Schriftzug Marcsu Jähn

Borderline und selbstverletzendes Verhalten – die Therapien – Teil 4

Welche Therapieform ist eigentlich die richtige für mich?

Selbstverletzendes Verhalten - Teil 4 - die verschiedenen Therapien - Welche ist die richtige für michGibt es für die Entscheidung gewisse Anhaltspunkte? Nun, Wissen ist der erste Schritt in Richtung einer selbstbestimmten und guten Entscheidung. Darum möchte ich Dir mit dieser Themenübersicht genau diese Hilfe bieten damit Du in Deiner Suche nach einer Therapie, nicht direkt bei Null beginnen musst.

Genau zu diesem Thema: Borderline-Therapie habe ich bereits einige Videos auf Youtube eingestellt.

Die Therapie von selbstverletzendem Verhalten ist jedoch von vielen Dingen abhängig: Logischerweise in ganz besonderem Maße von den Fähigkeiten und der Orientierung des Therapeuten. Psychotherapie ist schließlich immer ein Prozess zwischen zwei individuellen Menschen, der sich auch immer wieder im Gesprächsverlauf verändert.

Was aber fast noch wichtiger als die eigentliche Therapie ist, ist ihre Dauerhaftigkeit und Stabilität dieser therapeutischen Beziehung.

Man erreicht diese Stabilität am ehesten

      • durch genaue, präzise und feste Absprachen mit dem Gegenüber
      • Diese können bis hin zu schriftlichen Verträgen gehen. Zwar wären sie rechtlich nicht bindend, dafür aber stark moralisch fordernd und fördernd.

Durch diese schriftlich fixierte in der „Therapie-Beziehung“ werden entweder die starken Impulshandlungen verhaltenstherapeutisch, alternativ die Objekt-Beziehungen psychodynamisch oder aber die posttraumatischen Probleme traumaorientiert behandelt.

Je nach Art und Weise der Therapie wird das Selbstverletzende Verhalten dabei dann auch ganz unterschiedlich interpretiert und für sich eingeordnet.

Das bei allen Therapien angestrebte Ziel ist es, innere aber auch zwischenmenschliche Spannungen zu reduzieren und Alternativhandlungen gewissermaßen als Ersatz für das selbstverletzendes Verhalten einzuüben. 

Im Grunde genommen – und das soll jetzt mal als eine gute Nachricht verstanden werden – gehört dieses Selbstverletzende Verhalten zu den wenigen Symptomen im Bereich Borderline, die an sich recht schnell und auch gut auf eine Therapie ansprechen.

All die unterschiedlichen Therapiestrategien zeigen nämlich, dass selbstverletzendes Verhalten bereits im ersten Behandlungsjahr massiv zurückgehen kann.

Eine Studie zeigte sogar einen Rückgang von > 85% innerhalb von 10 Jahren während der Behandlung (Wenn wir hier von 10 Jahren spreche – bedenke bitte immer, Borderline-Therapie ist eine langandauernde Therapie!)

Woher kommen diese Erfolge?

      • Zum einen gibt es immer die Möglichkeit einer Spontanremission – aber die Zahlen sind dafür viel zu hoch als dass dies der einzige Grund sein könnte.
      • Durch die Therapien werden einfach neue Verhaltensweisen gelernt und durch diese treten das selbstverletzende Verhalten als einzige Bewältigungsstrategie in den Hintergrund – allein die Auswahl unter verschiedenen Methoden hilft hierbei schon gewaltig. Das Schwarz/Weiß-Denkmuster wird hierdurch sehr elegant aufgelöst.

Kommen wir nun mal zu den verschiedenen Therapieangeboten, die uns derzeit zur Verfügung stehen. Sei Dir hierbei sicher, dass in Zukunft noch viele weitere Angebote hinzukommen werden. Diese Übersicht soll genau das darstellen, wie sie auch benannt ist: Eine Übersicht… ohne Anspruch auf Vollständigkeit. 

1.1 Psychodynamische Psychotherapie

Die psychodynamische Psychotherapie hat sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Grundlage der Psychoanalyse entwickelt. Diese Psychoanalyse ist die von Siegmund Freud entwickelte Methode um den unbewussten Teil des psychischen Lebens bewusst zu machen und diese zu erforschen.

