Schriftzug Marcsu Jähn

Borderline und der Wiederholungszwang – Warum passiert mir das immer wieder?

  • Warum passiert mir das immer wieder - Borderline und der WiederholungszwangWarum passiert mir das alles immer wieder?
    • Warum falle ich z.B. immer wieder auf dieselben Personen herein?
    • Warum komme ich immer wieder in diese echt peinlichen Situationen?
    • Habe ich vielleicht Borderline da ich mich immer wieder in diese selbst schädigenden Bereiche bringe?
  • Wie funktioniert denn nun eigentlich unsere Psyche – wenn wir immer wieder in dieselben „Fallen“ geraten?
    Wie werden traumatische Erfahrungen durch unsere Psyche bewältigt? – Hat das eventuell auch etwas mit dem Zwang zum Wiederholen zu tun?

Lass uns dieses interessante psychische Phänomen einmal etwas näher betrachten, denn es begegnet uns sowohl im Alltag aber auch bei psychischen Erkrankungen immer wieder:

Es sind diese Wiederholungen – oder wie im „Klinikdeutsch genannt: …  der Wiederholungs-Zwang –  F42 im ICD10

Die Antworten darauf sind so umfassend – Ich verspreche Dir, Du wirst nach diesem Beitrag völlig anders über Deine Psyche denken als vorher…. 

Praktisch unsere gesamte geistige oder psychische Welt / unsere ganze Persönlichkeit ist auf Wiederholungen aufgebaut. Sie, diese Wiederholungen sind für unsere gesamte geistige Entwicklung, unsere Selbstliebe, die Ich-Stärke und auch für unsere Resilienz elementar wichtig! Im Alltag fällt uns das oft nicht so auf. Ihre Wichtigkeit wird erst dann für uns deutlich, wenn dieses Wiederholen ein Ausmaß annimmt was schon gefährlich ist und das sich anschließend – gegen unseren eigenen Willen – verselbstständigt. Im „Klinik-Deutsch“ beschrieben sind das dann Handlungen, in denen sich jemand

      • von außen betrachtet zwar selber in schwierige Situationen oder Beziehungen begibt, die seinen alten Erfahrungen ähneln …
      • er selber dies alles jedoch völlig passiv – also nicht von ihm sondern als von außen verursacht – erlebt.

        Es kommt bei dem Betreffenden weder der Gedanke noch das Gefühl auf, dass dies alles irgendetwas mit ihm zu tun haben könnte – außer vielleicht mit einem Augenzwinkern gesagt – dass er eventuell unter einem höheren Fluch stehen müsste.

Solche Wiederholungen kennen wir alle aus unserem Alltag:

      • Die junge Frau, die sich immer in unerreichbare oder verheiratete Männer verliebt. 
      • Der Mann oder die Frau deren Partner sie immer wieder betrügen … sie die Hoffnung jedoch nie aufgeben, dass sie beim nächsten Partner endlich mit Mr. oder Mrs. Right den Lottogewinn fürs Leben ziehen.
      • Da ist der Schüler der immer so knapp auf Kante für seine Prüfungen lernt – und sie dann jedes Mal knapp noch schafft
      • Oder nehmen wir einen Sportler der im Training immer wieder neue Bestzeiten erzielt, im Wettkampf aber versagt.
      • Und nicht zuletzt sollte noch der „ewige Freund“ erwähnt werden, der sich so sehr eine Beziehung wünscht, aber nie über diese sogenannte „Freundschaftszone“ hinauskommt.

Keiner von den gerade beschriebenen Personen möchte eigentlich, dass sich seine Situation immer wieder wiederholt. Die meisten, die sich dieser Wiederholung bewusst werden, versuchen sogar alles um aus solch einem Circulus vitiosus (Teufelskreislauf) heraus zu kommen … jedoch immer wieder vergeblich…

Manchmal sind diese ganzen Wiederholungen so seltsam, dass man oft nur ungläubig staunend den Kopf schütteln kann wenn man sie einmal näher betrachtet…   Sigmund Freud und Erik Erikson (1902 – 1994, dt.-amerik. Psychoanalytiker) berichten zum Beispiel von einem Fall, den wir eine Schicksalsneurose nennen können.

Da war einmal eine Frau die dreimal verheiratet war, deren Männer jedoch alle kurz nach der Hochzeit erkrankten und starben. Schon eine seltsame Situation / 😊 die ihr das Schicksal auferlegt hat… so könnte man das beschreiben.

Schicksalsneurosen sind aber noch viel mehr. Sie gehen bis in den traumatischen Wiederholungszwang über. Und was jetzt folgt erscheint zwar spookey ist aber durch Forschungen klar belegt: Da gibt es Menschen, die durch einen schweren Unfall traumatisiert immer wieder ähnliche Unfälle erleiden oder erstaunlich häufig in Situationen geraten, in denen sie – nicht mehr als Opfer, sondern als Helfer – andere Unfallopfer aus ähnlichen Situationen retten müssen.

Sigmund Freud selbst, hat sich über 40 Jahre mit dem Thema der Schicksalsneurose und dem Wiederholungsgedanken gewidmet.

Dieses Thema geht weit in unsere Menschheitsgeschichte zurück:
In vielen alten Mythen oder Religionen finden wir zum Beispiel so etwas wie ein personifiziertes Schicksal

      • Wie z.B. bei den Griechen in den Geschichten Homers die Moiren welche die Schicksalsgöttinnen waren
      • Oder denken wir nur an die Lehre der ewigen Wiederkunft welche wir sowohl in vielen Religionen bis hin bei den neuen Denkern wie Friedrich Nietzsche (Also sprach Zarathustra) vorfinden.

Was können wir bis jetzt sagen? Wiederholungen sind ein fester Bestandteil unserer menschlichen Kultur und damit keineswegs immer negativ – eher das Gegenteil ist der Fall, sie sind unser Freund und Helfer in unserer geistigen Entwicklung.

Um dies zu erklären befassen wir uns nun mit unserem ersten Zwischenthema: 

(1.) Wiederholungen = die Grundlage unserer Psyche

Wir müssen immer zwischen der wichtigen guten Wiederholung und dem krankhaften Wiederholungszwang differenzieren… Und damit wir nun verstehen können, ab wann es zu einem Wiederholungszwang, oder einer pathologisch / krankhaften Wiederholung kommt, betrachten wir erst einmal die unglaublich große Bedeutung von Wiederholungen für unsere psychische Welt.

