Schriftzug Marcsu Jähn

Borderline entsteht ganz früh im Leben

Borderline entsteht ganz früh im LebenDie Erfahrungen welche wir in den ersten Lebensjahren machen sind die wohl entscheidendsten Momente in der Entwicklung eines Menschen. Das ist der Zeitpunkt in dem sich entscheidet, ob eine Borderline – Persönlichkeitsstruktur ausgebildet wird oder nicht.

Das Problem an der Sache jedoch ist: es ist immer noch praktisch unmöglich vorauszusagen, ob ein Kind bei den gleichen gemachten Erfahrungen wie andere Kinder (!) entweder eine „normale“ oder eine krankhafte Persönlichkeitsstruktur entwickelt oder nicht.
Aktuell müssen wir uns jedes Mal die frühen Erfahrungen retrospektiv (also zurückblickend) immer wieder einzeln anschauen um zu verstehen, warum er oder sie nun eine solche Persönlichkeitsstruktur entwickelt hat.

Was meint man damit eigentlich, wenn man sagt: er / sie hat eine Borderline–Persönlichkeit entwickelt?

Ein Borderliner ist gekennzeichnet durch:

      1. seine Unfähigkeit, Selbst- und Objektrepräsentanzen voneinander zu trennen.
      2. Und das alles bei einer gleichzeitigen Störung der Introjektion

Die Selbstrepräsentanz ist die Vorstellung von der eigenen Person. „Wer bin ich für mich?“ Wofür halte ich mich?

Die Objektrepräsentanz ist die Vorstellung von der jeweilig anderen Person mit der ich mich gerade beschäftige.

Introjektion: das ist das Gegenteil von Projektion: D.h., dass ich fremde Anschauungen, Verhaltensweisen und auch Werte in mein eigenes Denken übernehme.

Die Ursachen das Borderline entstehen kann, sind nämlich unter anderem

      • die Schwierigkeit, Nähe auszuhalten
      • eine gestörte vielleicht. auch fehlende Fähigkeit, in den ersten Lebensmonaten zwischen dem Selbst und einem Objekt (z.B. der Mutter) zu unterscheiden.
      • Und dann kommt noch der wahrscheinlich wichtigste Faktor hinzu: Das Überwiegen von negativen Affekten und in Folge davon auch ein deutliches mehr an negativen Introjekten.
        • „Meine Welt ist durch und durch schwarz“

Wie kann ich mir solch eine Ambivalenz vorstellen?

Platt und umgangssprachlich ausgedrückt:
Eine solche Mutter ist besonders dann zufrieden, wenn das Kind vollkommen von ihr abhängig ist.
Andererseits wird sie wiederum ablehnend, wenn sich das Kind im Laufe seiner normalen Entwicklung zu verselbstständigen beginnt – sein eigenes Ich ausbildet. An diesem entscheidenden Entwicklungszeitpunkt, an dem das gemeinsame Teilen von Gefühlen ganz besonders wichtig wäre, ist die Mutter auf einmal nicht mehr verfügbar und reagiert oft zurückweisend.

Das Verhältnis zwischen Kind und Mutter ist dann so unglücklich, dass die Mutter nur ein regressives, ein sich anklammerndes Verhalten des Kindes ertragen kann.
Sobald das Kind aber wieder versucht, sein eigenes Leben aufzubauen zieht sich die Mutter (fast schon beleidigt) zurück. Sie kommt damit nicht klar, dass sich das Kind zu einem eigenständigen Menschen hin entwickeln möchte. Durch ihre eigene Hilflosigkeit, evtl. auch durch ihre eigene Traumen kann die Mutter ihr inneres verletztes Ich nicht von dem kleinen Kind lösen…

Durch solch eine fehlerhafte Beziehung (ein falsches Verschmelzen des inneren Kindes der Mutter mit dem leiblichen Kind) erlebt der Säugling oder auch das Kleinkind dann

      • eine Polarisierung der Affekte (gespaltene und nicht einheitliche Affekte)
      • und verinnerlicht (introjiziert) Teilobjektrepräsentanzen zusammen mit den mit ihnen verbunden abgespaltenen Affekten und Selbstrepräsentanzen.

