Schriftzug Marcsu Jähn

Karl Valentin - Du kannst Deinen Kindern erzählen was du willst, sie machen nur das nach, was du ihnen vorlebst

Kann Borderline vererbt werden?

Ist Borderline erblich?

Eines der bekanntesten Zitate von Carl Valentin ist: „Du kannst deinen Kindern beibringen was du möchtest … sie machen Dir doch sowieso alles nach.“

Dies zeigt mit einem humoristischen Augenzwinkern, dass sich das Verhalten der Eltern immer auch auf das künftige Verhalten der eigenen Kinder überträgt.

Das weiß man logischerweise auch in der Psychoanalyse. … Aus ihrer Sicht heraus, betrachtet man die Informationen aus der Kindheit erst einmal aus dem retrospektiven Standpunkt. Man versucht dadurch zu verstehen, wie der Mensch / sein Charakter entstanden ist und warum er sich heute so verhält. Dies ist die typische Arbeitsweise, die Sigmund Freud so revolutionierte. Aber trotz dieses genialen Ansatzes ist dies aus heutiger Sicht nicht umfassend genug.

Darum schauen wir heute zusätzlich noch einen anderen Ansatz an: den prospektiven Ansatz. Dieser bezieht sich zusätzlich zu dem inneren Denken auch auf die direkte Beobachtung der aktuellen Handlungen um die Haltung / den Charakter besser zu verstehen und Rückschlüsse auf künftiges Handeln zu erzielen.

Diese retrospektive und gleichzeitig auch prospektive Betrachtung wird heute in den Generationen-Studien recht wirkungsvoll eingebunden. Das ist auch bitter nötig, wenn man sich mit den katastrophalen Auswirkungen, der oft noch unbearbeiteten frühen Lebenserfahrungen der Eltern auseinandersetzt, welche ihrerseits die Beziehung mit ihrem Kind und ihre Fähigkeit, gute Eltern zu sein, sehr stark belasten.

In aktuellen Mehrgenerationen- Untersuchungen konnte man klar aufzeigen, dass die Bindung zu der eigenen Mutter zwangsläufig stark die Bindung zu dem eigenen Kind beeinflusst.

Hat die Mutter z.B. selber eine problematische Mutter-Beziehung gehabt (damit meine ich also die Oma), es ist ihr aber gelungen diese gut aufzulösen, dann ist sie deutlich eher dazu in der Lage, selber eine gute Beziehung zu ihrem eigenen Kind aufzubauen. Ist ihre Mutter-Beziehung jedoch immer noch mit Konflikten / Streit belastet, ist die eigene Eltern-Rolle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ähnlich problembelastet. 

In einer Reihe von Studien hat man sich besonders auf Kleinkinder konzentriert, die in ihrem jungen Leben mit Gewalt bereits stärker traumatisiert wurden. Und logischerweise konnte man hier ein klar erkennbares Risiko dafür feststellen, dass diese traurigen Erlebnisse später im eigenen Leben, besonders zu dem Zeitpunkt der typischen Entwicklungsschritte und Beziehungen, zu ihnen gewissermaßen „zurückkehren“ – sie das alles wie in einem Flashback neu erleben lassen.

Es sind diese „Geister der eigenen Vergangenheit“, die einen so verunsichern und verstören, dass man praktisch nicht mehr dazu in der Lage ist, seine eigenen Kinder halbwegs „normal“ zu erziehen.

Seien wir aber immer vorsichtig mit unseren Äußerungen. …
Bislang wissen wir, dass sich konkret etwas durch Traumatisierungen in der Kindheit ändert. Aber … genaue Handlungen präzise vorauszusagen ist praktisch unmöglich. Darum dieses Wort der Vorsicht hier… 

Borderline ist ein klar pathologisches Phänomen, dass extrem häufig bei physisch misshandelten, missbrauchten und vernachlässigten / missachteten Kindern auftritt.

Ein Kind muss aber nicht zwangsläufig selber diese Erfahrungen erlitten haben… Auch diejenigen, welche die Gewalt „lediglich beobachtet haben“ können schon früh traumatisiert worden sein.

Und hier wird das Problem noch größer / praktisch nicht mehr medizinisch greifbar: Denn genau diese Gruppe ist wegen ihrer so typischen „Unauffälligkeit“ selten im Rampenlicht der Studien. Sie erhalten praktisch nie die für sie so notwendige therapeutische Unterstützung.

Und was ist dann die Folge davon? Es sind dann ähnliche Langzeitfolgen zu erwarten wie bei denjenigen, die einer direkten Misshandlung / einem Missbrauch / einer dauerhaften Missachtung ausgesetzt waren. 

Was könnte die Schlussfolgerung hiervon sein?

So, wie in anderen Entwicklungstheorien auch, wird in der Psychoanalyse von einer Tatsache ausgegangen: Und zwar von der Tatsache, dass sich – wenn wir uns die Art und Weise der Beziehungsgestaltung anschauen – eine deutlich erkennbare Entwicklung über die Generationen hinweg entwickelt. Bei all den Personen, die mit einem sehr hohen psychosozialen Risiko aufwachsen – die also in ihrer Kindheit viel Unsicherheit und Unbeständigkeit erfahren – treten in deutlich größerer Zahl diese inneren Widersprüche auf welche sich nach außen wiederum in einem emotional instabilen Verhalten zeigen.

In den letzten Jahren haben zum Glück die Forschungen an Zahl zugenommen, welche die Folgen von diesen häufigen Realtraumatisierungen wie z.B. körperlicher Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Vernachlässigung und Missachtung auf die Psyche junger Kinder erforschen. Und – was ein Wunder … – besonders die Studien an solchen Kindern, die in ärmeren Gebieten z.B. in den Innenstädten unter sehr hohem Stress aufwachsen, zeigen eine ganze Reihe von problematischen Verhaltensweisen.