      • Wiederholungen sind das zentrale Element unseres gesamten Lebens!

Allein wenn wir das materielle Leben betrachten, dann sehen wir überall Wiederholungen: sowohl im Kleinen wie dem Herzschlag und der Atmung aber auch ganz Großen wie den Gezeiten, die Jahreszeiten, das Leben und auch im Tod… 

Betrachten wir jetzt jedoch einmal die psychische Ebene, dann ist dort die Wiederholung überall zu sehen und geradezu lebenswichtig! Ich wage mal den Satz zu sagen: „in dem ewigen Zirkel der Wiederholungen entsteht das was wir als die Persönlichkeit bezeichnen“. Durch ständiges Wiederholen entstehen unsere Lernerfahrungen. Aus den ersten Lernerfahrungen heraus werden (Denk-)Strukturen in unserer Psyche gebildet, auf die wir in späteren Situationen dann zurückgreifen und uns auch verlassen können.

Durch diese Wiederholungen wird jedoch – und dass mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen – eine Weiterentwicklung und Neues Lernen / Denken / Handeln überhaupt erst möglich. Warum kann ich das sagen?

Das ich etwas wiederholen kann, wirkt auf den ersten Blick eher banal und belanglos, ist aber geradezu eine Meisterleistung unseres Gehirns: Denn, etwas in seinem Geiste wiederholen zu können bedeutet – psychisch betrachtet – etwas Äußeres zu verinnerlichen und in diesem geistig inneren Bereich wieder auferstehen zu lassen. 

1.1. In der Psychoanalyse spricht man von der Fähigkeit zur Repräsentation …

Repräsentation ist die Fähigkeit, das was ich in der Realität erlebt oder gesehen habe, mir innerlich wieder vorzustellen / zu repräsentieren.

Repräsentieren ist etwas ganz Besonderes in der Entwicklung eines jungen Menschen. Diesen Vorgang dürfen wir nicht als eine Selbstverständlichkeit abtun. Das Repräsentieren wird in der Internalisierungsphase des kleinen Kindes mühsam erlernt, wie wir später noch sehen werden. Es ermöglicht uns, Erinnerungen abzuspeichern und wieder hervorzurufen. 

Ich spreche hier immer wieder von einem sogenannten „psychischen Innenraum“ in dem Dinge anwesend sind, die aber in der aktuellen Außenwelt abwesend sind. In diesem psychischen Innenraum der Repräsentanz kann es ein Gestern mit all den vergangenen Erlebnissen geben, die aber mit dem Heute / dem aktuellen Geschehen zusammenhängen – und diese Erkenntnis, das ist es was die Basis unserer Identität ausmacht!

Identität ist, wenn ich psychisch weiß, dass ich heute noch dieselbe Person wie gestern bin – also, dass ich mein gestriges ICHim heutigen Erleben immer wieder wiederholen kann.

Mit unserem Wissen über die Repräsentanz können wir Identität auch so beschreiben: Sie beruht auf einer kontinuierlichen psychischen Repräsentation von mir selbst und auch von anderen.

Identität bewirkt Stabilität!

Jedoch leben wir heute in einer Zeit, die eher vom Gegenteil – von einer Instabilität förmlich durchdrungen ist.  Und es ist ein Kennzeichen der heutigen Zeit – diese Urangst – dass Menschen immer mehr befürchten, sich selbst zu verlieren. Damals – in der Geschichte zurückblickend – hatte man Angst vor einem Verlust der Seele. Heute sind es eher Begriffe wie Demenz, mit denen wir uns diese Instabilität erklären.

Weil das ein so wichtiger Gedanke ist, möchte ich ihn nochmals wiederholen:
Identität und psychische Stabilität hat ein Fundament und das sind Wiederholungen! Und je brüchiger / instabiler dieses innere Fundament ist, desto wichtiger sind Wiederholungen im Außen um das Innere / die innere Repräsentanz aufzubauen!!!

Jeder von uns weiß, wie unterstützend und entlastend Routinen und Rituale für unser Leben sind. Sie geben die Stabilität… Wenn Wiederholungen jedoch Stabilität geben, dann müsste sich folgendes für dich bestimmt sehr widersprüchlich anfühlen:

Wiederholung sind neben dem Stabilitätsfaktor nämlich auch die Grundlage für Neues! Durch sie wird ein Fortschritt überhaupt erst ermöglicht. Wie kann ich dies behaupten? 

1.2 Grundlage für alles Neues – das Spiel

Diese schöpferische Eigenschaft von Wiederholungen können wir z.B. beim Spielen von Kindern und Erwachsenen sehen: das Spiel ist nämlich eine Art Vorstufe des Verstehens.

Mit das bekannteste Werk Sigmund Freuds war der Aufsatz „Jenseits des Lustprinzips“ aus dem Jahre 1920. Wir können es auch DEN Urtext über das Thema der Wiederholungen nennen. Er besteht aus drei Teilen:

      • Die verdrängende Instanz
      • Der Drang, Dinge wiederherzustellen
      • Den Lebens- und den Todestrieb, welche nach Freud die zwei großen Triebgruppen in unserer Psyche darstellen.

In diesem Werk ging er sehr intensiv auf die Wiederholungen, die Neurosen und die Entwicklung unserer Psyche ein. Wie wichtig das Spiel in diesem Zusammenhang ist um sich zu stabilisieren und daraus dann so etwas wie eine Identität zu erschaffen zeigt folgende Situation: 

Freud beobachtete einmal seinen anderthalbjährigen Enkel beim Spielen. Der Kleine war gerade vorher mal wieder von seiner Mutter für eine kurze Zeit alleine gelassen und der Aufsicht des Großvaters überlassen worden. Das hat ihm ganz und gar nicht gefallen – er fühlte jetzt den Verlust seiner geliebten Mama wie einen inneren Schmerz. In seinem Aufsatz beschreibt Freud nun was sich dann regelmäßig ereignete – denn er hatte den Kleinen öfter mal zu hüten:

