Ein Trauma – das ist nicht nur eine Verletzung, wie es in vielen Fachbüchern beschrieben wird… Nein! Es ist eine Handlungsohnmacht, kombiniert mit Angst.
Eine Person gerät in eine Situation, aus der sie sich durch Flucht oder Kampf zu entfernen versucht. Wird sie dabei behindert oder unterbrochen – z.B. durch einen Unfall, eine Vergewaltigung o.ä. – dann erstarrt sie in ihrer Bewegung, das urgewaltige Gefühl der Angst kommt hoch und im Körper verbleibt eine gewaltige Bewegungsenergie, die für das spätere Trauma verantwortlich ist.
Doch das Wissen darüber, was ein Trauma ist, ist nur die eine Seite der Medaille. Die Frage bleibt nun offen, wie diese Handlungsohnmacht, egal ob sie vor kurzem oder bereits vor Jahren geschah, wie dieses Trauma und der dadurch im Körper eingeschlossene traumatische Stress gelöst werden kann.
Und damit hat sich Peter Levine (*1942 Biophysiker und Psychologe), zeit seines Lebens befasst. Seine Forschungen sind in dem Bestseller „Sprache ohne Worte“, seinem persönlichen Magnum Opus, hervorragend zusammengefasst. Du kannst es direkt bei Amazon unter folgendem Link bestellen: https://amzn.eu/d/9wSiQ6i
Lass uns mal einen kurzen Einblick in seine Forschungsergebnisse nehmen, um zu sehen, ob wir durch sie die Frage nach einem Weg „raus aus dem Trauma“ beantworten können.
Wir als Menschen sind schon wunderbare Wesen. Wir haben die einzigartige Fähigkeit, sogar extreme Erlebnisse von Verlust, Hilflosigkeit und Entsetzen verarbeiten können, ohne an diesen zu zerbrechen oder durch sie dauerhaft traumatisiert zu werden. Und trotzdem vermeiden wir – wo immer es geht – die Erinnerungen oder Gefühle an schwierige Erlebnisse und versuchen alles, diese NICHT mehr ins Bewusstsein zurückkommen zu lassen.
Und was unsere Psyche da nicht alles unternimmt …
Etwas einfacher ausgedrückt:
Viele Menschen leben nach diesem Vermeidungs-Motto und verändern dabei ihr gesamtes Leben… Sie halten sich von bestimmten Restaurants fern, oder wechseln den Radiosender, wenn da ein Lied ertönt, dass sie an eine frühere Partnerschaft erinnert. Dann umfahren sie großräumig die Stelle, wo sie einmal in einen dramatischen Autounfall verwickelt waren und wissen nicht einmal, wieviel Einfluss all dieses in ihrem Leben hat. So nachvollziehbar dies vielleicht auch sein mag, erreicht wird dadurch leider nur das genaue Gegenteil! Wenn wir uns vor unangenehmen Erinnerungen verstecken, sie sogar aktiv versuchen zu unterdrücken, dann erreichen wir lediglich, dass sie sich sogar verstärken. Das ist, wie wenn wir versuchen, einen Luftballon unter Wasser zu drücken… Er wird immer seinen Weg an die Oberfläche finden. Und je fester ich drücke, umso stärker wird er an die Oberfläche kommen.
Auf unsere traumatischen Erinnerungen bezogen bedeutet dies, dass – je mehr wir ihnen aus dem Weg gehen, umso stärker beeinflussen sie uns.
Was wir uns aktiv unterbinden zu fühlen, dass löst sich nicht in Luft auf! Das bleibt! „Unser Körper vergisst nicht“ wie es Sigmund Freud bereits gesagt hat. Oft wird es dadurch sogar noch stärker und setzt dann noch eine folgenschwere Kette / eine Kaskade an heftigen Emotionen in Bewegung. Und dann ist er auf einmal da, der Teufelskreis, der für das Trauma verantwortlich ist, dem wir doch mit allen Mitteln versucht haben, aus dem Weg zu gehen. Diese aus dem Blick weggeschobenen Gefühle sind nur weggeschoben… Sie blockieren nun unsere körperlichen Empfindungen. Und diese Blockade löst sich nicht auf, sondern bildet im Hintergrund einen unsichtbaren Schatten, der immer größer wird.