Sie ist wohl die am meisten verwendete Therapieform für psychogene Störungen  dh. für Neurosen, psychosomatische Störungen und  auch Persönlichkeitsstörungen.

Aktuell werden in Deutschland in der kassenfinanzierten Psychotherapie ca. 50 % der Patienten nach einem psychoanalytischen Verfahren und die andere Hälfte nach der Verhaltenstherapie behandelt.

Wir unterscheiden in der psychoanalytischen Psychotherapie die folgenden vier Behandlungsphasen bei Patienten mit selbstverletzenden Verhalten:

  • Aufbau einer therapeutischen Beziehung.
    Warum ist diese Phase so wichtig, dass sie extra benannt werden muss? Weil es sich immer um Menschen handelt, die in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zusätzlich extrem verunsichert sind. Es versteht sich von selbst, dass der Therapeut dann selber sehr warmherzig, empathisch und aktiv sein sollte.

(2) Danach sollte der Therapeut so langsam aus der Deckung herauskommen – das ist jetzt die zweite Phase – und in die Rolle des aktiven Teilnehmers übergehen. Er sollte dann der aktive und aufmerksame Zuhörer sein.

Dies muss aber dem Patienten gegenüber deutlich kommuniziert und angekündigt werden, denn … die Gefahr wäre groß, dass sich der Patient zurückgewiesen fühlt, oder vielleicht den Eindruck bekommt, der Therapeut zieht sich zurück und interessiere sich nicht mehr für ihn.

Das Hauptaugenmerk in dieser zweiten Phase ist also die Behandlung von Alltagsproblemen und die aktuelle Situation selbst.

(3) Jetzt erst, in der dritten Therapiephase beginnt die eigentliche Arbeit am und mit dem Gegenüber gemeinsam. Hier werden dann die zentralen Erfahrungen in der Kindheitsgeschichte aufgedeckt.

(4) In der vierten steht dann die Beendigung der Therapie im Vordergrund.
Warum wird dieser Phase ein besonderer Blick gewährt?
Nun, in dieser Phase kommt es nämlich häufiger zu Regressionen und Rückfällen.

Als eine besonders herausragende Therapieform zu diesem Thema, könnten wir die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) erwähnen. Diese Therapie gibt dem selbstverletzenden Verhalten einen vertraglich ganz genau geregelten Raum, der noch vor (!) Therapiebeginn zwischen dem Therapeuten und dem Patienten ausgehandelt wird.

Dadurch wird die Verantwortung für die Verletzung – so weit wie irgend möglich – dem Patienten wieder selbst übertragen. Dem Opfer-Täter-Retter-Spiel, welches Patienten so sehr lieben wird damit die Grundlage entzogen

Er muss dann zwangsläufig aus seiner Opferrolle raus, denn das Ziel ist es ja, dass die Dynamik hinter diesem  selbstschädigenden Verhalten von ihm verstanden und dann auch eigenständig aufgearbeitet wird.

Auch wird durch diese übertragungsfokussierte Psychotherapie gezeigt, wie sich das SVV auf die Umgebung auswirkt. Hierzu wird es in Kürze einen gesonderten Beitrag geben

Eine weitere, sehr stark verbreitete Therapieform ist die MBT – das heißt die „Mentalisierungsgestützte Behandlungskonzept“

Mentalisierung ist die Fähigkeit, das Verhalten von sich selbst und von anderen richtig zu interpretieren. „Am Verhalten des anderen ablesen, was in seinem Kopf vor sich geht…!

Die MBT konzentriert sich einerseits auf die Kontrolle aber auch gleichzeitig auf die Flexibilität des Verhaltens Sie (MBT) misst dem selbstverletzenden Verhalten einen sehr hohen Stellenwert bei – d.h. sie kehrt diese Problematik / diese Thematik definitiv nicht unter den Tisch.