Was sich hier so kompliziert anhört ist im Endeffekt der Grund für die gespaltenen Objektbeziehungen – die so typisch für eine Borderline–Persönlichkeitsstruktur sind.
Die Mutter wird als nur noch entweder gut ODER böse betrachtet. Der Gedanke, dass meine erste wichtigste Bezugsperson sowohl gut als auch manchmal streng / böse sein kann, kommt im Säugling dann gar nicht mehr erst auf.

Und wenn dies bei der ersten Bezugsperson schon schiefgeht, dann haben wir hier eine traurige Fehl-Prägung für den Rest des Lebens … Borderline lässt grüßen.

Otto Kernberg ist wohl einer der am tiefsten in dieser Materie forschende Psychoanalytiker. Er beschreibt diese Objekt-Beziehungseinheit zwischen Säugling und Mutter die sich durch die vielen Internalisierungen und gemeinsamen Erfahrungen heraus entwickelt. Immer wieder benutzt er in seinen Beschreibungen den Begriff der affektiven Komponente.

Unter einer affektiven Komponente versteht man die emotionale Einstellung zwischen dem Subjekt und dem Objekt also zwischen dem Baby und der Mutter. Das ist z.B. Sympathie, das ist Antipathie. Das können Vorurteile, Misstrauen und Abneigung sein. Kurz gesagt, unsere Haltung, unser Verhalten und unsere innere Einstellung.

Bei einem Kind mit einer sehr launischen Bezugsperson (das ist einfach meistens die Mutter – warum ich im weiteren Verlaufe auch der Einfachheit immer das Wort Mutter gebrauche ohne die Rolle der Mutter zu schmälern oder zu diskriminieren) die eine wechselseitigen Beziehung zu dem Kind nicht aufbauen kann, kommen diese sogenannte affektiven Komponenten völlig verzerrt an und können dann – bei einer entsprechenden Neigung des Kindes – zu einer Spaltung führen.

Und genau das gerade beschriebene wird bei vielen Borderlinern beobachtet, wenn man bei Ihnen in ihre eigene Geschichte einmal tiefer eintaucht. Oft konnte man dabei sehr wechselhafte/ambivalente Handlungen zwischen den häufig noch sehr jungen Müttern und ihren Kindern beobachten.

Besonders bei den noch sehr (!) sehr jungen Müttern sah man auch dass sie sich deutlich wohler dabei fühlten, sich auf die Grundbedürfnisse ihrer Babys zu konzentrieren. Für sie war die Zeit einfacher mit den Babys, wenn diese noch von ihnen abhängig waren.

Sobald die Kleinen aber damit begonnen haben ein eigenes Leben zu entdecken und sich dabei immer mehr von der Mutter distanzierten fiel auf, dass die Mütter dies deutlich schwererer akzeptieren konnten. Sie konnten dann ihre Liebe und Wärme dem Kind nicht mehr so deutlich wie zuvor vermitteln….

Früher hat man die Entwicklung eines Kindes – auch seine Fehlentwicklung – oft entweder mit dem Defizit-Modell oder dem Triebmodell beschrieben. Heute wissen wir aber, dass dies nicht mehr ausreicht.

Die Professorin Joy Osofsky erarbeitete darum in den 1990ger Jahren ein neues / dynamisches Interaktionsmodell was die unterschiedlichen Perspektiven der Entwicklung eines Kindes wie zum Beispiel

      • die Entwicklung der inneren Psyche / das Intrapsychische
      • aber auch die Entwicklung zum Zwischenmenschlichen / das Intrapersonelle mit integriert.

Dadurch können dann auch ein dritter Schwerpunkt beobachtet werden:
– hohe psychosoziale Risiken.

Dieses dynamische Interaktionsmodell berücksichtigt

      • biologische Voraussetzungen
      • die gemachten Erfahrungen in den ersten Lebensjahren
      • und auch die wechselseitigen Affekte in den ersten dyadischen Beziehungen (zum Beispiel die Mutter)

Dieses dynamische Interaktionsmodell ist eine echte Hilfe um besser zu verstehen, warum überhaupt eine Borderline – Persönlichkeit entsteht. Es berücksichtigt

      • zum einen die verinnerlichten Erfahrungen und auch die zwischenmenschlichen Wechselbeziehungen.
      • Andererseits aber auch die Einflüsse die auf den Säugling durch seine Umwelt und auch von seiner Bezugs Person einwirken.

