläufig. Selbstverletzendes Verhalten ist unter Patientinnen nicht mehr allzu sehr „On vogue“, da es mittlerweile weit verbreitet und auch in der Bevölkerung gut bekannt ist. Heute ist selbstverletzendes Verhalten nichts Besonderes mehr und der Betroffene kann dadurch nicht mehr seine Identitätssuche begründen.
Wenn wir uns über den Nutzen von dem SVV unterhalten, dann müssen wir stets unterscheiden, welche Wirkungen die Handlungen einerseits automatisch nach sich zieht und welche Wirkungen vom Patienten ganz bewusst beabsichtigt sind.
Diese SVV-Handlung hat einen sehr intensiven Appellcharakter. Man kann dies wirklich als einen lauten stummen Schrei nach Hilfe verstehen.
Dieser „Schrei nach Hilfe“ wirkt
Der Hintergrund ist dass es meistens aus Situationen und Konflikten herrührt
Und hier liegt dann auch der Grund eines häufig zu beobachtendem Missverständnis:
Diese Handlung – das SVV – hat eine dermaßen intensive zwischenmenschlich schockierende Wirkung, die aber so von den Betroffenen gar nicht gewollt ist. Sie möchten ihre Umwelt – in der Regel – gar nicht damit schocken. Es ist einfach ihre „unaussprechliche Sprache“
Das Problem, welches hierdurch aber entsteht ist folgendes: So manche Anfänger in der Psychotherapie kommen durch die Gegenübertragungsdiagnostik schnell zu dem fehlerhaften Schluss: „Dieser Patient ärgert mich… also will er mich auch ärgern.“ Solche Unterstellungen bringen einen aber auf keinem Fall weiter, sondern sie dienen eher der Schuldzuweisung als dem Verständnis.
Und wegen dieser Gegenübertragungsproblematik (der will mich doch nur ärgern) kommen auch Paare, Familienmitglieder und auch engere Freunde sehr schnell an Ihre Grenzen.
Schaue dir hierzu, zum Thema der Gegenübertragung, einmal folgenden Beitrag in aller Ruhe an:
Umgang mit einem Borderliner – Die Gegenübertragung….
Patienten mit einem selbstverletzendem Verhalten „kommunizieren“ oft widersprüchliche Signale, die sich gegenseitig ausschließen. Gefördert wird dies noch durch ein häufig nur wenig strukturiertes, Beziehungs – und konfliktzentriertes Therapieangebot
Das ist typisch für den Double-bind eine Situation mit sich widersprechenden Botschaften / Aufträgen – auch Doppelbotschaften genannt. Die Betroffenen sagen z.B.: „Ich möchte mich auf gar keinem Fall in einer Klinik behandeln lassen!“ Sagen aber nonverbal „Hilfe! Ich brauche Hilfe von euch“.
Dieses widersprüchliche Verhalten führt beim Gegenüber dann selber zu sehr widersprüchlichen Gedanken und Empfindungen. Die können selber sehr extrem auseinander liegen zwischen dem starken Wunsch zu helfen bis hin zu einer sich massiv abgrenzenden Gegenwehr. Und ja, diese Gefühle können beim Gegenüber auch immer wieder hin und her pendeln. Der durch diese Doppelbotschaft verwirrte Gegenüber (Der Helfer) wird nun zum Gegenstand der eigenen projektiven Identifikation.
Was bedeutet das Konkret? Auf ihn wird der ganze innere Konflikt / die massive und bodenlose Angst des inneren gespaltenen ICH´s übertragen und inszeniert. Der Wunsch ist, sich von der eigenen bodenlosen Angst zu befreien, egal welche Auswirkungen dies in der Umgebung hat.
Welche Auswirkungen dies auf die Arzt – Patienten – Beziehung hat, haben Forscher einmal in einer Studie aus dem Jahre 1987 erforscht:
Spätestens, wenn der Patient immer wieder signalisiert:
Ein ganz kurzer Einschub: Diese Interpretation der Patient–Therapeut–Beziehung muss aber immer von einer berechtigten Kritik am Therapeuten unterschieden werden, weil seine Therapie nicht wirkt. Denn wer heilt hat oft recht – wer nicht heilt muss aber nicht zwangsläufig immer schief liegen. Solche Situationen sind in der heutigen Zeit zum Glück immer seltener geworden sind, seitdem es immer bessere Behandlungsmöglichkeiten im Bereich Borderline gibt.
Darum darf hier der Gedanke geäußert werden, dass in der Vergangenheit wohl eher ein überforderter, ineffektiver und vielleicht auch narzisstisch gekränkter Therapeut oft seinen Anteil an den Widersprüchen hatte. Dem Patienten wurde wahrscheinlich viel zu häufig die Schuld zugeschoben, wenn die Therapie nicht klappte.
Hier wird mal wieder mit dem Finger auf den Falschen (das Opfer) gezeigt.
Nicht ganz so häufig wie die vorangegangenen Gründe hat die Funktion, sich durch SVV aus einer sozialen Überlastung zu entziehen. Hier hilft das SVV sich in unserer Gesellschaft davon zu befreien, soziale Verantwortung für sich und andere tragen zu müssen.
Wir sprechen hier von einem sekundären Krankheitsgewinn.
Der ist aber erst dann gegeben, wenn die Betroffenen in vollem Bewusstsein die Auswirkungen ihrer Handlung instrumentalisieren. Ich möchte ganz klar und deutlich all die anderen Leidenden, die unter Panik, Angst, Bedrängnis sich verletzen hiervon ausklammern.
SVV dient im Inneren einerseits
Zu guter Letzt sollte auch erwähnt werden, dass diese Handlung auch von den Betroffenen selbst in der Regel nur in einer Überlastungssituation eingesetzt wird, um einer der drohenden Ich-Spaltung entgegenzuwirken. Darum sollte man – auch in einer Klinik – mit therapeutischen Gegenmaßnahmen immer sehr achtsam und umsichtig vorgehen.
Reagiert man auf SVV z.B. mit Fixierung des Patienten,
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind.
Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:
Buchen Sie sich einfach auf meinem Online-Kalender ein Zeitfenster oder nutzen Sie mein klassisches Kontaktformular um mit mir in Verbindung zu treten. Ich freue mich auf Sie. Ihr Marcus
Ein Buch, das praxistauglicher kaum sein kann. Persönlichkeitsstörungen sind aufgrund der Instabilität an Komplexität praktisch nicht zu überbieten. Darum machen viele Psychotherapeuten auch einen Bogen um die Therapie hiervon Betroffener. Nicht so der Psychiater Jerold Kreisman der sein Leben der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörung gewidmet hat. Das Lesen dieses Buches hat mich zu meiner U.M.W.E.G. inspiriert.
Aufgrund der vielen Praxisfälle kann man die Affekte und Symptome besser verstehen. Die vielen Tipps für den Umgang mit den Betroffenen sind eine echte Hilfe und nehmen einem die Wut und Aggressionen, die oft im Kontakt mit dieser Krankheit entstehen und erzeugen vielmehr Verständnis und Mitgefühl.