Der Junge begann dann immer wieder mit einem sich ähnelnden Spiel: Er nahm eine Holzspindel, die an einem Bindfaden befestig war und warf diese dann weg, aus seinem eigenen Sichtfeld hinaus… Dies tat er wiederholte Male. Und jedes Mal, wenn er den Gegenstand weggeworfen hatte, dann stieß er ein langgezogenes o-o-o-o aus. Sowohl Freud als auch der Mutter des Kindes war klar, dass dieses o-o-o-o keine Interjektion (ein Ausrufe- oder Empfindungswort) war, sondern für das Wort „fort“ stand. Immer wieder zog der Kleine die Holzspindel am Faden zurück und wenn er sie sehen konnte rief er voller Lust ein „Da!“

Natürlich war dies Freud nicht beim ersten Beobachten bewusst was er da eigentlich sah. Jedoch hat der Kleine dieses Spiel immer und immer wieder gemacht bis es dem „Opa-Forscher“ klar wurde: Das gesamte Spiel dreht sich um ein Fortgehen und um ein Wiederkommen – Ein „fort“ und ein „Da“ …. Dieses „Fort-Da-Prinzip“ ist auch der Name dieses wohl berühmtesten Spiels, welches wir in der der Psychoanalyse kennen: das „Fort-Da-Spiel“

Freud erkannte hierbei, dass sein geliebter Enkel – der ja stark an seiner Mutter hing-  es durch dieses Spiel schaffte, seine beunruhigten Gefühle des Verlassenwerdens zu bearbeiten. Er lenkte sich also nicht lediglich ab, sondern er spielte das gerade Erlebte nach – ein Gedanke von unglaublicher Tragweite:

Durch ein Spiel eröffnet sich für die Psyche ein neuer Spielraum / ein Handlungs-Spielraum!

Spielraum bedeutet, sich in einer sicheren Art und Weise mit einer schwierigen, konflikthaften oder problematischen Situation auseinanderzusetzen. Spielen erlaubt, verschiedene Ideen oder Lösungsansätze ohne direkte Gefahr einmal zu simulieren oder auszuprobieren – ähnlich einem Flugsimulator.

Welch eine Meisterleistung unser Gehirn bereits in frühestem Alter bewältigt, zeigt auch der Umstand, dass der Kleine in Freuds Beobachtung die Situation nicht einfach eins zu eins kopiert hatte. Er gab dieser Situation eher eine kreative neue Richtung: Er hielt in seinem Spiel – sowohl buchstäblich als auch psychisch – die Fäden selbst in der Hand. In der realen Situation, als die Mutter wegging, musste er passiv zusehen – er selbst hatte hier keinen Handlungsspielraum. Nun aber hatte er die Kontrolle über ein Fortgehen und ein Wiederkommen im Kleinen selbst in der Hand… Das Spiel gab ihm Handlungsvollmacht und Handlungskontrolle. 

Dies ist extrem wichtig für die Entwicklung einer Identität und einer stabilen Persönlichkeit! Dass der Kleine die Holzspindel nun wegwarf und im Spiel mit dem Verschwinden nicht überfordert war, dieses Spiel sogar fortsetzen und ihm auch noch etwas Schönes abringen konnte, darin liegt der erste von zwei Schritten um die schmerzhafte Erfahrung „Mutter ist fort“ zu bewältigen…

Im zweiten Stepp gibt es ja auch die Erfahrung „da ist sie wieder“. 
Was wäre wohl passiert, wenn der Kleine nun angefangen hätte, trostlos zu weinen oder resigniert aufgegeben hätte, sobald das Spielzeug verschwunden wäre? Wenn er das Spiel ab diesem Moment unterbrochen und sich dem bitteren Ernst / also dem Verlust der Mutter oder des Spielzeugs ergeben hätte, dann wäre ein Anderer nötig gewesen, Ihn in seiner Überforderung zu trösten!

Und genau an dieser Stelle, der Überforderung, greifen Kindertherapeuten nun ein und versuchen mit dem Kind spielerisch der Geschichte eine andere / neue Wendung zu geben. Mit anderen Worten: Sie verhelfen zu einem neuen Spielraum.

Du kennst das „Fort-Da-Spiel“ bestimmt in einer anderen Variante: dem „Kuckuck-Spiel“. 
Kleinkinder können es immer und immer wieder spielen. In dem „Kuckuck-Spiel“ erzeugt das Verschwinden hinter einer Hand oder einem Gegenstand erst einmal eine gespannte Stimmung beim Kind. Diese Spannung geht dann in eine Erleichterung über, wenn das Gegenüber wieder auftaucht. Das Kind lacht und gluckst vor Freude und Erleichterung. Beide Spiele sind Spiele mit dem Spannungsbogen eines „Angst-Lust-Faktors“ Sie sind nichts anderes als eine abgewandelte Form der Bewältigung einer schwierigen Situation, die jeder Mensch früher oder später in seinem Leben erfahren muss: dass wir verlassen werden, uns alleine fühlen – das wichtige Menschen aus unserem Leben plötzlich nicht mehr da sind…

Wenn man all das einmal etwas genauer betrachtet, dann fällt auf, dass praktisch all unsere Spiele – mehr oder weniger einem Wiederholungszwang folgen… 
Am Beispiel Freuds betrachtet ist es nämlich so: Das Spiel dauert so lange wie das Kind an diesem Rätsel „Mutter anwesend – Mutter abwesend“ / das „Fort-Da-Spiel“ noch zu knabbern hat. In dem Moment ab dem es sich sicher ist, dass die Mutter gleich wirklich wieder auftaucht – wenn bei ihm also eine stabile „Innere Repräsentanz“ entstanden ist – ab dann ist das alte Spiel zu Ende und ein Neues kann nun beginnen.

Du merkst, durch Stabilität wird eine „geistige Plattform“ / eine neue Ebene ermöglicht, auf der dann Neues / ein Fortschritt entstehen kann. 

(2.) Wenn Wiederholung krank macht – Borderline und der Wiederholungszwang

 Therapeutisch relevant wird das Wiederholungsphänomen ab dem Moment, wenn durch das Bilden einer inneren Repräsentanz eigentlich etwas Neues entstehen sollte – aber nichts dergleichen geschieht – wenn die alten Handlungs- und Denkmuster immer noch bleiben. Zu sehen ist dies häufig bei denjenigen, die auf der Suche nach einem Lebenspartner immer wieder an den gleichen Typus Mann / Frau geraten. Oft ist dies dann begleitet von Leid und unangenehmen Gefühlen.