Selbstverletzendes Verhalten wird hier als eine Wieder-Stabilisierung angesehen, wenn bei dem Betroffenen eine Ich–Auflösung (wir nennen es eine Fragmentierung) oder ein Selbstverlust droht. Die Mentalisierungsbasierte Therapie untersucht den inneren und den zwischenmenschlichen Rahmen des selbstverletzenden Verhaltens ganz genau im Detail, um dadurch irgendwie zu erkennen: was nun wann, und was im Einzelnen, die Auflösung der Ich-Struktur denn nun ausgelöst hat. 

(1.2) Verhaltenstherapie

Wir könnten das große Feld der Verhaltenstherapie mal in 6 groben Schritten zusammenfassen:

(1) Identifiziere und lösche positive und auch negative Verstärker für selbstverletzendes Verhalten.

(2) Benutze die kognitive Therapie, um Denk- Strukturen zu verändern, die dieses selbstverletzende Verhalten begünstigen. Entwickle zusätzlich Denkmuster, die selbstverletzendes Verhalten nicht mehr akzeptabel machen, und welche dann die Selbstsicherheit und die Toleranz Affekten gegenüber steigern.

(3) Benutze Sensibilisierungsstrategien, um die Toleranz in Bezug auf Stress zu erhöhen. Das sollten z.B. Pausen, Belohnungen, Ernährung, Sport ect… sein

(4) Nutze auch die soziale Unterstützung in der therapeutischen Beziehung, um ein neues / ein erwünschtes Verhalten heraus zu arbeiten.

(5) Nutze Verstärkung und Vereinbarungen von außen um dieses Neugelernte weiter zu verstärken. Arbeite an den sogenannten Bewältigung–Strategien (Skills),

(6) Und wenn natürliche Verstärker in der Umwelt auftauchen und dich unterstützen, dann nimm die erlernten Verstärker wieder zurück

Und über allem thront eine weitere wichtige Sache: Nutze die Macht von den bereits erwähnten schriftlichen Vereinbarungen. Du glaubst gar nicht, wie moralisch Vereinbarungen wirken können

Ein Beispiel für die Behandlung von selbstverletzendem Verhalten im Rahmen der Verhaltenstherapie ist z.B. die Dialektisch – Behaviorale Therapie. Wenn Du über diese Therapieform einen genaueren Einblick haben möchtest, dann schau dir hierzu gerne meinen Bericht an auf meiner Webseite an. Du findest hier sowohl das Video als auch den Redetext:

https://werdewiederstark.de/borderline-therapie-teil-4-gespraechstherapie/

Auch in der Dialektisch – Behavioralen Therapie (DBT) hat das selbstverletzende Verhalten eine extrem hohe Priorität. In erster Linie zielt sie darauf ab, mit Impulsivität, mit instabilem- und auch mit selbstverletzendem Verhalten besser umgehen zu lernen.

Diese Therapieform hat schon sehr lange und ausführlich bewiesen, dass sie dieses selbstverletzende Verhalten sehr wirksam bekämpft:

Ein Beispiel für Ihr Vorgehen hierbei ist z.B. folgendes:

“ Zeigt der Patient, dass er / sie sich vorstellen kann, das selbstverletzende Verhalten aufzugeben, dann sollte der Therapeut unmissverständlich zeigen, dass es schon ein großer Unterschied ist sich zu entschließen (!) ein Verhalten zu verändern, und es anschließend dann auch wirklich in die Tat umzusetzen.

Das zeigt, wie tief es hierbei in die Verhaltenstherapie hinein geht. Es zeigt aber auch, das eine Verhaltensänderung in dieser Tiefe ein sehr langer Weg in der Umsetzung sein wird… Rückschläge sind dabei praktisch unvermeidbar – aber völlig normal.

Man kann also selbstverletzendes Verhalten nicht generell verbieten. Um jedoch erfolgreich zu arbeiten, ist ein starker Entschluss und eine anhaltende Motivation dieses umzusetzen nötig.

(1.3) Die Traumazentrierte-Therapie

Das angestrebte Ziel in der traumazentrierten Therapie ist es, die zu dem selbstverletzenden Verhalten führenden posttraumatischen Erinnerungen oder die dissoziative Derealisation und Depersonalisation durch eine beruhigende Traumasynthese zu beenden.

