Schriftzug Marcsu Jähn

Borderline-Familien, sind sie Täter oder Opfer

 

Seit der Einführung des DSM -3 und des DSM –4 gibt es immer mehr Forschungsarbeiten darüber, was die Ursachen/Faktoren sind die einer Borderline – Psychopathologie zugrunde liegen.

Oder anders gesagt: „Warum bekommt der Eine Borderline und der Andere nicht?“

Am Anfang dieser Untersuchungen nahm die Wissenschaft an, dass sich die Borderline – Persönlichkeitsstörung ausschließlich durch ein gestörtes und krankes familiäres Umfeld erklären lässt. Darum konzentrierte man sich ganz auf die Familien / das allernächste Umfeld der  Borderline – Patienten.

Bestimmt wirst Du darum wahrscheinlich nicht überrascht sein, dass die erste Literatur – mit ihren Studien über dieses Thema – ganz überwiegend die Meinung vertrat: die Familien von Borderline – Patienten sind die einzig Schuldigen an dem Entstehen von einer Borderline – Störung. 

Dann jedoch kam mit der Zeit ein wichtiger Sinneswandel auf: So ca. in den 90er Jahren/bis ins neue Jahrtausend zeigte sich ein neuer Trend am Horizont:  
Man begann auf einmal, die Familien von jeder kranken (pathogenen) Verantwortung „rein zu waschen“. 

Und genau darum dreht sich jetzt dieser Beitrag!

Wenn heute eher eine 2-Klassen-Diagnose erstellt wird, warum haben erste Untersuchungen/Studien dann immer wieder nur ein (!) Bild der Borderline – Patienten – Familie gezeichnet und zwar ein Bild der

      • böswilligen
      • vernachlässigenden
      • missbrauchenden
      • und zum Teil selber psychisch gestörten Familie?

Nun, das kann man recht gut mit den Ergebnissen der aller ersten Untersuchungen erklären:

      1. Bei der Diagnose haben Borderline–Patienten immer wieder die Beziehung zu ihren Eltern als feindlich und extrem konfliktbeladen beschrieben.

      2. Ein Blick auf die Eltern ließ außerdem häufig eine eigene starke Psychopathologie erkennen. (Wichtig: nicht immer! aber häufig)

      3. Missachtung: das Zusammenleben der Eltern ließ den Nachwuchs (der spätere Borderline – Patient) häufig außen vor. In einem gefühlskalten Milieu entstand keine haltende Bindung.

      4. Eine deutlich erkennbare gespaltene Haltung der Eltern: einerseits ein Übereifer und dann immer wieder eine komplette Vernachlässigung.
Die 9 Kriterien des Borderliners nach ICD10

Du würdest jetzt sagen: „Ja: das ist typisch für eine Borderline–Beziehung!“ Aber wusstest Du, dass genau dieses Bild ca. zwei Jahrzehnte vor den ersten Studien über Borderliner auch über die Familien schizophrener Patienten gezeichnet wurde? 
Darauf gehen wir gleich noch ein.

Wenn wir uns aber die Beschreibung der Borderline – Psychopathologie ansehen, dann ist sie geprägt von

      • eine schweren, chronischen unangepassten Verhaltensweisen
      • von unreifen, emotional inkompetenten,
      • aber (das ist jetzt wichtig) nicht zu 100 % böswilligen Bezugspersonen.

Solche Worte sind vielleicht etwas hart, aber sie können recht gut beschreiben, warum so viele Therapeuten / Kliniken eine Abneigung dagegen haben, diesen Familien von Borderline–Patienten helfend und stützend zur Seite zu stehen. 
Diese Familien wurden viele Jahre lang gewissermaßen allein im Regen stehen gelassen.

Jetzt hat sich dieses harte Bild über die kranke (Pathogene) Familie von Borderline-Patienten in den vergangenen Jahren deutlich verändert.

Interessant ist, dass es sich nicht tendenziell / oder nur ein wenig verändert hat sondern dass es in eine komplett gegensätzliche Meinung umgeschwenkt wurde. Ein Schelm, der jetzt nicht schon mal an eine Spaltung denkt / wobei die Spaltung ja das Kernmerkmal einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist.

Also, der neue Blick auf Familien von psychisch Kranken

      • wird jetzt nicht mehr auf die Krankheit fokussiert,
      • sondern die neue Perspektive sind eher die Stärken und die Ressourcen der Familie.

Dieser neue Blickwinkel/dieses „Sauberwaschen“ hat den defizitär orientierten, kranken Blick auf die Familie komplett umgekrempelt.

Wie kam dieser Sinneswandel zustande?

Es gibt in Amerika seit 1979 eine Organisation (www.nami.org aus Arlington) die eine wichtige Rolle darin gespielt hat, den Blick weg zu richten von der Krankheit hinzu den Ressourcen.

Die NAMI (National Alliance for the mentally Ill) Auf ihrer Homepage bezeichnen Sie sich als
Gesellschaft für die Aufklärung, Unterstützung und das öffentliche Bewusstsein von psychischen Erkrankungen, betroffener Personen und deren Familien.

