Schriftzug Marcsu Jähn

Borderline – wenn der Start ins Leben ein „Fehlstart“ ist

Negative Kindheits-Erlebnisse sind ein starkes Risiko dass sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt! Darüber sind wir uns heute im Klaren. Aber: sie sind nicht zwangsläufig ihre alleinige Ursache.

Zum Glück gibt es heute bereits sehr viele Studien über die Borderline – Persönlichkeitsstörung. Sie zeigen allesamt auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen zerrütteten Familien, Kindheitstraumen und sozialen Stressfaktoren auf. 

Aber warum wird eigentlich nicht jeder, der in einer solch „schwierigen“ Umgebung aufwächst ein Borderliner? Menschen haben eine tolle Eigenschaft, die Ihnen im Allgemeinen bei negativen Ereignissen hilft, diese zu bewältigen: Es ist ihre Resilienz. Der Eine hat mehr davon als der Andere.

Weil dem so ist, können wir davon ausgehen, dass die Ursache für eine Borderline – Persönlichkeitsstörung in der Wechselbeziehung zwischen äußeren Stressfaktoren und dem genetisch vorbestimmten Temperament liegt.

Hier ein kleiner Einschub: Was ist das Temperament und wie unterscheiden wir es von dem Charakter und der Persönlichkeit?

Temperament ist der angeborene Teil – also die genetische Basis unseres Verhaltens. Wir unterscheiden hier in der Hauptsache 4 Bereiche:

      • den Choleriker, den Sanguiniker, den Phlegmatiker und den Melancholiker.

Wir können heute sagen, dass ein Mensch, der als Choleriker geboren wurde für den Rest seines Lebens kein Melancholiker wird. Das Temperament ist naturgegeben und bleibt uns bis zum Tode erhalten.

Der Charakter ist unser Verhalten, also all das was uns von außen anerzogen wurde, und wir durch unsere Beziehungen voneinander gelernt haben.

Die Persönlichkeit ist jetzt der letzte Teil: Sie macht nur ca. 20% unseres Verhaltens aus. Sie ist das eigentliche Ich und zeigt sich durch persönliches Bewerten von unserem Charakter und dem Handeln in der jeweiligen Situation – es ist also unser Verhaltensmuster. 

Was verursacht Borderline?
Was ist die Ursache für Borderline?
Borderline Kriterien

Teil 1 – Risiko ist nicht gleich Ursache!

Wenn ich in meiner Kindheit negative Ereignisse erlebe, dann sind diese gleichzeitig auch Risikofaktoren für die Bildung kranker psychischer Symptome.

1.1 Aber: Sie müssen nicht zwangsläufig zu psychischen Störungen führen!

Wir beobachten immer wieder, dass sich die allermeisten Kinder als resilient also widerstandsfähig zeigen. In Wirklichkeit entwickeln sich nur recht wenige von ihnen zu Erwachsenen mit einer „Störung“. Der allergrößte Teil der Betroffenen übersteht solche schlimmen Erfahrungen zum Glück ohne negative Veränderungen.

1.2 Ein weiterer Punkt ist der, dass die meisten Menschen mit der gleichen Störung völlig verschiedenen Risiken ausgesetzt waren. Nur, weil jemand die Diagnose Borderline erhalten hat heißt es nicht, dass er auch dasselbe erlebt haben muss wie ein anderer Borderliner!

Gehen wir mal einen Schritt tiefer in die Praxis. Es muss ja einen Grund dafür geben, dass Borderline mit diesen Faktoren immer wieder in Verbindung gebracht wird. Und ja, in der überwiegenden Zahl, werden negative Kindheits-Erlebnisse deutlich häufiger von Menschen mit psychischen Störungen berichtet als von denjenigen, die noch nie mit einem psychischen Problem in einer Behandlung waren. Aber, wenn wir einmal über alle Menschen in der Gesellschaft drüberschauen, dann erkennen wir, dass die gleichen Belastungen eher nur bei einer Minderheit eine Störung hervorruft, die behandelt werden muss führt.

Zwischenfazit: Es besteht keine zwangsläufige (!) Verbindung zwischen Kindheitserfahrungen und dem Erwachsenenleben.

Der Grund für diese unterschiedlichen Ergebnisse sind die Wechselbeziehungen zwischen

      • unseren Genen,
      • der Umwelt
      • und unserem Charakter.

