6. BEHANDLUNG MIT ARZNEIMITTELN
Besonders bei den psychogenen (den scheinbar seelisch ausgelösten) Störungen scheint es zuerst nicht einzuleuchten, mit Medikamenten („Chemie“) einzugreifen.
So wurde es vor allem früher gesehen – und auch entsprechend praktiziert.
Inzwischen aber weiß man: Damit vergibt man zumindest einen Teil des möglichen Behandlungserfolgs, und der ist gerade bei Persönlichkeitsstörungen extrem mühsam zu erreichen.
Die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es im Grunde
– keine absolut „reine“, seelisch zu interpretierende Störungen gibt.
Die Erklärung hierfür:
⇒ Wie soll man sich auch anders die geistigen und emotionalen Funktionen erklären, als über die Schiene biochemischer Prozesse im Gehirn?
Für die organischen Funktionen leuchtet das ja noch ein:
Wenn ein Muskel bewegt werden soll, ist das nur über einen Nerven-Impuls möglich, der in der Regel vom Gehirn selber kommt.
Der Beweis ist einfach: Wenn die zentral-nervösen Strukturen im Gehirn nicht mehr funktionieren, dann geschieht nichts mehr, der Muskel ist gelähmt.
Vergleichbar kann man dies bei kognitiven und emotionalen Funktionen sehen, also bei Geist und Emotion.
Hier ist es zwar komplizierter:
Aber die Leistung,
- wie z.B. Kreativität / Heiterkeit bis zur Manie einerseits
- und krankhafte Teilnahmslosigkeit und Depression andererseits
- von Wahn und Sinnestäuschungen nicht zu reden,
die müssen sich auch irgendwie biochemisch erklären lassen, ob es einem das nun zusagt oder nicht.
Und dafür sieht man heute vor allem die so genannten Neurotransmitter, also Überträger- oder Botenstoffe als zentral entscheidend an.
Im Grunde genommen ist dieses Wissen alt, nämlich rund 100 Jahre. Es basiert gerade bei den Persönlichkeitsstörungen auf der Überlegung,
- dass es sich bei diesen abweichenden Verhaltensweisen
auch um biologisch fundierte Zustände handeln müsse,
- die ererbt oder
- durch später erworbene Unregelmäßigkeiten / Störungen bedingt sind
Man war damals der Meinung, dass viele Persönlichkeitsstörungen oder Psychopathen eigentlich unvollständige Ausprägungen der beiden großen Gruppen endogener (von innen kommender) Krankheiten anzusehen sind,
- nämlich der (1) Schizophrenien sowie
- (2) affektiven Psychosen (endogenen Depressionen und manischen Hochstimmungen).
Deshalb schlug man schon früh den Einsatz von Psychopharmaka vor,
- vor allem dann, wenn das Leidensbild schizophrene, depressive oder manisch überzogene Symptome aufwies.
- Dabei hatte man vor allem das Ziel, die Vulnerabilität (Verwundbarkeit) für affektive (gemütsmäßig) und kognitive (geistige) Dysfunktionen zu reduzieren.
Tatsächlich ist die pharmakologische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen heute Standart.
Sie ist keine(!) Konkurrenz zur Psychotherapie.
Eher das Gegenteil ist der Fall:
- Sie öffnet in vielen Fällen der Psychotherapie erst die Tür,
- Und hilft sehr gut in der Krisenintervention (z. B. bei Selbst- und Fremdgefährdung, d. h. Suizidgefahr).
Natürlich muss sie – wie überall sonst auch – kritisch beurteilt werden in Bezug auf
- Notwendigkeit (da in der Regel lang dauernd) und
- Nebenwirkungen / Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln.
- Und auch wegen der Suchtgefahr.
Deshalb ist man mit Beruhigungsmitteln vom Typ der Benzodiazepin-Tranquilizer gerade bei Persönlichkeitsstörungen eher zurückhaltend,
Diese sollten maximal zur raschen Angstlösung und Aggressionsmilderung in Krisensituationen eingesetzt werden.
Keine Suchtgefahr besteht dagegen bei Antidepressiva.
Das gleiche gilt für die antipsychotischen Neuroleptika,
- die man als hochpotente Neuroleptika gegen die Symptome einer Psychose (Geisteskrankheit wie Schizophrenie oder organischen Psychosen) nutzen kann,
- Hinzu kommen die mittel- und niederpotente Neuroleptika mit weniger stark ausgeprägter antipsychotischer, jedoch mehr beruhigender Wirkung.
- Besonders günstig sind die inzwischen entwickelten so genannten atypischen Neuroleptika,
– die ein breites Wirkungsspektrum ohne die sonst gefürchteten Nebenwirkungen haben (dies waren häufig Bewegungsstörungen).