Schriftzug Marcsu Jähn

Selbstverletzungen – Ist es dann Borderline oder doch eine Depression?

 

Das ist schon ein dickes Brett was in der Differenzialdiagnostik zu bohren ist:

Ein Patient kommt zum Arzt mit akutem oder einem chronischen selbstverletzendes Verhalten wie zum Beispiel:

      • sich wiederholtes Schneiden
      • oder in seine Haut zu brennen /
      • diese stellenweise zu frieren u.s.w….

Ganz besonders in Situationen mit heftigen Emotionen wie Wutausbrüchen / starker Frustration kommt einem die typische Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, ganz besonders einer Borderline – Persönlichkeitsstörung in den Sinn.

Nur ist leider keine Diagnose in sich einfach! Denn auch bei einer Depression kann es zu stark ausgeprägten selbstverletzenden und suizidalen Tendenzen kommen. Aber nicht nur bei den Depressionen….

Was meine ich damit? Nun, ein Beispiel wäre hier die sehr gefährliche Form der Suizidalität bei einem Menschen der nicht depressiv ist.

Wenn er zum Beispiel sehr planvoll vorgeht um einen tödlichen Suizidversuch im Rahmen eines malignen / boshaften Narzissmus durchzuführen, der vielleicht durch starken Neid oder Frustration ausgelöst, einen „Sieg“ über andere bewirken soll.

Sowohl die chronisch / planvoll durchgeführte Suizidalität aber auch die bei Frustration und starker Wut ausgelösten spontanen und wiederholten Suizidversuche sind in sich typisch für Persönlichkeitsstörungen.

Die zuletzt genannten (also die durch Wut / Frustration ausgelösten) Suizidversuche kommen urplötzlich – wie aus dem heiterem Himmel – ohne dass im Hintergrund die Symptome einer Major Depression da sein müssen. Im Falle einer chronischen Suizidalität und selbstverletzenden Verhaltens brauchen wir eine spezielle – ganz auf diese Störung ausgerichtete psychotherapeutische Behandlung. 

Bei selbstverletzenden Verhalten: Ist es dann Borderline oder eine Depression?
Kriterien Unterschied zwischen Borderline und Depression
Unterschiede in der Behandlung zwischen Borderline und Depression

Sehr wirksam sind hierbei folgende drei therapeutische Ansätze:

      1. Kognitive – Verhaltenstherapien wie z.B. die DBT nach Linehan,
      2. die psychodynamische Psychotherapie (Übertragungsfokussierte Psychotherapie /TFP
      3. Die mentalisierungsgestützte Therapie (MBT).

Mit Mentalisierung meint man
1. das Wissen um die geistigen / mentalen / psychischen Beweggründe des eigenen Verhaltens
2. Und auch die Fähigkeit, das Verhalten anderer zu interpretieren und vernünftig darauf zu reagieren.

Die Mentalisierungsfähigkeit ist wichtig für die Organisation des Selbst- und für die Regulierung der Gefühlsregungen.

Das waren bis jetzt die Suizidversuche und selbstverletzende Verhaltensweisen im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung.

Auf der anderen Seite sind Suizidversuche bei einer depressiven Symptomatik ganz typisch für eine Major Depression Und genau hier muss jetzt sehr sorgfältig auf alle vorhandenen Rahmenbedingungen der Diagnose einer Depression geschaut werden. Dies ist wichtig, denn Suizidalität bei einer Persönlichkeitsstörung kann in der Regel psychotherapeutisch gut behandelt werden.

Suizidalität im Rahmen einer Major Depression hingegen verlangt eine sofortige (!) medikamentöse Einstellung und nach Möglichkeit auch eine stationäre Behandlung.

Wenn auch die medikamentöse Einstellung nichts hilft könnte alternativ auch eine EKT (Elektro – Krampftherapie) helfen. Die Elektrokrampftherapie beruht darauf, dass unter Narkose – und damit unter Muskelentspannung – eine kurze elektrische Reizung im Gehirn einen Krampfanfall auslöst.

Noch immer wissen wir nicht genau, warum und wie der Wirk-Mechanismus ist. Nach heutigem Wissensstand können wir die Wirkung auf Neurochemische Veränderungen diverser Botenstoffe im Gehirn zurückführen.

Die EKT kann helfen, wenn

      • in der Vorgeschichte auf Psychopharmaka schlecht angesprochen wird (Therapieresistenz)
      • Starke Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten auf Psychopharmaka vorhanden sind.
      • Bei einer wahnhaften Depression
      • Depression mit starker Suizidalität

Kurz noch ein ergänzender Einschub:

Wie differenzieren hier zwischen einer Depression bei einer Persönlichkeitsstörung und einer Major Depression. Zwischen diesen beiden Polen liegen aber auch Überlagerungsdiagnosen.