Bei Kindern mit einer feineren und empfindsameren Veranlagung ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher auf einen Stressfaktor zu reagieren als ein Kind das von Natur aus etwas „robuster“ reagiert.

Eben sprachen wir ja von den 4 Temperaments-Richtungen. Wenn wir diese nun nochmal zugrunde legen, dann wird auch klar, das Kinder mit einem schwierigen Temperament viel öfter in einen Konflikt mit ihren Eltern oder Gleichaltrigen kommen als diejenigen die sich etwas ängstlich eher im Hintergrund aufhalten.

Die Folge davon? Wer mehr Streit hat, verspürt auch mehr soziale Ablehnung oder erfährt auch öfter körperlichen Missbrauch. 

Bis jetzt haben wir lediglich die Veranlagung und den Umgebungsfaktor als besonders Auswirkung herausgestellt. In der Praxis reicht dies aber immer noch nicht aus. Zur Bildung einer psychischen Störung spielen auch weitere – sogenannte Drittfaktoren – eine Rolle, da Kinder die einem bestimmten Risiko ausgesetzt sind, wahrscheinlich auch mit vielen weiteren Problemen zu kämpfen haben.

Das Risiko für stressbelastete Kinder / Jugendliche im Erwachsenenalter eine psychische Störung zu entwickeln, besteht nämlich aus einer ganzen Kette negativer Erfahrungen. Behalten wir dies immer im Hinterkopf

Ein kurzes Fazit bis hierhin: Der Zusammenhang zwischen eindeutig traumatischen Erfahrungen wie Kindesmissbrauch und pathologische Spätfolgen ist sehr dünn, das zeigt auch die aktuell vorhandene Literatur mit all ihren Studien sowohl über sexuellen Kindesmissbrauch als auch über körperlichen und seelischen Kindesmissbrauch.

Statistisch gesehen besteht wirklich nur in den allerwenigsten Fällen eine konkret nachweisbare Beziehung zwischen diesen Dingen.

In der Zwischenzeit gibt es aber zum Glück immer mehr fundierte Literatur auf dem Markt, in der sich Professoren und andere Fachleute intensiv mit diesen sogenannten Resilienz-Mechanismen befasst haben.

Kurz noch einmal ein Wort zum Thema Resilienz: Man könnte es mit dem schönen Satz beschreiben: „Selbst unter Druck, nicht zu zerbrechen!“ Das Wort stammt vom lateinischen resiliere, also abprallen, zurückspringen.

Wir verstehen darunter die Fähigkeit,

      • an Widerständen nicht zu zerbrechen,
      • sondern sich ihnen gegenüber als widerstandsfähig zu erweisen –
      • und vielleicht sogar durch diese stärker zu werden.

Welche biologischen und / oder psychosozialen Gründe, fördern denn die Entwicklung dieser „Immunität“ gegen negative Erfahrungen?

      1. Kinder mit positiven Persönlichkeits-Eigenschaften und einem höheren Intelligenzquotienten zeigen deutliche mehr Ressourcen.
      2. Manchmal können aber auch Belastungen selber zu einer erhöhten Resilienz gegenüber potentiellen zukünftigen Stress Erfahrungen.
      3. Was praktisch immer hilft im Kampf gegen negative Erfahrungen, sind positive Beziehungen.

Probleme, Ursachen voneinander zu unterscheiden:

Als wenn alles noch nicht kompliziert genug ist, kommt noch ein weiteres Problem hinzu:

Problem (1)

Die meisten Untersuchungen von Patienten während eines klinischen Aufenthaltes haben Methoden verwendet in denen die Betroffenen zu ihrer Vergangenheit hin befragt wurden. … Aber mal ehrlich: Wie verlässlich sind die Daten, wenn wir Sie nur von den Menschen bekommen, die sich gerade in einer sehr schwierigen Lebensphase aufgrund ihrer Erkrankung befinden? Diese werden nun gebeten, einen genauen / korrekten Bericht über ihre oft  bereits Jahrzehnte zurückliegende Krankheit abzugeben – hier müssen wir wirklich sehr vorsichtig mit umgehen.

Aber so ganz alleine auf weiter Flur stehen wir ja nicht… Manchmal können wir mittels der Fremdanamnese von Geschwistern oder anderer objektiver Berichte die Erfahrungen aus der Kindheit bestätigt bekommen. Man kann jedoch nie davon ausgehen, dass Patienten-Berichte ohne eine unabhängige Bestätigung Dritter der Wirklichkeit entsprechen!