Die Lösung ist frappierend einfach: Wir müssen uns diesen körperlichen Empfindungen einfach nur „auf eine ganz bestimmte Weise“ zuwenden, damit sie sich verändern und dann verlagern können. Und wenn dies geschieht, dann verändern wir uns mit ihnen gemeinsam.
Nun, indem wir dem natürlichen Drang widerstehen, die Gefühle rationell mit unserem Verstand zu verstehen und uns stattdessen voll und ganz auf unsere körperlichen Empfindungen konzentrieren die wir in diesem Moment – nicht gestern oder morgen – empfinden! Nur durch diese Achtsamkeit, diese Interozeption können unserer Gefühle zu einem Abschluss kommen und wir erhalten mit dieser Hilfe neue Perspektiven in unserer Wahrnehmung und der Bedeutung unserer Gefühle.
Das Wort Angst entstammt aus dem indogermanischen Begriff „anghu“ für beengend, ging ins althochdeutsche „angust“ über. Lateinisch steht hier der Begriff „angustus“ oder für Enge und Bedrängnis. Hört sich das nicht ähnlich an wie „angina“?
Wie Angst in uns erlebt wird, darüber haben sich viele Forscher Gedanken gemacht, zum Beispiel auch der deutsche Experimentalforscher Siegbert Warwitz, der ein ganzes Angstspektrum erstellt hat. Würden wir selber mal ein paar Menschen befragen, was sie unter dem Begriff Angst verstehen, dann bekämen wir sicherlich viele unterschiedliche, oft auch nebulöse Antworten … Vielleicht sagt der eine oder, dass er Angst irgendwie „fühlt“. Wenn man dann aber nachfasst und fragt, woher er denn weiß, dass er Angst „fühlt“, dann gehen die Antworten noch weiter auseinander. Vielleicht sagt einer: „Angst fühle ich, wenn mir etwas Schlimmes passiert oder wenn ich befürchte, dass etwas Schlimmes noch passieren wird.“Andere könnten sagen:
Die einen werden durch Angst aktiv und gehen in einen Kampf/ Fluchtmodus oder, andere sacken in sich zusammen und erstarren. Ist dir in dieser etwas aufgefallen? Bis auf die erste Antwort waren das alles rein körperliche Empfindungen!
Das Ziel liegt darin, einer Person, die Angst verspürt zu helfen, sich statt auf das Gefühl der Angst eher auf das zu konzentrieren, was bei ihm / ihr im Körper abläuft.
Dadurch könnte man– mit etwas Übung – auch die körperlichen Empfindungen entdecken, die für diese Gedanken verantwortlich waren und … (das ist das eigentliche Ziel) diese dann steuern. Ja, so unwahrscheinlich es sich beim ersten Anhören anfühlen mag, es ist tatsächlich möglich, unsere Emotionen, Gedanken und Überzeugungen von unseren Körperempfindungen – die sie verursachen – zu trennen!
Nun, wenn wir erkennen, dass wir solch schwierigen Gefühle wie Wut, Entsetzen, aber auch Hilflosigkeit aushalten können, dann lassen wir uns nicht mehr so leicht von diesen überrollen. Und wenn wir uns nicht mehr überrollen lassen, jedoch lernen, diese Gefühle auszuhalten, dann kommt ein neues Gefühl auf, das wir mit uns mit unseren Empfindungen in einem Fluss befinden. Ein Patient nannte dies einmal, „ein nach Hause“ zu spüren.
Erst wenn ich mich meinen Gefühlen und den inneren Stimmen völlig öffne, diese aushalte, während ich sie sehr genau betrachte, kann ich sie auch völlig verstehen und mir letztendlich auch zu Nutze machen. Nehmen wir einmal an, wir erkennen – bewusst oder unbewusst – eine Gefahr. Unser Körper reagiert automatisch mit verschiedenen Abwehrhaltungen:
Das alles sind typische Reaktionen, die wir von Natur aus vorprogrammiert bekommen haben, die aber auch viel Energie benötigen um uns vor eventuellen Gefahren zu schützen. Der Körper ist in dieser Situation – Adrenalin geschwängert – zu unglaublichen Leistungen in der Lage. Im Juni 2009 wurde in der Dokumentation „Faszination Leben“ von einer Frau berichtet (Angela Cavallo, eine kleine rundliche Hausfrau mittleren Alters) dass sie einen 1,5 Tonnen schweren Wagen anhob, der bei Reparaturarbeiten ihren Sohn unter sich begrub…
Diese Kraft kennen wir auch aus der Tierwelt, wenn zum Beispiel ein Hase auf der Flucht 70 km/h erreicht wenn er vor seinem Verfolger um sein Leben rennt. Diese Überlebensenergien werden von unserem Gehirn aus gesteuert. Sie sind im Grunde genommen strukturierte Spannungszustände in den Muskeln, die nur darauf aus sind, uns aus der Gefahrenzone zu befördern. Werden sie in ihrem Angriff oder der Flucht behindert oder beziehungsweise unterbrochen, dann friert das gesamte System in Erstarrung ein oder bricht in sich zusammen.