Wenn ein kleines Kind bereits von Anfang an

      • keine Wechselseitigkeit erlebt,
      • keine gemeinsamen / geteilten Emotionen und keine gleichen Gefühle verspürt
      • dafür aber immer wieder mit negativen Gefühlen konfrontiert wird

dann wird das Kind nur noch von diesen negativen Gedanken beeinflusst. Die Folge davon ist, dass wir dann nicht mehr von einer „normalen Entwicklung“ ausgehen können. Sehr wahrscheinlich wird dann eine Affektspaltung ausgebildet wie sie so typisch für eine Borderline-Entwicklung ist. Dieser Spaltung von Affekten ist der wohl zentrale Faktor in der Ausbildung einer Borderline – Persönlichkeitsstörung.

Lass uns jetzt mit 5 Themen etwas näher befassen die uns verstehen helfen warum Borderline sich bei dem einen oder anderen überhaupt ausbildet.

Beachte bitte: Selbst wenn ein Kriterium besonders stark erfüllt ist, dann ist es nicht zwangsläufig das (!) Kriterium für die Entwicklung von Borderline! Die gleichen Umstände können bei einem Kind Borderline entwickeln lassen und bei einem anderen Kind nicht. Warum das so ist können wir bislang nur mit der Theorie der Vulnerabilität erklären

Die 5 Gründe lauten:

      1. Ein frühes Trauma und Gewalt gegenüber dem kleinen Menschen
      2. Affekte – die Sprache der Gefühle
      3. Der Einfluss negative Gefühle
      4. Hoch Risikogruppen und ihre selbst Entwicklung und Beziehungsgestaltung
      5. Generationen können Konflikte „vererben“

In diesem Beitrag möchte ich mich mit dir einmal mit den ersten beiden dieser Gründe näher befassen.

Teil (1) Das Frühe Trauma – Missbrauch / Misshandlung / Missachtung

Es ist leider eine traurige Wahrheit, dass selbst kleine Kinder immer öfter Gewalt ausgesetzt sind. Z.B. erfahren wir durch das BMI (Bundesministerium für Inneres) das sexualisierte Gewalt im Jahr 2020 gegenüber Kindern um 53% zugenommen hat. Wegen dieser zunehmenden Gewalt ist es einfach notwendig, Traumata und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung des kleinen Lebens besser zu verstehen.

1.1 Was ist das überhaupt, ein traumatischer Stress?

Fragen wir hierzu einmal die Tochter des großen Sigmund Freud – die Anna Freud. Sie beschrieb traumatischen Stress einmal als ein vernichtendes, ein verheerendes Ereignis, durch das die weitere Entwicklung stark beeinträchtigt wird.

Durch Stress kann sich das eigene ICH in dieser hochbelastenden Situation nicht mehr anpassen und es zerfällt. Es wird von dem Druck förmlich überflutet / überwältigt.

Der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott (1896 bis 1971) griff diesen Gedanken auf und zeigte, das undifferenzierte und noch nicht integrierte Zustände normalerweise zur gesunden Entwicklung eines Menschen gehören.
Unter Stress können diese jedoch nicht mehr ausgehalten werden und die Entwicklung stoppt.

Damit wir erkennen wie gefährlich Traumata auf kleine Kinder sind, ist es jetzt sehr wichtig, die Auswirkung dieser äußeren Einwirkungen auf die innere psychische Struktur und die Entwicklung sowohl bei Säuglingen als auch bei kleinen Kindern in Studien stärker zu berücksichtigen. Besonders müssen wir hierbei die Kinder im Auge behalten, die bereits von zu Hause aus einem hohen psychosozialen Risiko ausgesetzt sind.

Robert S. Pynoos und Kathi Nader bestätigten durch ihre Studien was wir in der Praxis immer wieder beobachten: Für ein Kind ist es eine Herausforderung, wenn es einem Trauma begegnet. Das hört sich jetzt wie eine Binsenweisheit an. Denke aber bitte immer daran: Studien dienen auch dazu, Wissen was bereits da ist, zu bestätigen.

Warum wirken sich Traumas so intensiv auf das Kind aus? Nun, wir als Erwachsene haben den unschätzbaren Vorteil, dass wir auf Erinnerungen und Erfahrungen zurückgreifen können. Das Kind jedoch, muss diese traumatische Erfahrung erst einmal in ein neues inneres Modell seiner kleinen Welt integrieren das einer vorherigen Erfahrunge bildhaft gesprochen übergestülpt wird.