Warum aber ist das so? Warum scheinen sie – von außen betrachtet – nicht in der Lage zu sein, neue Erfahrungen oder Entwicklungen zu machen?

Für einen Außenstehenden liegt die Lösung oft auf der Hand:

      • „Such dir doch einfach einen anderen Typ Mann / oder Frau“. 
      • „Fang doch einfach mal früher an zu lernen“. 
      • oder „Betrachte den Wettkampf mal als erweitertes Training“.

Für Dich und für mich hört sich das alles auch nachvollziehbar und logisch an … Aber wie unter einem bösen Fluch scheitern sämtliche Versuche nach dem altbekannten Muster…. Und wenn man mal so oft hingefallen ist und nicht mehr einsieht aufzustehen, wenn die Schmerzen immer größer werden und sich nichts mehr zu lösen scheint, dann hat man auch irgendwann mal den Punkt erreicht, an dem einige endlich einmal therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.

Dieser Wiederholungszwang ist – damit wir beim Thema dieses Psycho-Educationskanals bleiben – ein typisches Begleitkriterium im Bereich Borderline. Hierfür gibt es viele Beispiele in unserer Gesellschaft. Betrachten wir nur mal ein paar davon auszugsweise:

Kriterien der Borderlinestörung nach dem ICD10Nehmen wir zuerst mal einen pathologischen zwanghaften Spieler. Ein „Borderline-Spieler“ wird zum Beispiel immer weiterspielen, auch wenn er am Ende gar kein Geld mehr zum Spielen übrig hat. Es geht dann nicht mehr um das Spiel an sich… Nein! Es geht vielmehr um Erregung und Ablenkung von einer Welt, die ihn nur noch langweilt, ihn ruhelos macht oder einfach nur noch abstumpfen lässt. Solch ein pathologisches Spielen, kann aber auch ein Zeichen für eine impulsive Selbstbestrafung sein – Kriterium Nummer 4: Mindestens zwei potentiell selbst schädigende Bereiche / starke Impulsivität.

Betrachten wir mal einen Ladendieb. Sie stehlen oft Dinge, welche sie überhaupt nicht brauchen. Menschen, die unter Bulimie leiden, zeigen bei über 50 % der in der Studie untersuchten Probanden Anzeichen von Kleptomanie, Drogenmissbrauch oder Promiskuität. Oft sind diese Verhaltensweisen auf Zwang begründet und können den tiefen Wunsch / die Sehnsucht nach (auch selbst zugefügten) Schmerz aufzeigen.

Promiskuität (das häufige Wechseln von Sexualpartnern) weist oft auf ein Bedürfnis nach Liebe und Aufmerksamkeit von anderen hin, um an einem positiven Selbstwertgefühl festzuhalten. Typisch für eine Borderline–Persönlichkeit ist es, dass ihr eine dauerhafte und positive Selbstachtung fehlt – Kriterium Nummer 3 (Identitätsstörung). Die Folge davon ist, dass sie immer wieder eine Rückversicherung ihres Wertes von außen durch Dritte braucht.

Nehmen wir als Beispiel mal eine Frau, die unter dem Borderline–Syndrom leidet und wenig Selbstachtung hat. Häufig ist zu beobachten, dass sie ihre körperliche Attraktivität als ihren einzigen Vorteil gegenüber anderen ansieht. Mit diesem Gedanken im Sinn, wird sie sich nun – um ihren eigenen Wert zu bestätigen – immer wieder aufs Neue in viele sexuelle Begegnungen verstricken. Der Zweck hierbei ist, dass sie dadurch das Gefühl der Einsamkeit vermeiden kann. Es werden ihr ja immer wieder aufs Neue künstliche Beziehungen angeboten, die sie von ihrer Seite aus auch komplett kontrollieren kann! Wenn sie sich dann von ihrem Liebhaber begehrt fühlt, dann erhält sie dadurch ihr gewünschtes Identitäts-Gefühl.

Im sexuellen Bereich ist Promiskuität jedoch nicht das einzige auffällige Merkmal… Borderline ist bekanntlich das Kreisen um ein verletztes, zerbrechliches ICH mit der Neigung zur Selbstbestrafung – Kriterium Nummer 5 „Selbstschädigendes Verhalten“. Selbstbestrafung hat eine sehr starke eigene Psychodynamik und kann sich auch unter anderem durch den Wunsch nach Erniedrigung und Masochismus in der Beziehung zeigen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet – jetzt spekuliere ich mal – könnten auch viele Prostituierte oder pornographische Darsteller gut in das Borderline-Muster passen. Das ist aber – wie gesagt – eine reine Denk-Hypothese. Jedoch ist dieser Gedanke gar nicht soooo weit hergeholt, da sexuelle Perversionen ein Mechanismus sein können, um einer Art Intimität näher zu kommen.

(3.) Wiederholungszwang ist oft Ursache vieler Störungen

Bei fast allen Psychotherapien im Bereich psychischer Störungen müssen wir uns mit einem Wiederholungsthema befassen. Im für Außenstehende sichtbaren Bereich sind da zum Beispiel die Zwangsstörungen oder auch die Süchte. Es gibt aber auch etwas „unsichtbarere“ Formen von krankhafter Wiederholung die nicht allen immer sofort auffallen: Ich denke hier zum Beispiel an bestimmte Träume, Handlungen oder Symptome die – trotz aller Ablenkungsversuche – immer wieder auftreten.

Wenn man sich diese einmal genauer ansieht, dann erkennen wir in Ihnen oft weit in die eigene Vergangenheit zurückreichende Konflikte. Tief aus dem Unbewussten unserer Psyche wird dann ein altbekanntes aber leider immer noch unbewältigtes Thema immer wieder ins Bewusstsein gezogen. Und das geschieht dann dermaßen überwältigend, dass man diese Gedanken nicht einfach so „wegdenken, wegreden oder geschweige denn wegüben“ könnte. Das sind dann Konflikte aus der Vergangenheit, die seit ihrer Entstehung keine Lösung gefunden haben und deshalb immer wieder nach einer Lösung förmlich schreien.

Siegmund Freud sagte mal folgendes dazu: Alles was unverstanden geblieben ist, all das das kommt wieder hoch … Es kann einfach nicht in Ruhe auf die Lösung / Erlösung warten – Das geht nicht, weil etwas an einer Situation, einem Gedanken oder einem Gefühl noch nicht verstanden wurde. 