Aber: und dieses ABER wird oft übersehen … Was geschieht eigentlich mit der Spannung, der gigantischen Energie, die sich in unseren Muskeln für die Abwehrreaktion Flucht / Kampf aufgebaut hat? Ganz einfach: die Energie, diese Spannung verbleibt tatsächlich in den Muskeln und setzen dort einen massiven Strom von Nervenimpulsen in Gang.
Dieser Strom geht über die Wirbelsäule
Etwas einfacher ausgedrückt: Wenn sich unser Körper durch die Muskeln und inneren Organe darauf eingestellt hat, auf eine Gefahr zu reagieren, dann (!) sagt uns unser rationaler Gehirnbereich, dass wir uns in einer gefährlichen Situation befinden.
Was aber, wenn die Gefahr bereits vorüber ist oder wir die eigentliche Ursache für unsere Notlage nicht finden können? … Dann sucht unser Unbewusstsein weiter danach. Nehmen wir hierfür mal die Erfahrungen vieler Gewaltopfer … Eine Frau, die in einer dunklen Nebenstraße vergewaltigt wurde oder ein Soldat, der im Krieg einen Hinterhalt überlebt hat reagieren auf ähnliche Situationen – z.B. eine Motor-Fehlzündung – mit einer Retraumatisierung, auch wenn sie vom rationellen Verstand her ganz genau „wissen“, dass sie sich nicht in einer realen Gefahr befinden. Wenn wir – bei einer Retraumatisierung – keine vernünftige Erklärung für das finden können was wir wieder fühlen, dann konstruieren wir uns eine neue! Und auch wenn dies vollkommen unlogisch ist, geben wir unserem Partner, unseren Kindern, Freunden, Kollegen in dieser Projektion die Schuld oder erklären uns das alles mit Schicksal. Oft müssen wir solche traumatisierten Menschen dabei beobachten, dass sie wie besessen immer weiter nach Gründen in der Vergangenheit suchen und dabei immer mehr Angst vor der Zukunft entwickeln. Weil sich dieses unterbrochene Verteidigungssignal immer noch in ihrem Körper befindet, sind sie dauerhaft verspannt, ängstlich und fühlen sich hilflos, weil ihr Körper (!) und nicht das rationelle Gehirn permanent eine Gefahr signalisiert.
Du kannst diesem Gedankenkonstrukt nun zustimmen oder es auch ablehnen … Fakt ist aber, das die Alarmsignale (aus unserem Unbewusstsein) erst dann aufhört zu blinken, wenn unser Körper seine ursprüngliche Flucht- Kampfhandlung zu Ende bringen kann. Wir sind so konstruiert – das ist unsere biologische Natur – und diese ist nun mal fest in unserem Körper und Gehirn verankert. Diese inneren Körperreaktionen sind keine Einbildung oder Fantasie einzelner Traumaforscher. Sie sind reale / wirkliche Haltungen, die unser emotionales Gedächtnis prägen.
Bei Angst verspüren wir diese Spannung in Nacken, Schultern und Brust, den Knoten in der Kehle oder das Absacken unseres Bauches. Wenn sich Brust, Schultern und das Zwerchfell zusammenziehen, unsere Knie anfangen zu schlottern, dann sind all das klare Signale für Hilflosigkeit. Aber sie sind noch etwas! Sie sind potenzielle Handlungen. Können sie von Anfang bis zum Ende durchgeführt werden, dann ist dies gut. Wenn nicht, dann existieren sie und ihre Spannungsenergie in unserem Körper weiter. Sie sind wie eingefroren … Ein Trauma ist eine Handlungsohnmacht – eingefroren in einem anderen Spannungszustand.