Das Ziel: Den Menschen ein besseres Leben – trotz der psychischen Erkrankung – zu ermöglichen. Gegründet wurde diese als kleine Gruppe von betroffenen Familien im Jahre 1979 praktisch an einem Küchentisch.

Diese Organisation NAMI hatte nun einen sehr wichtigen Beitrag dazu geleistet, ab dem Jahre 1979 in einer Art „Bürger Bewegung“ Familien schizophrener Patienten

      • den gesellschaftlichen Blick von einem pathologischen Verhalten der Kranken wegzulenken,
      • und sich eher einer unterstützungswürdigen, schwer belasteten Gruppe von Leidensgenossen hinzuwenden.

Diese Organisationen hat Forscher und Kliniken in der Vergangenheit immer wieder dahingehend unterstützt, diese Familien mit schizophrenen Kranken „rein zu waschen“.

Deren Einfluss war mit der Zeit so gut, dass sich viele Forschungen nun von der ursprünglich angenommenen „kranken Rolle der Familie“ weggedreht haben und zwar hin zu den Belastungen, welche sich aus der Versorgung der psychisch Kranken in der Familie ergeben.

Als Folge davon wurden endlich Ausbildungs- und Unterstützungsprogramme für diese belasteten Familien und Einzelpersonen entwickelt.

Hiervon haben auch die Borderline – Familien massiv profitiert!

Jetzt konzentrierte man sich endlich auch auf die wiederholt aufkommenden Krisen innerhalb der Familien,

      • mit ihrem Gefahrenpotenzial
      • und den starken Gefühlsausbrüchen
        welche zuerst die Therapeuten/Kliniker plagten und damit logischerweise auch für die Familien extrem belastend sind.

Die Borderline-Persönlichkeit ist nun mal eine schwere Beziehungsstörung! Und wenn diese schon eine starke Reaktion bei den Therapeuten auslösen, dann liegt es doch förmlich auf der Hand, dass sie auch starke Reaktionen bei ihren Verwandten hervorrufen werden!

Das müssen wir uns immer wieder in den Sinn zurückrufen:

Dieses feindselige, verfremdete und selbstzerstörerische Verhalten des Borderline–Patienten

      • plagt nicht nur den Therapeuten
      • sondern ist auch eine schwere Last für all die betroffenen Familien denen ja die Kompetenz und das Wissen über den korrekten Umgang mit diesem Verhalten fehlt!

Es gibt leider nur sehr wenige Untersuchungen, welche sich mit der Belastung in Familien durch Borderline–Patienten auseinandersetzt. Die wenigen existierenden Studien zeigen aber ein stets gleiches Bild:

Familien in denen ein Verwandter mit einer Borderline-Störung lebt, diese sind einer größeren Belastung ausgesetzt als wenn ein Verwandter mit einer schweren körperlichen Erkrankung in dieser Familie leben würde.

Dies ist vor allem den antisozialen Verhaltensweisen wie zum Beispiel Drogenmissbrauch, plötzliches Verschwinden, Trunkenheit, und Promiskuität (selbstverletzendes Verhalten) geschuldet.

Der Borderline–Patient selber empfindet diese Verhaltensweise bei weitem nicht so intensiv wie seine Verwandten! Er konzentriert sich selber eher auf seine eigenen Belastungen wie z.B. Arbeitslosigkeit und / oder seine Abhängigkeit. 
Ihm ist sein Verhalten und die schwere Belastung welche er seiner Familie aufbürdet oft gar nicht selber bewusst!

Ein Gesellschaftsaspekt kommt noch hinzu:

Familien mit Borderline – Angehörigen fühlen sich häufig aus dem therapeutischen Prozess ausgeschlossen, zum Teil sogar für die Störung des Patienten voll verantwortlich!

 Dies kommt nicht zuletzt daher, weil sich diese Familien oft in einem Zwei / eigentlich Drei–Fronten–Krieg befinden:

      1. die Anschuldigungen des Borderline – Patienten („ihr seid an meiner Krankheit schuld“)
      2. Dann noch die Anklage des Therapeuten, dass das familiäre Umfeld diese Krankheit begünstigt hätte.
      3. Und die dritte Front ist der Vorwurf von Außen, der auf die Familie zukommt wenn bei ihren Angehörigen eine schwere psychische Krankheit festgestellt wird.

Dieser Bereich wird meines Erachtens bis in unsere heutige Zeit gesellschaftlich und diagnostisch sehr wenig beachtet. Das Ausmaß an Kummer kann durchaus verglichen werden mit einer Familie die einen Todesfall zu erleiden hat.

In gleicher Art und Weise kann man das Verhalten und auch die gefühlsmäßigen Reaktionen miteinander vergleichen. Erschwerend kommt dann noch hinzu, dass die Trauerreaktion im Falle einer Borderline–Störung zusätzlich sich verlängern kann,

      • weil die Familien immer noch an ihrer Hoffnung festhalten dass der Erkrankte eines Tages doch vielleicht irgendwie gesund werden könnte.