  • Ist eine Sache vom Standpunkt unserer Psyche aus immer noch unbewusst … dann kann diese nicht in der Vergangenheit belassen bleiben. Die Psyche muss sie wie ein Universalgesetz immer wieder in unsere Gegenwart tragen. Dies ist der erste Merksatz dafür, wie unsere Psyche lernt!!!

Das, was wir noch nicht verstanden / noch nicht begriffen haben, das lässt uns auch nicht los – egal wie stark man sich dies wünscht. Dagegen anzukämpfen ist genauso erfolgversprechend wie immer wieder in die Luft zu hüpfen und zu versuchen, sich vom eigenen Schatten zu lösen. 

3.1 Ein Problem unserer Psyche ist, dass wir durch Wiederholung lernen.

Das ist echt ein Problem mit unserer Psyche…. So vernünftig und richtig es ist, dass wir durch ein ständiges Wiederholen lernen – nehmen wir dazu das Beispiel des Lernens einer Sprache oder das Lernen zu gehen (hinfallen und aufstehen) – so problematisch ist dieser Wiederholungszwang, wenn wir einmal nicht wirklich weiterkommen und uns in einer „Sackgasse“ befinden. Das Dilemma ist ja, dass unsere Psyche der felsenfesten Ansicht darüber ist, sie könnte ausschließlich nur durch Wiederholungen lernen.

Das gesamte System der Psyche ist auf Wiederholungen aufgebaut … und das ganz besonders dann, wenn sich ihr ein neues, ein unbekanntes Problem in den Weg stellt wie etwa das Trennungsproblem beim „Fort-Da-Spiel“

Dieser Zwang zur Wiederholung ist praktisch nichts anderes als der Versuch der Psyche, etwas im Moment noch Unbegreifliches, etwas Unverdauliches im zweiten oder dritten Durchgang doch noch irgendwie zu lösen. Jede Wiederholung ist ein verzweifelter Versuch, doch noch irgendwie die Lösung zu finden …. Ganz nach dem Motto: „Was nicht sein kann, kann auch nicht sein“

Ein Merksatz hierbei ist folgender:
Was die Psyche noch nicht gelöst hat, das wiederholt sie immer wieder. Woran sie sich aber nicht bewusst erinnern kann – damit meine ich all das Unbewusste, was dem Denken und dem Fühlen nicht direkt zugänglich ist – das wiederholt sie praktisch wie in einer Bühnenszene – sie lässt es sich vor dem geistigen Auge immer wieder aufs Neue inszenieren.

Sigmund Freud beschrieb dies als eine Wiederholungstat

3.2. In der Psychoanalyse nennen wir solch ein Handeln heute – ein Agieren –

Mit Agieren bezeichnen wir unbewusste Handlungen, deren Zweck es ist, unbewusste innere psychische Konflikte in äußeren Handlungen sichtbar zu inszenieren. Gefühle, die im Inneren von unserer Psyche noch nicht gut genug integriert werden konnten, werden durch dieses Agieren in äußere Handlungen umgewandelt um sie dann im Außen in aller Ruhe neu bearbeiten und begreifen zu können. Agieren bringt durch Handeln einen inneren Zustand nach außen. Dies geschieht sowohl auf eine symbolische Art und Weise, oft aber auch sehr konkret.

Jean Piaget (1986 – 1980, ein Schweizer Psychologie und Begründer der kognitiven Entwicklungspsychologie) nannte dieses Agieren interessanterweise auch „Handlungsdenken“ – ich finde dies eine passende Bezeichnung. Man könnte es aber auch mit „Handeln als Probe-Denken“ bezeichnen. Und dieser Begriff zeigt, wie früh im Stadium von Verstehen und Bildung eines stabilen Ich´s dieses Probehandeln steht: Probehandeln kommt VOR DEM DENKEN!

Das Agieren ist nämlich ein sehr rudimentärer Bewältigungsmechanismus unserer Psyche. Rudimentär bedeutet in diesem psychologischen Zusammenhang, dass er uns bereits extrem früh in unserer persönlichen Entwicklung zur Verfügung steht.

Das Motto: „Erst denken, dann handeln“ dass wir von klein auf von unseren Eltern und den Lehrern immer wieder gehört haben, ist also genau entgegengesetzt zu dem, wie unsere Psyche ureigentlich lernt …

Unsere Psyche lernt nämlich ganz anders! Sie lernt Denken, indem sie zuerst probeweise handelt – agiert.

Wenn sie jetzt – zum Beispiel durch unser Schulsystem beim Vokabellernen – dazu gezwungen wird, erst zu denken um dann später in ein Handeln zu kommen, dann entspricht dies nicht ihrem typischen Lernprozess und alles funktioniert deutlich langsamer…. 

Als Beispiel möchte ich das gerne am angesprochenen Lernen von Vokabeln beschreiben: Ein junger Mann soll in der Schule Englisch-Vokabeln lernen. Vielleicht siehst du ihn gerade vor deinem geistigen Auge über dem Vokabelheft sitzen und „büffeln“ … Was aber, wenn er z.B. bei einem Schüleraustausch ein hübsches junges englisches Mädchen kennenlernt und beginnt mit ihm Konversation zu führen? Was denkst Du wird ihn mehr motivieren? Das Vokabelheft oder das junge Mädchen? 😊 Die Motivation und die Möglichkeit, durch Probehandeln zu lernen wird seinen Eifer bestimmt mehr als motivieren.

„Erst Denken … dann lernen“ das ist nicht die Anfangsfomel, sondern das Endergebnis einer psychischen Entwicklung. Am Anfang steht das Agieren, dann kommt das Denken! Solange etwas also noch unverstanden ist, gilt immer der Satz: „Erst handeln dann Denken-lernen“.

Wie kann man sich dieses Agieren nun in der Praxis vorstellen? Ein Beispiel: Jemand vergisst immer wieder etwas z.B. eine Tasche bei einer bestimmten Person. Ist das jetzt Zufall oder mangelnde Konzentration? Was könnte es sein, wenn es immer wieder, praktisch regelmäßig passiert? Vielleicht bemerkst du bei einer näheren Betrachtung der Person, dass sie recht einsam durchs Leben geht und das Gefühl hat, keinem wirklich wichtig zu sein. Dieses Vergessen der Tasche könnte das Ausagieren von einer unbewussten Handlung sein….  Er möchte etwas von sich dalassen, weil er damit hofft, …

      • dass selbst wenn er weggeht, hierdurch immer noch etwas von ihm dableibt,
      • damit man ihn nicht vergessen kann.