Wenn diese angstmachende eingefrorene Energie nicht aufgetaut werden, indem ihr
dann bleibt der Betroffene weiterhin im Würgegriff der Angst gefangen.
Und das ist die Bühne einer ganzen Reihe von Symptomen, die in unserer modernen Gesellschaft als „normal“ betrachtet werden:
All dies sind Belastungen, welche die Lebensenergie des Einzelnen förmlich aussaugen. An der schweren Form krankhafter Chronischer Erschöpfung – das CFS (G93.3 ICD10) leiden ca. 300.000 Menschen in unserem Land. All diese Menschen mit zeitweise oder chronische auftretenden Stress-Symptomen sind es dann, die vergeblich von einem Arzt zum Nächsten laufen, auf der Suche nach Abhilfe für ihre Schmerzen.
Ungelöste Traumen sind wahre Verkleidungskünstler. Sie sind an vielen Krankheiten und Beschwerden beteiligt. Wahrscheinlich sind sie sogar für die meisten Krankheiten heute verantwortlich, an denen unsere ach so „moderne Gesellschaft“ leidet. Denn wenn unser Nervensystem mit dieser Überdosis an Energie – aufgrund der unbewältigten Traumatisierungen – jahrelang konfrontiert wird, bleibt es überaktiv so lange in einem Alarmzustand, bis der Prozess im Körper zum Abschluss gekommen ist. Die Lösung hierzu ist die „Neuverhandlung“.
Wenn Peter Levine, der Begründer von „Somatic Experience“ diesen Begriff der Neuverhandlung anspricht, dann meint er ausdrücklich nicht ein „Wiederdurchleben oder „Flooding“ des Traumas.
Flooding gehört zu den Expositionstrainings / den Konfrontationstherapien die helfen sollen, sich wieder aus eigenem Willen und autonom – mit sehendem Auge – den mit Angst besetzten Situationen zu stellen und die damit verbundenen Konflikte zu lösen. Es wird u.a. nach Unfällen, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen aber auch bei Phobien wie Höhen- oder Spinnenangst eingesetzt. Die Studien über ihre Wirksamkeit zeigen ein eher durchwachsenes Bild bei den Traumatherapien. Es gibt eine ganze Reihe an Stimmen die aufzeigen, dass diese Methodik nur wenig Hilfe bietet und sogar retraumatisierend wirken kann. Das Problem so mancher etablierter Traumatherapie liegt u.a. darin, dass sie sich auf die traumatischen Erinnerungen bewusst konzentrieren, sie noch einmal durchleben um dabei die dort eingebundenen Gefühle wie Wut, Angst und Entsetzen intensiv abzureagieren.
Dies psychische Zwangsjacke – mir fällt kein anderer Begriff im Moment dazu ein – ist alles andere als förderlich. Dadurch wird dieses Ohnmachtsgefühl – was ja ursprünglich das Trauma erst verursacht hat, oft noch weiter verstärkt. Viel sanfter sind da die verschiedenen Behandlungsstufen, die der eingangs erwähnte Peter Levine vorschlägt, um ein Trauma dauerhaft und wirkungsvoll zu bearbeiten:
Ein Trauma ist in einem Moment der maximalen Unsicherheit entstanden. Deshalb muss auch alles vermieden werden, das ein erneutes „Hochkommen / eine Retraumatisierung veranlasst. Sicherheit und Ruhe ist deshalb nicht umsonst das erste Kriterium. Der Begriff der Sicherheit geht auf das lateinische Wort „securitas“ zurück, was „sorglos“ oder „Fürsorge“ (lat. „cura“) bedeutet.
2. Interozeption
Dieser etwas kryptisch wirkende Begriff ist jedoch leicht erklärt… Rezeption bedeutet „Empfang“. Interozeption ist damit der „Empfang nach Innen“. Der Therapeut hilft seinem Klienten in dem „Hineinfühlen in seinen Körper“. Es zuerst ist ein sich achtsames Öffnen für die inneren Gefühle um diese dann in ihrem Auftreten zu akzeptieren.
Ein Trauma rollte wie ein Mähdrescher über einen drüber und hinterlasst eine Spur der Verwüstung. Durch ein leichtes Pendeln und Richtung des Traumas wird alles getan, um eine Überforderung zu vermeiden. Komme ich auch nur ein wenig zum Ursprungstraume und seiner Ohnmacht hin, ziehe ich mich wieder zurück. Im Vergleich: Ich springe nicht sofort und ganz in das Eiswasser, sondern ich halte nur kurz einen Zeh hinein und akklimatisiere mich langsam.