Alle unsere neuen Erfahrungen werden also automatisch in einen Bezug / in eine Verbindung mit bereits vorhandenen Erfahrungen gebracht.

      • Es ist wie ein neuer Lack auf einer alten Grundlage. Wenn immer die gleiche Farbe für den neuen Anstrich gebraucht wird, dann entwickelt sich auch ein schöner gleichmäßiger Lack. Wird aber plötzlich eine komplett andere Farbe (das Trauma) übergestrichen, dann kannst du dir vorstellen dass das Erscheinungsbild zum Beispiel bei einem Auto total durcheinander ist.

Ich finde das ist ein sehr guter Vergleich ist: alle unsere Erfahrungen sind wie eine neue Lackschicht in dem ich den Pinsel in einen Topf Farbe eintauche. Tauche ich ihn in die gleiche Farbe ein, dann hat das Auto einen gleichmäßigen Anstrich. Tauche ich ihn in einen Topf komplett anderer Farbe ein, dann wird das Bild nach außen unruhig, es entsteht eine Farbstörung.

      • Eine Persönlichkeitsstörung hat eine ähnliche Ursache.

Kommen wir zu dem dynamischen Interaktionsmodell zurück. Dieses konzentriert sich auf das miteinander Teilen von positiven Erlebnissen zwischen der direkten Bezugsperson (also meistens der Mutter) und dem Kind. Dieses Teilen bildet – um in unserem Beispiel zu bleiben – erst einmal eine gute Grundierung im Lack. Kinder aber, die in einer gewalttätigen Umgebung aufwachsen, denen fehlt es an förderlichen Erlebnissen die für die Feinabstimmung von Gefühlen oder Affekten und damit einer gesunden ICH–Entwicklung die Voraussetzung ist.

Sehr häufig entwickeln sich dann schon ganz am Anfang des Lebens sehr primitive Abwehrmechanismen in dem Versuch die eigene extreme Angst und sich daraus ergebende Impulse zu kontrollieren.

Die frühen negativen Erfahrungen können

      • die Entwicklung völlig zum Entgleisen bringen,
      • die Fähigkeit, eigene Emotionen zu regulieren beeinträchtigen und führen häufig auch
      • zur Spaltung von Affekten.
      • Und nicht zuletzt können sie sehr früh zu Beziehungsproblemen führen, wie wir diese typischerweise bei einer Borderline – Persönlichkeit sehen.

Otto Kernberg, Jahrgang 1928 – wohl der Altmeister über das Thema Persönlichkeitsstörung – vertritt die Ansicht, dass besonders heftige Emotionen – wir nennen diese Spitzenaffektzustände – dass diese zur Bildung innerer Objektbeziehungen führen. Leider sind das aber nicht immer nur liebevolle intensive Erfahrungen, sondern überwiegend auch negativen, von Wut aufgeladen Bedingungen.

Die Folge davon ist, dass diese negativen Objektrepräsentanzen beim Kleinkind schnell verinnerlicht werden und sich zu einem starken Teil der Persönlichkeit zu anderen Objekten / Bezugspersonen entwickeln. Besonders bei misshandelten kleinen Kindern mit einem hohen psychosozialen Risiko und auch bei traumatisierten Kindern entwickelt sich dadurch eine von Hass dominierte Beziehung zu dem Objekt / der Bezugsperson. Kinder verinnerlichen das von der Mutter gegen sie gerichtete aggressive Verhalten und wiederholen es anschließend typischerweise gegenüber anderen Personen.

Dieser Prozess den Otto Kernberg schon vor drei Jahrzehnten beschrieb, beinhaltet eine unbewusste Identifizierung sowohl mit dem Opfer als auch mit dem Täter.

Dadurch erfolgt dann

      1. eine Intensivierung oder Abhängigkeit in der Beziehung zu dem frustrierenden Objekt und
      2. dann zu einer stärkeren Abhängigkeit von dem verhassten Objekt
      3. mit dem Ziel dieses zu beeinflussen
        1. und auch zu kontrollieren, zu bestrafen oder vielleicht auch in ein gutes Objekt umzuwandeln.
      4. Gleichzeitig besteht auch die Tendenz dazu die Beziehung zu dem gehassten Objekt vertauschen zu wollen indem jemand Anderes gequält, frustriert oder misshandelt wird auf das die eigene Selbstrepräsentanz (die eigenen Leiden) projiziert worden ist.