Er setzt also unbewusst seinen Wunsch nach Sichtbarkeit („Bitte seht doch, dass ich existiere“) in ein Agieren um. Ein recht kreativer Weg um die eigenen Gefühle der Umgebung mitzuteilen. 

3.3 Übertragungen sind eine Form des Agieren´s

Auch eine Übertragung, können wir als ein Agieren bezeichnen. Übertragungen, das sind Vorgänge in denen jemand alte, oft verdrängte Gefühle oder Erwartungen auf eine neue Beziehung übertragt und damit praktisch zu einem neuen Leben erweckt. Beim Wiederholungszwang werden die eigenen inneren Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte dem Gegenüber einfach übergestülpt und das egal ob sie mit ihm nun irgendwie übereinstimmen oder kompletter Schwachsinn sind.

Nehmen wir als Beispiel mal einen Mann, der sich immer wieder eine Frau als Partnerin auswählt, die ihn dann später betrügt… Hierfür könnte es viele Gründe geben. Zum Beispiel: Die Geschwister dieses Mannes wurden ihm in seiner Kindheit immer wieder vorgezogen. Es musste praktisch immer um Aufmerksamkeit in der Familie kämpfen – er hatte die Rolle des „schwarzen Schafs “ in der Familie praktisch für sich gepachtet … Der Wiederholungszwang dieses Mannes – sich immer wieder dieselbe Partnerin zu nehmen – dreht sich also höchstwahrscheinlich um die fehlende Aufmerksamkeit, Zuwendung oder auch um die Treue.

Das Ausagieren geht nun typischerweise folgendermaßen vonstatten: Es ist diese Hoffnung auf Erlösung die den Mann dazu bringt, sich immer wieder in Situationen zu begeben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit seinen früher erlebten Situationen haben:

  • „Da ist die wieder, die damals so heiß begehrte Person, die man jedoch nie bekam.“ Oder: „Schon wieder ist da dieser Konkurrent um die Aufmerksamkeit oder die Zuwendung der Bezugsperson.

Es ist wie eine Schablone aus der alten Erfahrung die sich nun über die unbewussten Erwartungen legt und bewirkt, dass sich der Betroffene nun hochpräzise genau diesen einen Typ Partner sucht, der dem damaligen Bild am stärksten entspricht! Das alles mit der Treffsicherheit eines Scharfschützen… 

(4.) Warum helfen Ratschläge von außen nicht viel? Muss es denn wirklich immer eine Therapie sein?

Du kennst sie, diese gutgemeinten Ratschläge Dritter: „Such dir doch lieber einen anderen Partner für Dein Leben. Jemanden der die gleichen Werte und Visionen wie Du hast.“ Aber Du ahnst es bestimmt schon jetzt … Solch ein Rat hilft dem Betroffenen im Moment nur wenig bis gar nicht…

Es ist dieses innere immer noch unreflektierte / unbewältigte Thema rund um Wärme, Sehnsucht nach Nähe und sauberer Liebe gerade von diesem einen speziellen Menschen zu bekommen.
Dieses Gefühl zieht dermaßen magisch an, dass man sich immer wieder genau diesen Typ Mensch als Partner aussucht. 

Diese in der Vergangenheit erlebte Situation ist für den Betroffenen immer noch völlig unverstanden und erzeugt bis ins Erwachsenenalter hinein eine tiefe Unsicherheit. Darum wird auch genau diese Bindung immer wieder gesucht.

Ein kleiner Einschub zur Wiederholung:

Wir sollten uns immer folgende zwei Gedankengänge über unsere Psyche merken:

      1. Wir lernen durch Handeln (Agieren genannt) unserer späteres Denken
      2. Wenn unsere Psyche etwas nicht verstanden hat, dann wiederholt sie es immer und immer wieder – in der Hoffnung irgendwann einmal diese Situation in seiner Gänze zu begreifen.

        Und wenn sie es nicht begreift? Willkommen im Teufelskreislauf…

4.1. Kann eine Therapie hierbei helfen?

Kann ein in der Vergangenheit noch unbewältigtes Thema nicht fallen gelassen werden, dann hilft oft nur noch der strukturierte Weg über ein therapeutisches Gespräch. In diesem Rahmen können diese noch unbearbeiteten Gefühle aufgegriffen und in aller Ruhe geordnet und strukturiert betrachtet werden.

Nehmen wir mal das Beispiel, dass sich jemand um die ihm zustehende Aufmerksamkeit in der Kindheit betrogen fühlt. Was ist dann in einer Therapie anders als im reellen Leben? Am besten könnte man dies anhand des Beispiels beschreiben, wenn der Betroffene in der Sitzung mit dem Therapeuten wieder einmal von seinen Gefühlen überfordert ist. Auf einmal sind sie nämlich wieder da, diese Eifersuchtsgefühle … Er oder sie fühlt sich vom Therapeuten betrogen, weil dieser sich ihr – natürlich nur in ihrer inneren Vorstellung – ähnlich nahe intim zeigt, einfühlsam und aufmerksam ist oder – noch schlimmer andersherum – andere Patienten viel lieber mag als sie und eigentlich nur darauf wartet, dass die Sitzung mit ihr endlich zu Ende ist.

All das sind nämlich Situationen, welche sie aus ihrer Kindheit und den unbewältigten Themen heraus aller bestens herauskennt. Und hier beginnt nun der Wiederholungscharakter unserer Psyche: Weil dieses Gefühl – sich betrogen fühlen – noch zu den unbewältigten inneren Themen gehört, wiederholt der Patient nun unbewusst seine früheren Erfahrungen in der Therapie – egal ob er das nun möchte oder nicht – ob es ihm selbst vernünftig erscheint oder nicht.

In der Übertragung zwischen dem Patienten und Therapeuten bildet sich hier ein Wiederholungszwang. Der kann dann so weit gehen, dass der Therapeut während der Sitzung irgendwann wirklich mal mit seinen Gedanken zu anderen Patienten „abwandert“, die Stunde ein paar Minuten früher beenden will oder sogar ganze Sitzungen „vergisst“.