Erinnerungslücken führen immer wieder zu Verzerrungen in der Wahrnehmung und diese bewirken dann, dass die aktuelle Belastung (darum befinden sie sich ja auch gerade in medizinischer / klinischer Behandlung) die Erinnerung eintrübt.

Die Rechtspsychologin Julia Shaw fasste die Erinnerungsweise unseres Gehirns mal folgendermaßen zusammen: „Erinnerungen lassen sich formen wie eine Kugel aus Lehm.“ Das zeigt, wie wenig wir uns bereits unter „normalen“ Umständen auf unser Gedächtnis verlassen können – wieviel weniger unter Belastung!

Sehen wir uns Patienten an, welche sich einer Trauma-Therapie befinden, dann erkennen wir besonders hier die Tendenz zu falschen Erinnerungen. Darum sollte man wirklich nur solche Erinnerungen als wahr betrachten,

      • die nie richtig vergessen wurden und
      • die nicht in einer Psychotherapie-Sitzung zum ersten Mal aufgetaucht sind.

Wenn wir das alles mal zusammenfassen wollen, dann können wir sagen,

      • dass negative Kindheitserfahrungen zwar das Risiko für eine psychische Erkrankung erhöhen,
      • ihre Auswirkungen aber nur unter Verwendung eines Stress – Diathese – Models psychischer Störungen verstanden werden können.

Das Stress-Diathese-Modell wird oft auch Vulnerabilitäts-Stress—Modellgenannt. Diathese ist altgriechisch und bedeutet zu Deutsch Aufstellung / Zustand. Das Diathese-Stress-Modell besagt also, dass ein einzelner Auslöser nicht dazu ausreicht, um es zu psychischen Problemen kommen zu lassen.

Eine Psychopathologie entsteht nicht aus dem Nichts. Stressoren triggern bestimmte Veranlagungen – und genau diese Kombination bestimmt dann den Typ der jeweiligen Pathologie. 

Teil 2: Welche negativen Erlebnisse begünstigen eine Borderline – Persönlichkeitsstörung?

In den zurückliegenden Jahrzehnten hat es zum Glück schon sehr viele Untersuchungen gegeben, um die Zusammenhänge zwischen negativen Erlebnissen und einer Borderline – Persönlichkeitsstörung zu untersuchen. Und dabei fielen immer wieder drei Hauptrisikofaktoren auf:

      • dysfunktionale Familien
        • (damit ist ein psychisch krankes Verhalten der Eltern, familiäre Zerrüttung und krankhaftes Erziehungsverhalten gemeint)
      • Sexueller oder körperlicher Kindesmissbrauch
      • Soziale Stressoren aus der Umgebung

2.1 Dysfunktional „gestörte“ Familien

Dysfunktional: „Es funktioniert einfach nicht“. Funktion kommt aus dem Lateinischen: „Arbeit, Verrichtung“ Dysfunktion: Ich kann eine Aufgabe nicht erfüllen. Und ja: Familien haben auch Aufgaben…..

Kommen wir zurück zu unserem Borderliner und der Aussage, dass wir häufig bei Borderlinern in den Ursachen auch die dysfunktionale Familie sehen: Auffallend häufig kann man beobachten, dass das Umfeld eines Borderliners selber mit einer stark ausgeprägten psychischen Belastung zu kämpfen hat. Die Gefahr / Chance ist dann recht hoch, dass es auch einen genetischen Faktor für die Übertragungen gibt. Der eigentliche Mechanismus ist aber nicht genetisch, sondern vollzieht sich anschließend auf der epigenetischen Ebene!

Studien hat z.B. klar gezeigt, dass zwischen der Genetik und starkem äußeren Stress ein Zusammenhang besteht, der für die pathologischen Folgen verantwortlich ist.

Schauen wir uns mal die Verwandte ersten Grades etwas genauer an: Diese Verwandten eines Borderliners haben überdurchschnittlich häufig selber eine Störung im „impulsiven Spektrum“ (Wir sprechen hier beispielsweise von einer antisozialen Persönlichkeit, Substanzmissbrauch oder auch selber Borderline) oder einer grundsätzlich affektiven Störung.