Obwohl wir hier noch deutlich mehr Studien benötigen können wir aber bereits heute sagen, dass sich die Psychopathologie als Teil der Charakterstruktur bereits beim Säugling und beim Kleinkind ausbildet. Ich bleibe dabei: kein Kind kommt als persönlichkeitsgestörter Mensch zur Welt!

Ein wesentlicher Faktor bei Kindern die mit Gewalt aufwachsen besteht in der hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie immer wieder mit negativen Affekten in Berührung kommen. Dies hat oft eine affektive Fehlregulation zur Folge.

Für eine gesunde und auch normale Entwicklung, für eine gesunde Affektregulation ist eine Wechselseitigkeit zwischen guten und negativen Affekten notwendig. Hier ist sie wieder: unser heutige Kernbotschaft – die Wechselseitigkeit zwischen Kleinkind und Bezugsperson

Wenn jetzt aber immer nur negative Affekte vorhanden sind. dann fehlen dem Kind viele der wichtigen frühen Beziehungserfahrungen die für die Entwicklung eines gesunden Selbst–Gefühls notwendig sind. Das Kind hat dann viel weniger Gelegenheit dazu, eine symbolische Assimilierung (Angleichung) auszubilden oder positiver Beziehungserfahrungen zu verinnerlichen. Ist das Kind dann aber endgültig in den Brunnen gefallen? Gibt es bei einem sogenannten „Fehlstart ins Leben“ kein Zurück mehr? Doch! Durch viele gute Erfahrungen können schlechte Umwelteinflüsse und Erlebnisse soweit abgemildert werden, dass es das kleine Kind doch noch schafft, ein positives mütterliches Bild zu verinnerlichen. Es kommt halt darauf an, dass genügend „Lackschichten“ aufgetragen werden um das darunterliegende negative zu überdecken.

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Ein häufiges KO-Kriterium für eine gesunde Entwicklung ist eine gewalttätige Umgebung. Diese Beeinflusst aber nicht nur das Kind! Sie hat auch ein großen Einfluss auf die Elterngeneration. Eltern die in einem Umfeld von der Gewalt leben, werden oft selbst durch eigenes Trauma und Gewalt traumatisiert. Oft fühlen sie sich dadurch in ihrer Rolle als Mensch, besonders als Eltern die doch ihre Kinder beschützen sollen, hilflos und hoffnungslos.

Die Folge davon ist, dass sie unter diesem Stress sie oft nicht mehr in der Lage sind auf die Wünsche, Gefühle und die Bedürfnisse ihres Kindes vernünftig einzugehen.

Solche Umstände können dann dazu führen, dass die Kinder in ihren Beziehungen zu ihren Eltern weniger emotionale Verfügbarkeit / Stabilität erleben was wiederum einen großen Einfluss auf ihre geistige und auch körperliche Gesundheit nach sich zieht.

Die Probleme einer früheren Beziehung oder der Verlust von Bezugspersonen in den frühen Lebensjahren können nämlich auch bei den Eltern zu einem schwachen ICH geführt haben. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass frühere -nicht behandelte – negative Beziehungen der Eltern das Risiko bei den Kindern stark erhöhen später eine geschwächte Persönlichkeitsstruktur bis hin zu einer Psychopathologie oder einer Borderline – Persönlichkeit auszubilden!

Teil (2) Wechselseitige Affekte „die Sprache der Gefühle“

 

Soange ein Kleinkind noch nicht sprechen kann, sind Affekte das erste und auch wichtigste Kommunikationsmittel. Wir alle kommen als „kognitive Frühgeburten“ auf die Welt – mit einem noch unvollständig ausgebildeten Frontalkortex. Darum besitzen wir zur Geburt noch keine Sprache, um unsere Gedanken, unsere Gefühle und Wünsche in irgendeiner Weise anderen zu vermitteln. Damit sich dann aber eine gesunde innere und auch zwischenmenschliche Psyche Entwickeln kann ist es wichtig, dass ein Säugling/Kleinkind wechselseitige Affekte erlebt.