Jetzt aber kommt der wichtige Unterschied zwischen einer Therapie und dem betrügerischen Partner aus der Vergangenheit zum Tragen: Ein Therapeut sollte diese Gefühle / diese Gegenübertragung immer bei sich selbst erkennen und verstehen, dass dies ein wichtiges Werkzeug in der therapeutischen Beziehungsdynamik sein kann.

Hierdurch wird dieser Teufelskreislauf dann endlich einmal positiv unterbrochen: Indem das Vergangene sich nicht einfach eins zu eins wiederholt, sondern in der therapeutischen Beziehung komplett anders gezeigt wird, erkenn der Patient dass auch eine andere Erfahrung möglich ist. Er kann auf dieser neuen Erfahrung dann langsam aber sicher eine neue Bindungssicherheit für sich erarbeiten.

Psychotherapie ist – platt ausgedrückt – nichts anderes als das erkennen, dass es auch anders geht… Psychotherapie zeigt Bindungsalternativen auf. Der Patient erkennt, dass er andere Erfahrungen machen KANN als die, die er damals machen MUSSTE.

Psychotherapie manipuliert in dem ursprünglichen Sinne des Wortes „manipulieren“ Französisch: Etwas mit der Hand bearbeiten. Lateinisch manipulus … Manus = die Hand. Plere = füllen. Die Hand mit einem Werkzeug füllen. 

(5.) Trauma im Wiederholungszwang

 

Dieser Zwang zu einer Wiederholung ist also eine wichtige und oft auch richtige Methode, wenn unsere Psyche „etwas Negatives“ nicht bewältigen konnte. Die Steigerungsform von „etwas Negativem“ ist ein Trauma. Erfährt jemand ein Trauma und kann die Psyche dieses nicht verarbeiten, dann beobachten wir sehr oft eine katastrophale Neigung zur Retraumatisierung.

Was ist mit Retraumatisierung gemeint? Durch Forschung wissen wir, dass sich traumatisierte Menschen später besonders häufig oft wieder in ähnlich überwältigende und / oder gefährliche Situationen begeben. Für einen Außenstehenden Dritten mag dies völlig verrückt erscheinen – sich immer wieder in die gleichen gefährlichen Verhältnisse zu begeben. Dahinter steckt aber ein tieferer Sinn. Er zeigt, wie unsere Psyche lernt, mit solchen – zuerst einmal nicht verstandenen Situationen – umzugehen. Denn weil das Trauma für die verwundete Psyche immer noch unbegreiflich ist kann es nicht so einfach von ihr losgelassen werden. Das „ungreifbare“ muss doch irgendwie auf irgendeine Art und Weise „losgelassen“ werden können.

Wie versucht die Psyche nun loszulassen?

Indem immer wieder diese traumatische Situation aufgesucht wird, versucht sie das alles irgendwie durch ein agieren / ein Handeln zu verstehen. Und da sind wir wieder bei der Lernformel unserer Psyche: Agieren / Handeln um Dinge zu verstehen wofür sie noch keine Worte oder noch keine Gedanken hat. Wenn sich jemand später dann von solchen gefährlichen Situationen oder Personen distanziert, dann können wir bereits einen wichtigen psychischen Lösungsprozess im Bewältigen des Traumas erkennen – er ist „auf dem Weg der Besserung“.

Der Wiederholungszwang ist jedoch nicht das einzige Werkzeug welches unserer Psyche zur Verfügung steht, um so schreckliche Erlebnisse wie ein Trauma zu verarbeiten. Da gibt es nämlich noch eine Steigerung und zwar in Form von Flashbacks.

Flashbacks – das sind sich extrem real anfühlende Vorstellungen innerhalb derer man sich genau so fühlt, als wäre man wieder in der gleichen traumatisierenden Situation. Auch hier versucht unser Unbewusstes, das Unbegreifliche nicht zu vermeiden (wie man das als Außenstehender vermuten würde) sondern das Unbegreifliche fast schon zwanghaft offensiv zu wiederholen.

Einschränkend müssen wir im Falle von Flashbacks jedoch sagen, dass hier fast kein psychischer Lernraum mehr bleibt zum Begreifen. Flashbacks sind oft die Eingangstür zum psychotischen Erleben und verhelfen selten zu einer sauberen Verarbeitung des Geschehenen. Sie sollten aber im Rahmen von Wiederholungszwängen erwähnt werden. Wie mit Flashbacks im Rahmen umgegangen werden sollte und wie sich unser Gehirn bei Flashbacks und schweren Traumen verändert, kannst Du in folgendem Beitrag sehen:

https://werdewiederstark.de/landing-page/beziehungswissen/wie-sich-unser-gehirn-durch-ein-trauma-veraendert/

(6.) Wie aber kann man sich aus dem Teufelskreis lösen?

 

Oder anders gefragt: Wie wird Neues in unserer Psyche möglich??? Erinnern wir uns noch einmal:

Je gefährlicher sich eine Situation für unsere Psyche anfühlt und je weniger dieses Erlebnis von ihr verarbeitet werden konnte, desto mehr wird dieses dann später agiert, also an eine andere Handlung oder an eine Person gebunden. Erst wenn nach und nach andere Beziehungserfahrungen gewachsen sind oder wenn ein neuer gedanklicher oder emotionaler Spielraum entstanden ist, erst dann können sich Alternativen für die Psyche ergeben.

All diese Wiederholungen unserer Psyche können wir mit einem Blutkreislauf oder dem Sauerstoffkreislauf beschreiben. Wiederholungen sind einfach wie das Atmen unserer Seele … sie sind das Leben unserer persönlichen Identität. Auch wenn sie uns oft in merkwürdige oder ungewöhnliche Situationen bringen, wir können dieses „Verstehen durch wiederholen“ nicht einfach abstellen. Es einfach elementar und bedeutet nicht weniger als unsere seelische Entwicklung.

Durch das Wiederholen und anschließende Verstehen, werden nämlich neue (Lösungs-) Wege in unserer Psyche geschaffen sind. Nehmen wir das Beispiel des Blutkreislaufs: alte verstopfte Adern werden aufgegeben und neue Adern gebildet. Das Blut kann wieder fließen.

In der Psyche ausgedrückt: Neue Wege erlernen um altes „Sackgassendenken“ aufzugeben.