Die familiäre Zerrüttung kommt weit häufiger bei Borderline – Patienten vor, als dass wir diese in der Allgemeinbevölkerung sehen – und trotzdem ist dies nicht der (!) alleinige Grund für diese Erkrankung. Denn Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung, deren Familie zerrüttet ist, haben meist auch eine Vergangenheit, die von multiplen sozialen Belastungen geprägt ist – da reicht der Aspekt der Familienzerrütung alleine nicht aus.

Auch wenn es einerseits klar auf der Hand liegt, dass eine Trennung der Eltern während der Kindheit grundsätzlich immer ein Risiko für Borderline im Erwachsenen Alter bringt, so sind die Langzeitfolgen familiärer Zerrüttung immer noch nicht der alleinige Faktor! Die Umstände können nämlich sowohl das Risiko einer Borderline-Entwicklung aber auch einer Resilienz erhöhen. Den einen macht eine Umgebung schwach – den anderen stärkt die gleiche Umgebung….

Solche Studien können eins nämlich nicht: Sie spiegeln nicht differenziert genug wider, wie sich eine Trennung oder ein Verlust auf Kinder auswirkt, deren Temperament einerseits eher empfindsam ist, im Vergleich zu Kindern mit komplexen Belastungen.

Ein Blick in die Bindungstheorie

Der Gedankengang / die Schlussfolgerung, dass Kinder mit einer schweren Persönlichkeits-Störung schon früh emotional vernachlässigt wurden, stammt aus der Bindungstheorie. Die Bindungstheorie besagt, dass die in der Kindheit gemachten klaren, dauerhaften, empathischen und positiven Erfahrungen mit den Eltern, später im Erwachsenenalter zu einer emotional sicheren und starken Persönlichkeit beitragen.

Die Begriffe: Klar, dauerhaft, empathisch und positiv sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig, und sollten auch so einmal genauer betrachtet werden:

Denn Studien zum Thema Kindererziehung zeigen, dass Borderliner nicht immer nur Vernachlässigung erlebt haben. Bei sehr Vielen konnte man nämlich sogar das genaue Gegenteil im Verhalten der Eltern erkennen – die haben ihr Kind förmlich „überbehütet“.

Aber die Gültigkeit dieser Studien etwas begrenzt: Sie wurden retrospektiv (zurückblickend) gewonnen und können eher etwas über die subjektive Wahrnehmung der Patienten aussagen, aber leider keine harten Fakten liefern.

Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Kinder mit einem stärker ausgeprägten Wunsch nach Sicherheit und Bestätigung diesen nicht durch ihre Eltern gestillt bekommen. 

2.2 Kindesmissbrauch

Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein nicht wegzudiskutierender Risikofaktor für die Entwicklung einer Borderline–Persönlichkeit. Er ist nämlich genauso fundamental erschütternd wie andere Kindheitstraumen B. körperlicher Missbrauch und auch schwerer verbaler Missbrauch.

Einige Forscher sehen hierin für sich den Beweis, dass traumatische Erfahrungen die Hauptursache für die Entwicklung einer Borderline – Persönlichkeitsstörung seien.

Metaanalysen (also Forschungen welche die Ergebnisse einzelner Analysen zusammenfassen) zeigen aber ein anderes Bild: Und zwar dass die Beziehung zwischen dem Risiko und den Folgen in seiner Menge eigentlich gar keine große Bedeutung / Gewichtung hat. Kindheits-Traumata werden nämlich auch mit einer ganzen Reihe anderer Diagnosen assoziiert vor allem mit Depression, Allerdings wurde bei der Untersuchung der traumatischen Erfahrungen deren Schweregrad nicht beachtet.

Das ist deswegen so problematisch, da sexueller Kindesmissbrauch nicht als einzelner Risikofaktor betrachtet werden kann.

Studien haben nämlich gezeigt, dass die Auswirkungen eines Traumas zum größten Teil

      • von der Person des Missbrauches
      • dann von der Art und
      • auch der Dauer des Missbrauchs abhängen.

In Studien bei denen auch diese einzelnen Bedingungen des Missbrauchs untersucht wurden, waren die dort berichteten Traumata genauso unterschiedlich wie sich auch die restlichen Traumen in der „normalen Bevölkerung“ voneinander unterscheiden. Die meisten der von Borderline – Patienten berichteten Missbrauchs-Erfahrungen hingegen gehören häufig nicht zu denen mit Spätfolgen.