Was sind das überhaupt diese wechselseitigen Affekte?

Da uns dieses Thema in diesem unter Bereich mehrfach berührt, sollten wir genau wissen was hiermit gemeint ist. Wechselseitige Effekte sind zum Beispiel

      • Spiegelung
      • Affektangleichung zwischen Kind und Mutter
      • Eine emotionale Verfügbarkeit der wichtigsten Bezugsperson
      • Sekundäre Intersubjektivität (d.h. wenn zwei Menschen ihre Aufmerksamkeit auf ein gemeinsames Thema lenken)
      • Das Teilen von gemeinsamen Affekten

 

Schon sehr lange wissen wir, dass – wenn negative Affekte überwiegen, es

(1) zu zerrütteten Eltern – Kind –Beziehungen führt.

(2) Frühe Trennungen von einer Bezugsperson schädigen sämtliche Beziehungsentwicklungen eines kleinen Kindes.

(3) Dann kommen noch die erlebten Traumen hinzu, die großen und die kleinen.

Die kleinen sind nicht weniger schwierig.
Oft sind es gerade diese vielen andauernden und sich wiederholenden Ablehnungen, die übermächtigen und frustrierenden Erlebnisse wie zum Beispiel Misshandlung oder Vernachlässigung innerhalb der Familie die dann bei dem kleinen Kind – um den Schmerz zu vermeiden – zu einem Rückzug führen.

Merke: Liebe die an Bedingungen geknüpft ist, ist keine Liebe. Ein Kind merkt dies sehr schnell und zieht sich dementsprechend zurück.

Die Folge davon ist, das dem kleinen Säugling eine gesunde psychische Entwicklung und die so wichtige „Wechselseitigkeit“ fehlt.

Merke dir: die „Wechselseitigkeit“ ist eines der wichtigsten Erfahrungen die ein Kind in seiner Entwicklung immer wieder machen muss.

Innerhalb des bereits angesprochenen „dynamischen Interaktionsmodells“ sind

      • die Wechselseitigkeit,
      • ein sozialer Bezug,
      • das Teilen von Gefühlen
      • und auch das aufeinander Abstimmen von Affekten
        unverzichtbar damit ein Säugling selber fein ausgebildete und gut modellierte Affekte entwickeln kann.

Das harte Gegenteil von einer gesunden Wechselseitigkeit ist die Polarisierung.
Wir können auch von einer Polarisierungsspaltung sprechen – das typische Erscheinungsbild einer Borderline–Persönlichkeitsstruktur.

Milton Erikson ist ein weiteres Urgestein“ der Psychoanalyse.
Er spricht oft von dem Urvertrauen als das Grundbedürfnis eines Säuglings. Ein Urvertrauen, dass das Kind als Kind bei Seiner Mutter SEIN darf … das es seine Gefühle an der Mutter testen und angleichen darf. Was aber passiert. wenn zwischen der Mutter und dem Kind wenn dieses Urvertrauen nicht Zu Stande kommen kann?

Selma Fraiberg (1918 – 1981) war eine amerikanische Kinderanalytikerin. Auch sie hat sich sehr intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. In ihren Studien beschreibt sie wie bei bereits selber gestörten Müttern neurotische Wiederholungsmuster oder (so wie ihr Buch hieß) die „Geister im Kinderzimmer“ auftraten, wenn Sie sich bemühten, ihre kleinen Kinder zu versorgen. Selma Freiberg versuchte über viele Jahre mit den Müttern psychoanalytisch zu arbeiten um ihre fehlerhaften Verhaltensweisen zu durchbrechen. Auch ihr persönlicher Lösungsansatz: die wechselseitige Regulation durch emotionale Kommunikation und emotionaler Anteilnahme.

Wir sind immer noch ganz am Anfang mit unseren Studien.
Immer noch wissen wir viel zu wenig darüber was eigentlich geschieht, wenn die emotionale Regulation in einem Säugling problematisch ist. Und wir sind hierbei immer noch auf Theorien und Lösungshypothesen angewiesen.

  • (2.1) Die Eltern-Repräsentanz

Eine dieser Lösungshypothesen vertritt die Meinung, dass der Säugling für sich permanent an einer Methode arbeitet, das Verhalten seiner Eltern vorherzusagen. Er möchte von Anfang an eine Systematik in seine Eltern-Repräsentanz bringen. Diese „Eltern – Repräsentanz“ benutzt er dann dazu, immer wieder sein eigenes Verhalten in seinem Verhältnis zu seinen Eltern neu zu überprüfen.