Selbstverletzendes Verhalten wird hier als eine Selbstmedikation und -regulation der wiederkehrenden oder auch der spaltenden / dissoziativen Zustände verstanden.

Die Verletzungen werden hierbei zwar medizinisch korrekt versorgt, aber so wenig wie möglich (!) durch ein Besprechen dieser verstärkt oder bestätigt. „Es ist halt mal wieder geschehen – und es wird nicht einer besonderen Bemerkung gewürdig.“

Auch hier werden Vereinbarungen getroffen, dass die Selbstverletzungen z.B. nicht lebensbedrohend werden, auch nicht durch die Therapie weiter zunehmen und auch nicht mal andeutungsweise manipulativ eingesetzt werden dürfen.

Der zwischenmenschliche Blickwinkel dieser Handlung soll therapeutisch betrachtet auf ein absolutes Minimum reduziert werden.

Die dialektisch – Behaviorale Therapie entwickelt zurzeit (als „DBT – PTBS“ bezeichnet) ein speziell traumazentriertes Verfahren, dass sich ganz speziell mit der Borderline Symptomatik befasst. Sie soll zeigen, dass die Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung ohne Beachtung der Traumafolgestörungen praktisch überhaupt nicht möglich ist. 

(1.4) Die Familientherapie

Dies ist ein sehr delikates Thema, die Selbstverletzung innerhalb der Familie therapeutisch aufzuarbeiten – und das gleich aus mehreren Gründen:

      • Das Selbstverletzende Verhalten kann in einer Familie besonders intensive Wirkungen auf alle Mitglieder haben.
      • Es kann sowohl aus der Familie, deren Verhalten entspringen, es kann sich aber auch immer auf sie auch auswirken.
        „Die Familie als Verursacher und Opfer zugleich“
      • Es hängt stark davon ab, ob die Selbstverletzungen in der Familie öffentlich oder privat eher zurückgezogen durchgeführt werden.
      • Und wichtig ist dann auch, in welcher Form die Familie emotional hierauf reagiert:
        Meist erfolgt dies in Extremen:
      • Also entweder gar nicht oder gleich mit den allerheftigsten Emotionen.

Wir unterscheiden grundsätzlich einmal folgendeTypen von Selbstverletzern in der Familiendynamik:

    • Manipulative Selbstverletzter. Dies sind meist Borderliner. Und nicht zuletzt die psychotischen Selbstverletzer.

Die Familientherapie muss all diese Faktoren entsprechend erkennen / diagnostizieren und dann auch möglichst in die Therapie auch mit einbeziehen.

Forscher sehen das selbstschädigende Verhalten aktuell als Versuch, die widersprüchlichen Signale der eigenen Eltern genauso – wie ein Spiegel – in eigener widersprüchlicher / paradoxer Form zu beantworten.

Was ist also die Ursache? Die Frage nach Huhn oder Ei als Erstem kommt auch in diesem Thema immer wieder auf und ich wiederhole gerne meine Kernaussage: „Niemand kommt als Borderliner zur Welt“

Sieh Dir hierzu gerne einmal folgenden Beitrag in aller Ruhe an:

https://werdewiederstark.de/landing-page/beziehungswissen/borderline-der-schrei-nach-hilfe/borderline-entsteht-nicht-aus-dem-nichts/

Die Familientherapie zielt darauf ab,

      • die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern zu verändern, (Wwas bislang zu Problemen führte wird auch weiter zu Problemen führen“)
      • sie konkreter, offener und weniger zweideutig ablaufen zu lassen, um damit den Krankheitsverlauf ins Positive hinein günstiger zu lenken.

(1.5) Gruppentherapie, die stationäre Therapie und Hilfen im sozialen Umfeld

Die Gruppendynamik und die Behandlung einer ganzen Gruppe Betroffener – z.B. in einer Klinik – ist ganz besonders wichtig, wenn Selbstverletzungen sich aus der Gruppendynamik heraus entwickeln

      • z.B. als Identitätsmerkmal für den Einzelnen,
      • als ein gemeinsames Symbol
      • oder einfach nur als Auflehnung gegen die Institution / „gegen die da Oben…“.