Es tauchen z.B. keine / oder nur sehr seltene Missbrauchs-Wiederholungen auf, weder Geschlechtsverkehr noch Inzest, sondern viel eher sind es solche einmalig auftretenden Ereignisse in Form einer sexuellen Belästigung durch einen Nicht–Verwandten beziehungsweise durch eine unbekannte Person.

Die Professorin Mary C. Zanarini (Psychologie-Professorin in Harvard) kommt zu dem Schluss, dass ein Missbrauch innerhalb der Familie – als die schwerste Form sexuellen Kindesmissbrauchs – „nur“ bei etwa einem Viertel der Borderline – Patienten vorkommt. Für die Entstehung dieser Störung noch wichtiger sind eher schwere Missbrauchs-Erlebnisse wie Inzest, brutale Sexualhandlungen oder eine hohe Dauer oder Häufigkeit des Missbrauchs.

Trotz aller guten Studien stochern wir aber immer noch mit unserem Wissen im Nebel…

Problem 2

Denn wie soll man die Rolle der mit familiärer Dysfunktion in Verbindung gebrachten Drittvariablen denn eigentlich richtig bewerten???

Problem 3

Wegen dieser Dysfunktion lässt sich nur schwer feststellen, ob Spätfolgen vielleicht eher auf ein einzelnes Trauma oder auf den sich anhäufenden Effekt mehrerer (!) negativer Erlebnisse zurückzuführen sind.

Problem 4

Und dann spielen höchstwahrscheinlich auch die Gene wieder eine Rolle.

      • Durch die Gene wird unser Temperament bestimmt.
      • Das Temperament selber spielt dann eine wichtige Rolle dabei, wie sensibel ein Kind nun auf den Missbrauch reagiert.

Problem 5

Möchtest Du noch ein Problem für die Studien hören? Eins hätte ich noch: Es gibt einfach keinen symptomatischen Marker für Kindesmissbrauch.

Forscher wie Judith Lewis Herman (Buch: Die Narben der Gewalt – Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden) und Bessel van der Kolk stellten die Hypothese auf, dass solch konkreten Symptome

      • wie Dissoziation
      • und Selbstverletzung,

die sehr häufig bei Borderline–Patienten auftreten, das Resultat einer Traumatisierung seien. Studien zeigten aber, dass diese Symptome aber genauso häufig auch bei nicht (!) traumatisierten Borderline–Patienten vorkommen können.

Problem 6

      • Außerdem – wir sind ja noch nicht am Ende der Schwierigkeiten – ist die Fähigkeit zur Dissoziation stark vererbbar.

Darum sind solche Faktoren wie

      • familiäre Psychopathologie und
      • Zerrüttung sowie
      • traumatische Ereignisse

zwar ein Risiko für eine Borderline–Persönlichkeitsstörung … sie sind aber nicht deren einzige Ursache. 

2.3 soziale Stressauslöser

Obwohl die Rolle sozialer Stressauslöser in der Psychopathologie immer noch nicht genügend erforscht wurde, so liegen zumindest indirekte Beweise vor das sie bei der Borderline–Persönlichkeitsstörung und eine wichtige Rolle spielen. Eine sehr viel wichtigere Rolle spielen diese sogenannten Stressoren bei der antisozialen Persönlichkeit.

Ein Faktor könnte dabei z.B. der Zusammenbruch traditioneller sozialer Strukturen in unserer Gesellschaft sein. Es ist nämlich interessant zu beobachten, dass bei den Persönlichkeitsstörungen – wie die antisozialen Persönlichkeitsstörung – starke kulturelle Unterschiede bekannt sind.

Auch sehen wir, dass traditionelle und gut integrierte Strukturen bei negativen Erfahrungen einen schützenden Effekt vor einer Persönlichkeitsstörung haben und die Resilienz fördern. 

Teil (3) Das Stress-Verletzbarkeitsmodell-Modell bei Borderline – Persönlichkeitsstörungen

Ich hatte vorhin bereits erwähnt, dass die Entstehung einer Borderline – Persönlichkeitsstörung auch durch die Gen–Umwelt–Beziehung beeinflusst wird. Wir können heute sagen, dass etwa die Hälfte der Persönlichkeitsstörungen durch unser Erbgut gefördert wird.