Kurze Erklärung zu dem Wort Repräsentanz:
Darunter verstehen, eine innere Vorstellung von einer anderen Person. Das was ich (!) mit z.B. von meinem Nachbarn / meinem besten Kumpel / meinem Arbeitgeber im Inneren vorstelle – dieses innere Bild ist die Repräsentanz. Die erste Repräsentanz im Leben eines Kindes ist in der Regel … die Mutter.

Wenn das Kind dann seine Fähigkeiten weiter entwickelt, dann kann man beobachten wie er sich immer wieder neu auf seine Eltern abstimmt und immer besser lernt, mit seinen Eltern seine Gefühle / seine Affekte zu teilen.

(2.2) Diese Affektanpassung

(man nennt diese Einstimmung auch attunement) nutzen Eltern um mit ihren Kindern durch das gemeinsame Teilen von Affekten mitschwingen zu können.

Damit sind wir bei dem ersten der zwei wichtigen und entscheidenden Merkmale gesunde Eltern – Kind – Beziehungen: das Mitschwingen der Eltern!

Dieses Mitschwingen / dieses Teilen von Gefühlen ist für die Entwicklung des Kindes von ganz wichtiger Bedeutung – denn über genau darüber wird dem kleinen Kind gezeigt, dass seine Gefühle von den Eltern verstanden werden. Sind die Eltern hierzu nicht in der Lage – und hier ist es egal ob aufgrund

      • eigener Probleme,
      • einer Psychopathologie,
      • Umweltbelastungen
      • oder eigene Traumen
        – dann erhöht dies das Risiko für eine Psychopathologie beim Kleinkind, einschließlich einer Borderline – Persönlichkeitsstörung.

Wir haben jetzt die erste wichtige Form der Wechselseitigkeit besprochen: das Mitschwingen der Gefühle zwischen Eltern und Kind.

(2.3) Die zweite wichtige Form der Wechselseitigkeit ist die emotionale Verfügbarkeit, die Erreichbarkeit der Eltern und die Fähigkeit die emotionalen Zeichen des Kindes zu erkennen und dann auch seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese emotionale Verfügbarkeit ist eine der besten Messmethoden um den Entwicklungsfortschritt eines Kindes zu erkennen.

Bei einer „normalen Entwicklung“ kann z.B. auch erwarten dass das Kind selber viele verschiedene Emotionen und Gefühle zeigen kann. Emotionen die dem Kind helfen, mit seiner Umgebung

      • einen Interessenausgleich herbeizuführen aber auch um
      • positive Emotionen zwischen ihm und seinen Eltern hervorzurufen.

Diese Emotionale Verfügbarkeit ist etwas Wunderbares… Wir können sie in etwa mit einer Art körperlicher Zeichensprache vergleichen. Das hat man mal durch ein ganz interessantes Experiment verdeutlicht:

Hier wurden Säuglinge einer – für sie – neuen / fremden / unsicheren Situation ausgesetzt …. (Zum Beispiel einem fremden Spielzeug oder einer scheinbaren Abbruchkante an einer Kabeloberfläche) Wenn sich das Kind dann nach Hilfe suchend zu der Mutter umdrehte, schaute es erst einmal die (!) reagierte. Sah es bei ihr entweder Furcht/Ärger oder Freude / Interesse dann reagierte der Säugling entsprechend indem er sich der neue Situation oder näherte und erforscht er oder sich von ihr distanzierte. Sowohl der Blick als auch die Stimme der Mutter hat den gleichen Einfluss auf das Verhalten und die Einstellung des Kindes – wir nennen dies eine soziale Referenz / Bezugspunkt.
Sie ist ein gutes Beispiel für unser aller Entwicklungsprozesse, die wir dazu benutzen um Hilfe oder Unterstützung von unseren wichtigen Bezugspersonen zu erhalten. Und genau das machten auch die Babys in dem Experiment.