In einer staatlich psychiatrischen Klinik – das nur mal als Beispiel aufgeführt – registrierte man in einem recht kurzen Zeitraum von nur drei Tagen 81 solcher Selbstverletzungen bei 12 Patienten im Alter zwischen 14 und 22 Jahren. Das fühlte sich wie ein Tsunami / wie eine Epidemie an.

Logischerweise führte dies in der Klinik zu einer großen Aufregung, inklusive massiven Spaltungs –, Konfusions – und Fragmentations – Erscheinungen.

Und um der Situation nun irgendwie gerecht zu werden wurde umgehend ein eigenes Klinikkomitee gegründet – ähnlich einer Task Force – um das Problem zu lösen. Als Ergebnis wurden fünf Empfehlungen aufgestellt:

      • Jede Behandlungseinheit sollte eigene Regeln aufstellen, wie nun mit Selbstverletzungen im Detail umzugehen sei.
      • Ältere Jugendliche sollten beobachtet werden, ob sie starke Tendenzen zum Ausagieren haben,
        • und Patienten mit einem hohen Risiko für Selbstverletzungen sollten erst gar nicht mehr in die Klinik neu aufgenommen werden.
      • Für die jüngeren Patienten sollte abends und am Wochenende deutlich mehr Pflegepersonal zur Verfügung stehen, um zusätzliche Gruppenangebote zu realisieren.
      • Eine Gruppe von jungen Erwachsenen außerhalb der Klinik wurde zusätzlich aktiviert, die sich wöchentlich mit den Mitarbeitern traf, um weitere Aktivitäten zu planen – „Thinking out of the Box“.
      • Patienten, die sich weiter verletzten – ohne alles Ihnen Mögliche zu tun um dieses Verhalten zu reduzieren – sollten verlegt werden.

Durch diese fünf Maßnahmen sank die Zahl der Handlungen schlagartig wieder auf ein „normales Niveau“. Diese 5 Empfehlungen zeigen, dass ein konkretes und zielgerichtetes Reagieren sehr große Auswirkungen haben kann. Therapie und Umgebung kann also wirklich helfen – man steht diesem Verhalten nicht hilflos gegenüber!!!

Sie sind aber nicht die einzige Möglichkeit, dem selbstverletzenden Verhalten konkret entgegen zu treten. Ich kann noch von einer weiteren besonders erfolgreichen Veränderung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung für ältere Jugendliche berichten: Auch diese geschlossene Station hatte eine hohe Zahl an Selbstverletzungen zu verzeichnen. Die Patienten liefen nachts von der Klinik weg und zeigten tagsüber überdurchschnittlich viel impulsives Verhalten.

Man stellte dann nach einem genauem Beobachten fest, dass die verschlossene Tür der Klinik bei den Patienten ständig mit einem Misstrauen gegenüber der Klinikleitung und dem Klinik-Personal in Verbindung gebracht wurde. Dies führte zu einem rigiden, unnachgiebigen und auch stark regressiven Verhalten bei den Stationsbewohnern.

Nach heftigen / intensiven Diskussionen wurden dann aber schlussendlich die Türen der Station geöffnet. Und das Ergebnis war mehr als erstaunlich:

Bereits im ersten Monat nach dem Öffnen der Tür sank das selbstverletzende Verhalten um 94 %, das Ausreißen um 73 % und das impulsive Verhalten um 69 %. Im Laufe eines Jahres sank die Zahl an Selbstverletzungen um sagenhafte 67 %. Es gab auch später praktisch keine weitere Epidemie an Selbstverletzungen.

Für die überwiegende Zahl der Patienten und auch der Mitarbeiter fühlte sich das Öffnen der Türen in der Station wie ein Plus an Sicherheit und Geborgenheit an.

Es hört sich paradox an – aber Freiheit wurde bei diesen Angst-Patienten (Angst ist die treibende Kraft des Borderliners) hier in der Klinik ausdrücklich mit Sicherheit in Verbindung gebracht!