An welche Verhaltensweisen denke ich hier? Kurz gesagt: „Worte und Diskussionen nehmen ab, Handlungen nehmen zu…“

      • Damit meine ich, dass ein immer impulsiveres, handlungsorientiertes Verhalten, eine verbale und körperliche Aggression zunimmt.
        Andererseits aber die Frustrationstoleranz und eine Hoffnung auf eine gute Zukunft abnimmt.
      • Die Beziehungen welche diese Kinder aufbauen sind deutlich einfacher / primitiver / rudimentärer und zeigen sehr oft ein recht widersprüchliches, verwirrendes oder ambivalentes Verhalten mit anderen auf.
      • Und noch etwas trauriges kommt hinzu (ich denke hier an die Perspektive)
        Wie junge Menschen über die Welt der Erwachsenen denken, ist logischerweise die Folge des Verhaltens der Erwachsenen …
        Da sich diese jedoch immer öfter von den Kindern zurückziehen – bei Problemen also nicht ansprechbar sind – werden diese Erwachsene von den Kindern oft nur noch als eine austauschbare Person erlebt – aber nie als die wahre und wichtige Bezugsperson.
        Bezugspersonen werden dann unter Gleichaltrigen gesucht, die aufgrund ihrer selber noch geringen Lebenserfahrung nicht das abbilden können was z.B. ein älterer Mentor leisten kann.

Das traurige Problem, was sich hieraus bildet ist, dass diese Kinder nie eine echte Chance dazu hatten, ein in sich ruhendes Urvertrauen in ihre Umgebung zu entwickeln. Und die Folge davon wiederum ist, dass sich ihre natürlichen Abwehrmöglichkeiten und ihre eigene Anpassungsfähigkeit nur noch starr und archaisch / also sehr begrenzt, rudimentär entwickeln konnte.
— Taten statt Worte…

Die Studien über Kinder, die solchen negativen Erfahrungen und Störungen am Anfang ihres Lebens ausgesetzt waren, zeigen ganz klar den Bedarf an weiteren prospektiven Untersuchungen auf. Das was wir brauchen sind diese sogenannten generationsübergreifenden gründlichen Follow–Up–Studien, um ein immer besseres Verständnis dafür zu entwickeln wie genau diese Umstände unter denen die Kinder aufwachsen, eine Veränderung in der späteren Entwicklung bewirken.

Eins ist aber bereits jetzt erkennbar: Bei all diesen beobachteten Kindern die in einem Milieu von Gewalt / Misshandlung / Missachtung aufwachsen, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für die Ausbildung einer Psychopathologie und damit auch einer Borderline – Persönlichkeitsstruktur. 

Das ist auch verständlich, denn unter solchen Umständen kann ein wechselseitiger Umgang mit positiven Affekten nur sehr schwer stattfinden.

Bei der Borderline–Persönlichkeitsorganisation sind die Beziehungen zu anderen Personen gekennzeichnet durch eine starke Polarisierung der Affekte wie z.B. einer Spaltung des Anderen durch Idealisierung und schnell darauf folgender Wut.

Kann man diesem Trend irgendwas entgegensetzen?

Ja! Denn im Gegensatz zu den destabilisierenden Risikoumgebungen wird eine gesunde innerpsychische und zwischenmenschliche Entwicklung durch positive Erfahrungen begünstigt.

Die drei Stufen der Internalisierung: Inkorporation, Introjektion, IdentifikationZu diesen positiven Erfahrungen zählen

      • „günstigen Affektabstimmungen“ (attunements)
      • die Fähigkeit, sich positive Beziehungserfahrungen
        • als Vorbilder zu nehmen,
        • sich ihnen anzugleichen
        • und diese gewissermaßen zu internalisieren / zu verinnerlichen.

          Wir kennen in der Psychoanalyse ja drei Stufen von Internalisierung:
          Die Inkorporation (ich nehme als Säugling die Mutter in mich körperlich auf)
          2. Die Introjektion (ich nehme als Säugling die Mutter mit ihren Werten in mich auf)
          3. Die Identifikation (ich nehme als Säugling die Ideale meiner Mutter in mich auf)

Das was wirklich helfen kann, ist eine sichernde, eine größere und das Kind unterstützende Familiengemeinschaft. Es gibt Kulturen auf dieser Welt, in denen die Zahl von Borderline-Diagnosen – trotz ungünstiger Rahmenbedingungen wie z.B. Kriege / Hunger / Flucht – sehr viel geringer ist als in den westlichen Industrieländern. Es handelt sich hierbei um Länder in denen es immer noch vermehrt die Kultur dieser Großfamilien gibt.

Dies wiederum zeigt sehr deutlich, dass Borderline – neben einer biologischen Komponente / der genetischen Verletzbarkeit / Vulnerabilität – auch eine soziale Komponente beinhaltet. 

Was wir brauchen sind langfristige, prospektive Studien um diese ersten Forschungsergebnisse bei Säuglingen und Kindern, die unter Risikobedingungen aufwachsen, wirklich zu verstehen zu können.

Was wir aktuell heute aber bereits sagen können ist, das diese betroffenen Kinder aus den Risikoumgebungen bei der Entwicklung eines gesunden Selbst–Gefühls und in ihrer späteren Beziehungsfähigkeit gravierende Probleme haben werden. Und dadurch wächst dann logischerweise auch Risiko dafür, später eine Psychopathologie zu entwickeln – einschließlich einer Borderline – Persönlichkeitsstruktur.

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