Die genaue Art und Weise der Veranlagung für eine Borderline– Persönlichkeitsstörung ist allerdings noch nicht völlig klar. Hier gehen die Meinungen der Forscher deutlich auseinander

      • Professor Otto Kernberg (ein amerikanischer Professor) ist der Ansicht, dass Borderline – Patienten von Natur aus hochgradig aggressiv sein.
      • Die Forscher Larry J. Siever und Kenneth L. Davis halten zwei Arten der Veranlagung für wichtig: affektive Instabilität und Impulsivität.
      • Marsha Linehan (eine amerikanische Psychologin) konzentriert sich auf die affektive Dysregulation als Veranlagungsrisiko.
      • Weitere Forscher beobachteten ihrerseits eine starke Neigung für impulsive Eigenschaften.

Es gibt so viele Studien um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob sich eine Borderline – Persönlichkeitsstörung

      • durch genetische,
      • biologische
      • oder neurologische Ursachen

erklären ließe, aber keine dieser Ursachen ist für sich alleine die einzig Ausschlaggebende.

Es ist eher wahrscheinlich, dass bei der Veranlagung Epigenetische Regulatoren eine Rolle spielen, wie dies bereits in Bezug auf die antisoziale Persönlichkeit festgestellt wurde. Am vernünftigsten erscheint heutzutage darum die Annahme, dass Kinder, die später eine Borderline – Persönlichkeitsstörung entwickeln, mehr Hilfe / Unterstützung / Aufmerksamkeit von ihrer Familie und ihrer Umgebung brauchen als stressresiliente Kinder.

Negative Ereignisse haben auf sensible Kinder einfach eine stärkere Wirkung. Und diese Wirkung wird dann leider nicht von einer engen Bindung zu den Eltern oder zu anderen Menschen abgepuffert. Das führt zu dann einer instabilen Emotionalität und dann zu uns bekannten impulsiven Handeln. Entwickelt sich daraus am Ende noch eine Dysfunktion, dann ist das Bild einer Persönlichkeitsstörung „perfekt“.

Fazit

      1. Persönlichkeitsstörungen mit ihrer komplexen, mehrdimensionalen Psychopathologie erfordern Das wir uns mit den negativen Kindheitserlebnissen intensiv auseinandersetzen ein breites multidimensionales Herkunfts-Modell, welches die sehr komplexen Interaktionen zwischen multiplen Stressoren und Diathesen berücksichtigt.

      2. Bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sollten nicht unbedingt und ausschließlich die Eltern verantwortlich gemacht werden. Wenn es stimmt, dass negative Kindheitserlebnisse zwar ein Risiko für diese Erkrankung darstellen, aber nicht die Hauptursache sind, dann sollten Therapeuten immer im Hinterkopf behalten, dass eine effektive Psychotherapie es erforderlich macht, die Kindheitstraumen offenzulegen und durchzuarbeiten.

Zum Glück entwickeln sich auch die Therapien immer weiter. Heute beschäftigen sich die meisten effektiven Persönlichkeitstherapien weniger mit der Vergangenheit, sondern eher mit Methoden der Ressourcen-Aktivierung.

Als Beispiel möchte ich hier die Forschungen von Martin Seligman erwähnen. Er war 1998 Präsident der APA (der nordamerikanische Fachverband für Psychologie). Er ist als der geistige Vater der positiven Psychologie bekannt geworden. Hierdurch lernen die Patienten, ihre Persönlichkeits-Eigenschaften so zu regulieren, dass sie Ihnen nützen und nicht mehr schaden.

Was ich kann, soll gefördert werden um die Schwächen möglichst zu vergessen…. 

Marcus Jähn Meine Buchempfehlung zu diesem Thema

Der Fokus entscheidet …

Martin Seligman (amerikanischer Psychologe), war Präsident der APA und bekannt durch seine Studie „erlernte Hilflosigkeit“. 

Seine fast schon stoische Kultivierung von Ressourcen und der Blick auf das Positive sind das Kernmerkmal seiner PERMA-Strategie. Der Fokus liegt hier in der Erforschung von menschlichen Ressourcen, Stärken und Potenzialen und ganz besonders des inneren Wohlbefindens – dem flow… 

Die „Positive Psychologie“ ist keineswegs nur ein Thema für einzelne Personen. Sie wird an vielen Hochschulen und Unternehmen praktiziert. Aber auch der deutsche Bundestag setzte 2010 die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ und 2008 der damalige französische Präsident Sarkozy die „Stieglitz-Sen-Fitoussi-Kommission“ ein, um alternative Wohlstandsindikatoren zu erforschen. 

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