Das bedeutet, dass es auch Patienten mit einer besonders schweren Persönlichkeitsstörung gibt die gleichzeitig (!) eine sehr schwere depressive Verstimmung an den Tag legen – und das alles begleitet von einer Suizidalität.

Diese würden ebenfalls von einer medikamentösen antidepressiven Therapie aber in Verbindung mit einer zusätzlichen Psychotherapie zur Behandlung der Persönlichkeitsstörung profitieren.

Ist es jetzt eine Persönlichkeitsstörung oder eine Major Depression, wenn selbst verletzendes Verhalten zu beobachten ist?

Die Beantwortung dieser Frage erfordert deutlich mehr Zeit und ist sehr viel schwieriger zu beantworten als zum Beispiel die Differenzierung zwischen einer hypomanischen und einer manischen Phase wie wir es im Teil (1) bei der Differenzierung zwischen einer bipolaren Störung und einer Borderline – Persönlichkeitsstörung besprochen haben.

Jetzt müssen wir die Diagnose deutlich erweitern und sämtliche Kriterien der Major Depression mit berücksichtigen.

Aber außer, dass dies mehr Zeit in Anspruch nimmt ist die Diagnose nicht wesentlich schwieriger als die Unterscheidung zwischen einer Borderline–Persönlichkeitsstörung und der bipolare Persönlichkeitsstörung

Die Behandlung von einer affektiven Störung (Depression) beruht medikamentös auf Antidepressiva und Stimmungs-Stabilisierer wie z.B.

      • Lithium
      • Antikonvulsiva: z.B. Carbamazepin oder Oxcarbazepin
      • Atypische Antipsychotika
      • Antidepressiva
      • Benzodiazepine wie z.B. Lorazepam

Kommt es zu extremer Angst oder auch zu Komplikationen im Krankheitsverlauf sind auch Neuroleptika hierbei ein Mittel der Wahl, um z.B. wahnhafte Sinnestäuschungen zu bekämpfen. Bei einer schweren Persönlichkeitsstörung (bei Suizidalität) wird zwar auch zu Antidepressiva gegriffen – aber die psychotherapeutische Behandlung ist hier die zentrale Behandlungstechnik!

Warum gibt es so viele Probleme bei der richtigen Diagnose?

        • Problem der Kosten
        • Problem der Vorurteile

Leider sind manche Fehldiagnosen nicht auf klinische Kriterien zurückzuführen.

Sie entstehen durch sozialen Druck, wenn sich zum Beispiel Krankenkassen oder Versicherer weigern, die Behandlung einer Persönlichkeitsstörung zu bezahlen.

Wenn andererseits aber die Kosten für eine affektive Störung (eine Depression) übernommen wird dann ist es verständlich, wenn ein Mediziner diese Diagnose übernimmt um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben wenn er den Patienten helfen möchte.

Das Problem der Vorurteile und Ängste dürfen wir nicht unter den Tisch fallen lassen.

Immer noch gibt es eine allgemeine Zurückhaltung seitens der Familien und auch bei den Patienten eine Persönlichkeitsstörung als Grundlage des Problems zu akzeptieren.

Denn gesellschaftlich ist eine Depression oder eine bipolare Erkrankung immer noch akzeptierter als so etwas wie eine Persönlichkeitsstörung. Denn hier kann man sich ja auf das Feld eine „chemischen Stoffwechselstörung“ als Auslöser berufen.

„Ich kann ja nichts dafür“ ist für manche ein beruhigender Satz auf den sie sich dann gewissermaßen zurückziehen können.

Andererseits gibt es aber auch Untersuchungen die klar zeigen, dass sich Patienten mit einer Borderline–Persönlichkeitsstörung weitaus besser entwickeln, wenn man ihnen ihre Diagnose klar beim Namen nennt unddie Gründe für diese Diagnose offen darlegt. 

Therapien sind da!

Gerade weil uns heute so viele wirksame Ansätze für eine guten Behandlung von Persönlichkeitsstörung zur Verfügung stehen, sind falsche Diagnosen sehr sehr schädlich.

      1. Durch eine falsche Diagnose verlieren wir wertvolle Zeit.

      2. Durch falsche Diagnosen setzen wir Patienten unnötigen Gefahren aus indem ihnen zum Beispiel unnötige Medikamente mit ihren Nebenwirkungen verschrieben werden.
        Diese unnötigen Medikamente können ihrerseits das Risiko von Suizidversuchen oder selbstverletzendes Verhalten noch einmal stark erhöhen.

Auch wenn es sich nach einer Binsenweisheit anhört: eine korrekte und angemessene Diagnose ist und bleibt der erste Schritt zu einer effektiven Behandlung!

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