Unsicherheiten kommen im Laufe einer normalen Entwicklung sehr häufig vor. Deshalb ist ein vernünftiges / emotionales Signalisieren so wichtig um die Kleinsten unter uns in ihrem Forschungsdrang und in ihrer „Lebenskompetenz“ weiter zu fördern. Was aber, wenn die Mutter eher ein für das Kind verwirrendes Verhalten zeigt? Dann kann diese Selbstentwicklung stoppen. Passiert dies öfter kann sogar die gesamte Entwicklung „aus dem Ruder laufen“. Für das Kleinkind ist es dann schwierig ein gesundes Selbst – Gefühl von einem anderen Gefühl zu unterscheiden, da die Umgebung ja komplett unberechenbar ist. Und da sind wir wieder bei dem Kernproblem von Borderline: die permanente unbestimmte Angst vor der Umgebung und dem Leben als solches.

Die Entwicklung eines kleinen Kindes geht in etwa so vor sich:

Gegen Ende des ersten Lebensjahrs fängt ein Säugling an sich an seinen Bezugspersonen auszurichten, und beginnt mit ihnen seine inneren Affekte/ seine positive Affekte wie zum Beispiel das Lächeln zu teilen, wenn er / sie etwas Neues entdeckt oder etwas Neues als neue Fähigkeit schafft.. Besonders diese positiven Affekte sind ein sehr gutes Zeichen dafür, dass die Entwicklung und die Beziehung zwischen Eltern und Kind gut verläuft. Interessanterweise kann man jedoch in den Risikogruppen beobachten, dass bei jungen Müttern und ihren Kindern positive Affekte deutlich seltener und negative dafür leider häufiger auftreten als in einer „normalen Vergleichs-Gruppe“. Durch diesen Mangel an schönen Erlebnissen kommt es dann zu einem sogenannten „abschalten“ der Verbindung, wenn die Entwicklung einfach nicht gut verläuft.

Nach all den schlechten Informationen, möchte ich aber noch mit einer guten Nachricht kommen:
Dieser Teufelskreislauf kann definitiv unterbrochen werden!
Es kommt einfach darauf an, durch feinfühlige und positive Handlungen dem Kind zu helfen, seine normale Entwicklung wieder aufzunehmen.

Aber Vorsicht:
Auch eine Überbehütung / eine Überkontrolle kann zu starken negativen Affekten führen.
Der Säugling lernt durch solch ein Überbehüten, dass er nur wenig Einfluss oder Kontrolle über sein Leben / seine Erfahrungen hat. Ist dem so, dann spricht man von einer erlernten Hilflosigkeit.

Ein Zwischenfazit – Was sagt uns das alles jetzt?

Was wir tief in unserem Inneren schon immer verspürt haben wird nun durch die Studien auch bestätigt:

Wenn negative Affekte verringert und positive verstärkt werden, dann wird eine optimale Kindesentwicklung vernünftig von den Eltern unterstützt. Wenn dies nicht passiert, dann ist für den kleinen Säugling die Bezugsperson erst einmal nicht erreichbar und das wiederum beeinträchtigt seine Anpassungsentwicklung und das Ausbilden eines positiven Selbstwertgefühls.

Wenn eine direkte Bezugsperson / ein Elternteil also einfach nicht in der Lage ist, die Gefühle des Säuglings zu spiegeln / zu teilen oder sich – was einer Katastrophe gleichkommt – vielleicht sogar über seine Gefühle lustig macht, dann sind die Aussichten hierbei sehr dunkel.

Die Hauptmotivation zum Nachahmen der Umgebung besteht für ein Kind darin – vom psychoanalytischen Standpunkt aus betrachtet – in einer neuen Beziehung Bekanntes zu suchen und sich selbst und den Anderen über die inneren Gefühle wieder zu erkennen. Neues wird also immer wieder mit Bekannten verglichen und in den großen Topf der persönlichen Erfahrungen eingebracht. 

Das erinnert mich an Martin Bubers berühmten Satz: „wir kommen nur über das DU zum ICH.“

Wächst der Säugling bei Eltern auf, die seine Emotionen vernachlässigen oder die für ihn emotional einfach nicht erreichbar sind, dann hat er nie die Möglichkeit wichtige Erfahrungen zu machen. Das wiederum beeinträchtig die Entwicklung eines gesunden Selbstwerts und erhöht das Risiko, später in an einer Psychopathologie wie zum Beispiel einer Borderline – Persönlichkeitsstruktur zu leiden. 

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