Natürlich bereiten psychische Erkrankungen grundsätzlich den Angehörigen Kummer. Bei der Erkrankung von Borderline-Patienten ist es aber deutlich schwieriger deren Behinderung zu akzeptieren, da bei Ihnen die Rückfälle und das Viederaufbrechen der Symptome vollkommen unberechenbar auftreten.

Familien/Verwandte von Borderline-Patienten sind oft total baff / verblüfft über die Verschiedenartigkeit der Probleme ihrer „kranken Angehörigen“ und über diesen plötzlichen Wechsel der Symptome.

Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass die Familien auf dieses Auto aggressive Verhalten / dieses gestörte Verhalten sehr gespalten reagieren:

      • entweder mit Anklagen
      • Oder mit totaler Verleugnung (diese Verleugnung können wir als eine Trauerreaktion verstehen die beachtet werden muss und von außen auch therapeutisch gestützt werden sollte)

Rein gesellschaftlich / soziologisch betrachtet, geht die Spaltung jetzt in die dritte Phase über:

      1. Spaltung beim Borderliner
      2. Spaltung bei seiner Familie
      3. Spaltung in der Gesellschaft

Gegensätzlicher kann die Einstellung gegenüber Familien von Borderliner–Patienten nicht seinAll das erinnert stark an den klassischen Spaltungsmechanismus der ja eine Abwehrform des Borderline–Patienten ist.

Wir beobachten dies immer wieder, dass Therapeuten, die sich der Behandlung von Borderline–Patienten annehmen und mit deren Familien in Kontakt treten entweder die eine oder die andere extreme Positionen einnehmen:

      • Mal sind sie der Retter

      • Und mal der Strenge

Diese polarisierende Haltung ist ein deutlicher Ausdruck von Gegenübertragungsreaktionen. Diese zwei Haltungen sind so gegensätzlich, dass sie miteinander nur sehr wenig bis überhaupt keine Schnittmenge aufzuweisen haben.

– Der Retter – 

Therapeuten werden häufig zu Rettern des Patienten allein schon wegen ihres Helfersyndroms (siehe Video: https://youtu.be/OuYqZ5tWATQ Borderline und das Helfersyndrom)

Damit begeben sich jedoch auf die Position eines „guten Elternteils“ der die Fehler und vielleicht auch Grausamkeiten der „ursprünglichen schlechten Eltern“ wieder gut zumachen versucht. Solche Therapeuten übernehmen die Sichtweise des Patienten dass seine Familie „böse“ ist

Dabei lassen Sie die typisch krankhafte Tendenz des Borderline–Patienten außer Acht, die Ursprungsfamilie zu entwerten.

Das Problem vergrößert sich dadurch indem sie die Ursprungsfamilie aus der Therapie heraus halten und damit die Bedeutung der innerfamiliären Interaktionen unterschätzen und die Chance auf eine Hilfestellung durch die Eltern als wichtige Ressourcen außer Acht lassen.

Was folgt ist, dass der Therapeut in die Rolle eines „guten Elternteils“ schlüpft und sich zusätzlich eine über große Verantwortung förmlich über stülpt.

Nicht selten kollabieren Therapeuten an dieser Verantwortung mittels

      • eines Burnout,
      • einer Desillusionierung seiner Arbeit
      • und nicht zuletzt leidet das Therapieergebnis katastrophal darunter.

Hier geht es zu dem Video auf Youtube

— Der strenge Therapeut – 

Jetzt kommt das genaue Gegenteil zu dem Retter: der strenge Therapeut. 

Es ist erstaunlich wie spaltend sich die zwei gegensätzlichen Ansichten in der Praxis gegenüberstehen: 
Der strenge Therapeut sieht den Borderline-Patienten als fordernden, manipulierenden, als verwöhntes Kind an welches seiner Familie das Leben einfach nur zur Hölle macht.

Diese Betrachtungsweise verschließt die Augen davor, dass die Borderline–Patienten ihre gestörte und schmerzvolle Art der Beziehungsgestaltung und die Sichtweise auf sich selbst als eine unglückliche / unreife Antwort auf eine Reihe zu starker und überwältigender Kindheitserfahrungen entwickelt haben.

Diese Kindheitserfahrungen handeln häufig von Missbrauch und Vernachlässigung und nicht zuletzt von den vielen vielen subtileren Umständen welche das Kind permanent nur missachtet haben.

Das kann man nicht einfach so wegleugnen.

Der strenge Therapeut neigt dazu, sich von seinem Patienten zu entfremden und eine Eskalation ihres Verhaltens was oft sehr feindselig zerstörerisch ist noch weiter zu fördern indem sie ihre Gefühle genauso vernachlässigen wie das in der frühsten Kindheit geschehen ist.

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Playlist Borderline Therapie nach Marcus Jähn
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