(1.6) Selbsthilfe Gruppen bei Selbstverletzungen

Das Einrichten von Selbsthilfegruppen – beginnend seit ca. 1988 ist ein klarer Hinweis auf ein wachsendes Bewusstwerden für selbstverletzende Verhalten. Eine der größten dieser Organisationen trägt den Namen „Self Abuse Finally Ends“ (SAFE). In Großbritannien entstand der „Bristol Crisis Service for Women“ und 1989 die „Self-Harm-Conference“.

Aus all den Erkenntnissen welche in diesen Gruppen und ihren Arbeiten entwickelt wurden, entstand im Laufe der Zeit ein sehr wertvoller Leitfaden von Betroffenen für Betroffene.

Inzwischen gibt es auch immer mehr Literatur von Berichten und Selbsthilfebücher von Betroffenen in Deutsch.

Eine vielleicht etwas sehr anstrengende Zusammenstellung von Erfahrungsberichten Betroffener, gespickt mit Selbsthilfetipps und auch Gedichten (!) enthält z.B. das Buch „Anders Leben: selbstverletzendes Verhalten“ (Dark Angel 2004). Hier sind dann auch die Anlaufstellen für Beratungsstellen in ganz Deutschland aufgeführt. 

(1.7) Medikamente

Die Pharmakotherapie von selbstverletzendem Verhalten ist in den Grundzügen praktisch identisch mit der Medikamenten-Therapie der Borderline – Persönlichkeitsstörung.

Kurz und knapp gesagt: Wir können – Stand heute – keine störungsübergreifende Psychopharmakologische Empfehlung abgeben, um selbstverletzendes Verhalten mit Medikamenten wirkungsvoll angehen zu können.“

Wenn jemand gehen möchte, dann geht er…. Leider ……

(2) Körperliche Aspekte

Ist das selbstverletzende Verhalten denn nun ein psychosomatisches oder ein somatisches/ körperlich ausgelöstes Geschehen? Worin liegt die Ursache, oder was ist die Wirkung?

Wir können es nicht von der Hand weisen: selbstverletzendes Verhalten müssen wir zumindest teilweise als somatisch mit(!)verursachte Störung beschreiben. Um diese Frage beantworten zu können, sind Tierversuche eine von mehreren möglichen Herangehensweisen.

Man bedient sich hierbei unter anderem dem „sozialen Deprivationsmodell“ bei Menschenaffen.

Ein Deprivationsmodell ist, wenn dem Nachwuchs die Mutter und damit die Nestwärme entzogen wird. Bei den in diesem Versuch deprivierten Kindern kommt es dann deutlich vermehrter zu SVV. Dieses wird als Ausgleich zu dem Reizdefizit angesehen – ganz und gar vergleichbar mit dem Reizentzug in einer Isolationshaft / Einzelhaft.

Stell dir einen Gefangenen in einer Einzelzelle vor, oder einen Tiger im Käfig… Wie oft hat man dann schon gesehen, wie er immer wieder hin und her geht und auch mit dem Kopf gegen die Wand schlägt.

Zur Biologie und Neurobiologie von selbstverletzendem Verhalten werde ich noch einen separaten Beitrag erstellen. 

Eine kleine Zusammenfassung

Nach all dem was wir hier jetzt in den 4 Teilen miteinander besprochen haben, können wir uns zu folgender Hypothese / Arbeitsgrundlage im Zusammenhang von Stress, Impulsivität, Spannung, Dissoziation und selbstverletzendem Verhalten hinreißen lassen:

Aufgrund der genetischen Veranlagung, frühkindlicher Vernachlässigung und Schwächung durch Traumen der Ich-Funktionen sind Betroffene mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung deutlich weniger dazu in der Lage, Spannungszustände aller Art vernünftig in ihrem Leben zu regulieren.

All diese intensiven inneren und zwischenmenschlichen Spannungszustände, die unter anderem beim Wiedererleben von Traumen / oder von Flashbacks unverarbeiteter traumatischer Lebenserfahrungen hochkommen, führen dann zwangsläufig zu einem teilweisen Realitätsverlust und zu starker Hochspannung.