 

6.1 Wie funktioniert dies nun in einer Therapie?

Neue Blutbahnen / neue Gedankenbahnen …. Das ist das Ziel einer Therapie. Solche neuen Erfahrungen können oft jedoch nur dann entstehen, wenn man unter therapeutischer Anleitung noch einmal vorsichtig zu dem schmerzhaften Anfang zurückgeht – wichtig: therapeutisch geführt und nicht in einem unbewussten Ausagieren des ehemals Geschehenen. Eine Form der Traumatherapie ist es zum Beispiel, dass ein Patient gebeten wird, seine traumatischen Erfahrungen so detailliert wie möglich ein einem handgeschriebenen Brief zu verfassen.  Wichtig ist hierbei die Variante: „handgeschrieben“! Es werden hierdurch mehrere Sinne unseres Gehirns angesprochen. Außerdem wird verhindert, dass wir auf einem „elektronischen Zettel“ Geschriebenes immer wieder löschen können. Es muss sich alles „von der Seele geschrieben“ werden.

In der nächsten Sitzung liest der Patient dann seinen Brief dem Therapeuten laut vor. Er überträgt hierdurch sozusagen seine Empfindungen an sein Gegenüber. Danach nimmt der Therapeut den handgeschriebenen Brief und liest diesen dem Patienten mit SEINEN Empfindungen über das gehörte vor. Es erfolgt eine Gegenübertragung!

Durch diesen Wechsel zwischen Übertragung und Gegenübertragung wird die Möglichkeit einer völlig neuen Sichtweise geschaffen. Viele alte unbewusste Emotionen werden hierdurch gelöst – immer und immer wieder neu besprochen und bearbeitet – und damit bilden sich neue Denk- und Empfindungsbahnen.

Hierdurch lernt der Patient, dass er über sein eigenes Erleben wieder eine Art Handlungsvollmacht / Denkvollmacht bekommt. Durch diese für ihn völlig neue Denkvollmacht, kann er dann nach und nach das passive Wiedererleben in ein aktives Leben umgestalten – seinen Handlungen neuen seelischen Spielraum verschaffen. 

Eine kleine Zusammenfassung

Wir alle folgen in unserem Leben gewissen Wiederholungszwängen. Das ist richtig und auch gut so, da wir hierdurch Neues überhaupt erst einmal erleben können. Da muss man nicht gleich zu einem Therapeuten rennen 😊

In den allermeisten Fällen hilft es schon, wenn man über sich und sein Verhalten in aller Ruhe einmal nachdenkt oder dies mit einem anderen verstrauten Menschen einmal bespricht. Denn wie sagte bereits der österreichische Philosoph Martin Buber (1878-1965): „Man kommt nur über das DU zum ICH“. Die Resonanz eines Dritten ist oft sehr hilfreich!

Wenn wir dann bemerken, dass sich bestimmte Themen in unserem Leben immer wieder wiederholen – spätestens dann sollten wir etwas hellhöriger werden …

Ich denke hier ganz besonders an solche die Themen wie:

      • Enden meine Freundschaften oder Beziehungen fast immer auf eine ähnliche Weise?
      • Stecke ich häufig immer wieder in der gleichen Gruppendynamik fest?
      • Beschweren sich meine Freunde regelmäßig über eine bestimmte Angewohnheit von mir?
      • Reagiere ich auf bestimmte Sätze anderer vielleicht besonders aggressiv?

Wenn dem so ist, dann liegt an diesen Stellen oft etwas Unbewältigtes in der Vergangenheit / ein lebensgeschichtliches Thema noch zur Bearbeitung vor. Auch wenn man für die einzelnen Situationen scheinbar sehr vernünftige Erklärungen abgeben könnte – wie zum Beispiel:

      • Das kann doch jedem mal passieren
      • Da ist halt vieles auf einmal gekommen
      • Ich bin halt so – das sind bestimmt nur meine Gene …

Die immense Wichtigkeit von Wiederholungen für unsere psychische Entwicklung lässt sich auch daran erkennen, dass wir sie oft lieber über uns ergehen lassen, sie förmlich erdulden anstatt sie aufzugeben. Und je unsicherer wir in unserer eigenen Identität sind, umso hartnäckiger ist der Wiederholungszwang.

 

Wozu sollte uns dieser Beitrag nun animieren?

      1. Wiederholungen sind wichtig und richtig!
      2. Selbst wenn sie uns unsinnig erscheinen, sollten wir alles daransetzen
        1. sie nicht abzutrainieren,
        2. sondern lieber versuchen, sie zu verstehen
        3. um dadurch dann einen seelischen Spielraum für etwas Neues zu erschaffen. „Das „Fort-Da-Spiel“ oder das „Kuckuck-Spiel“ im täglichen Leben trainieren.

Warum passiert das alles immer nur mir? Es passiert dir immer wieder, damit du aus deinen Erfahrungen lernen und neue Wege beschreiten kannst… Wenn du strukturiert neue Wege lernen möchtest, dann buche dir unter info@borderline-coaching.de ein Orientierungsgespräch. Denn: „Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie meine Welt von Morgen aussieht!“ 

Lassen Sie uns miteinander ins Gespräch kommen. 

Marcus Jähn Werde wieder stark durch CoachingEs sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind. 

  • Was ist das eigentlich, eine Persönlichkeitsstörung, ein Perfektionismus, ein Spaltung oder eine Gegenübertragung?
  • Kann ich trotz Borderline oder Narzissmus eine stabile Partnerschaft aufbauen und damit über Jahre hinweg leben? 
  • Ist eine Kommunikation mit einem Borderliner möglich? Wie hilft hier die U.M.W.E.G.-Methode©? 
  • Kann ich meine Bindungsangst oder Verlustangst irgendwann einmal kontrollieren?
  • Was kann ich tun, wenn ich mich gerade in einer Trennung befinde, oder kurz davor bin?


Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:

  • Eine humorvoll und spielerisch – ja fast tänzerisch – eingesetzte Gewaltfreie Kommunikation in Kombination mit der von mir entwickelten 
  • U.M.W.E.G.-Methode© und nicht zuletzt die Transaktionsanalyse als Sprachkonzept können helfen, auch in schwierigen Situationen noch kühlen Kopf zu bewahren. 

Buchen Sie sich einfach auf meinem Online-Kalender ein Zeitfenster oder nutzen Sie mein klassisches Kontaktformular um mit mir in Verbindung zu treten. Ich freue mich auf Sie. Ihr Marcus

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