Ist diese Anspannung dann am aushaltbaren Höhepunkt angelangt, schaltet das Gehirn dieser Personen praktisch reflexhaft in eine Dissoziation / in eine Spaltung um.

Dies alles wird aller Wahrscheinlichkeit nach vom körpereigenen Opioid– und Serotonin–System ausgelöst und wirkt in diesem Moment förmlich wie eine Schutzwand gegen die äußeren Reize. Wir können hier schon von einer Art Selbstmedikation des Körpers und auch der Seele sprechen. 

Dieser Schutz hält aber nicht lange an. Sehr schnell wirkt er sich sogar kontraproduktiv aus, weil sich durch diese Schutzmauer das Gefühl wie in einer Einzelhaft einstellt.

Und was ist die Folge davon? Logischerweise die Deprivation / das Gefühl der Vernachlässigung. In diesem Zustand der sozialen Isolation und der inneren Reizarmut wirkt das selbstverletzende Verhalten dann auf den Leidenden Wiederbelebend.

Und es ist wirklich so:

Selbstverletzendes Verhalten ist ein Wiederbelebungsversuch, und nur in Ausnahmefällen ein Teil-Suizid.

Kannst Du Dich noch an die Lobotomie im ersten Teil dieser Reihe erinnern? Stichwort: Jack Nicholson „Einer flog übers Kuckucksnest“ Mit einem leicht sarkastischen Augenzwinkern habe ich auf die „tollen Ergebnisse einer präfrontalen Lobotomie“ hingewiesen.

Ich bin der Überzeugung: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl deutlich wirksamerer Mittel und Therapien entwickelt, die den Betroffenen helfen, mit der Borderline-Störung effektiver umzugehen.

Wir dürfen gespannt darauf sein, was die Zukunft bringen wird.

Lassen Sie uns miteinander ins Gespräch kommen. 

Marcus Jähn Werde wieder stark durch CoachingEs sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind. 

  • Was ist das eigentlich, eine Persönlichkeitsstörung, ein Perfektionismus, ein Spaltung oder eine Gegenübertragung?
  • Kann ich trotz Borderline oder Narzissmus eine stabile Partnerschaft aufbauen und damit über Jahre hinweg leben? 
  • Ist eine Kommunikation mit einem Borderliner möglich? Wie hilft hier die U.M.W.E.G.-Methode©? 
  • Kann ich meine Bindungsangst oder Verlustangst irgendwann einmal kontrollieren?
  • Was kann ich tun, wenn ich mich gerade in einer Trennung befinde, oder kurz davor bin?


Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:

  • Eine humorvoll und spielerisch – ja fast tänzerisch – eingesetzte Gewaltfreie Kommunikation in Kombination mit der von mir entwickelten 
  • U.M.W.E.G.-Methode© und nicht zuletzt die Transaktionsanalyse als Sprachkonzept können helfen, auch in schwierigen Situationen noch kühlen Kopf zu bewahren. 

Buchen Sie sich einfach auf meinem Online-Kalender ein Zeitfenster oder nutzen Sie mein klassisches Kontaktformular um mit mir in Verbindung zu treten. Ich freue mich auf Sie. Ihr Marcus

Marcus Jähn Meine Buchempfehlung zu diesem Thema

Kommunikation mit einem Borderliner

Ein Buch, das praxistauglicher kaum sein kann. Persönlichkeitsstörungen sind aufgrund der Instabilität an Komplexität praktisch nicht zu überbieten. Darum machen viele Psychotherapeuten auch einen Bogen um die Therapie hiervon Betroffener. Nicht so der Psychiater  Jerold Kreisman der sein Leben der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörung gewidmet hat. Das Lesen dieses Buches hat mich zu meiner U.M.W.E.G. inspiriert. 

Aufgrund der vielen Praxisfälle kann man die Affekte und Symptome  besser verstehen. Die vielen Tipps für den Umgang mit den Betroffenen sind eine echte Hilfe und nehmen einem die Wut und Aggressionen, die oft im Kontakt mit dieser Krankheit entstehen und erzeugen vielmehr Verständnis und Mitgefühl. 

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