Titration ist ein Begriff aus der Chemie. Er beschreibt eine tropfenweise / kleinstmögliche Vorgehensweise zwei Stoffe miteinander reagieren zu lassen. Zum Beispiel würde es eine Explosion geben, wenn man Natronlauge und Salzsäure in größerer Menge einfach so miteinander mischen wollte. Genauso vorsichtig geht man auch mit dem Thema Trauma um. Der Traumatisierte wird in der kleinstmöglichen Menge mit seiner Erfahrung konfrontiert um die Handlungsvollmacht zu erhalten und eine Retraumatisierung zu vermeiden.
Wenn man auf einer dunklen, regnerischen Nacht auf einer Landstraße vom Gegenverkehr geblendet wird, dann sind wir nicht hilflos, sondern wir richten unseren Blick auf den rechten Fahrbahnrand. Genauso wird dem Traumatisierten geholfen, durch aktive Abwehrreaktionen wieder ein Vertrauen in seine eigene Kraft zu entwickeln. Die Erfahrung „ich kann mir wirklich selber helfen“ ist mit nichts anderem an Kraft aufzuwiegen. Die Arbeit des Therapeuten liegt darin, ihn hierbei zu unterstützen und zu begleiten.
Ein Trauma ist eine Handlungsohnmacht. Aber das ist noch nicht alles. Eine Handlungsimmobilität muss nicht zwingend zu einem Trauma führen. Die innige Umarmung eines lieben Menschen bringt uns auch in eine Immobilität – ähnlich im Sex – führt aber nicht zu einem Trauma. Es ist immer die Kombination (!) von Immobilität und Angst, die dann zu einem Trauma führt. Wenn man es nun schafft, diese beiden Dinge voneinander zu trennen, hat man in der Therapie schon einen großen Schritt nach vorne getan. Traumatisierte wurden in ihrer Bewegung von Flucht oder Kampf behindert und sind erstarrt. In dieser Starre verharren sie oft mit einer großen Wut, Verwirrung und Scham. Wird diese Kette gesprengt, dann gelangt man schnell in die eigene Macht und Handlungsfähigkeit zurück.
Dieser Begriff kommt aus dem lateinischen Wortschatz. „sublimatio“ bedeutet „verbessern, veredeln“. Auf die Traumatherapie bezogen meint man damit, die Übererregung – also die durch das Trauma gespeicherte Energie auflösen und in ein autonomes Handeln umzuleiten oder einfach gesagt: „die aufgestaute Energie entladen“.
Auch hier wieder ein lateinisches Wort: „autonomia“. „Autos“ bedeutet selbst und „nomos“ das Gesetz. Man kommt durch Autonomie also in eine „Eigengesetzlichkeit“ in eine Selbständigkeit zurück. Wer sich etwas tiefer mit der Polyvagal-Theorie von Stephen Porges auseinandergesetzt hat, erkennt, dass durch die Autonomie die erste der drei Warnstufen wieder zurückerobert wird: die Wiederherstellung eines „dynamischen Gleichgewichts“ zwischen Entspannung und Wachsamkeit.
Achtsamkeit und der vorhin erwähnte Begriff der Interozeption kann schnell miteinander gleichgesetzt werden, hat aber einen grundlegenden Unterschied: Die Interozeption ist ein aufmerksames Beobachten der inneren Vorgänge, auch der Empfindungen. Das ist, als wenn jemand ein Feuer mit seinen Auswirkungen beschreibt. Bei der Achtsamkeit fühlt man die inneren Empfindungen und nimmt auch das äußere Geschehen tiefer – nicht einfach beobachtend – auf. Das „Hier und Jetzt“ wird fühlbar und man kann sich zwischenmenschlich wieder auf das Leben einlassen.
Ein Therapeut, der mit der Sprache des Körpers, seinen inneren Gefühlen vertraut ist, hat ein gewaltiges Vorrecht! Er kann praktisch durch ein Fenster sehen, welches ihm das vergangene Leben der Psyche und auch der Seele zeigt. Denn eins sollte man immer neidlos anerkennen … selbst die bestgewählten Worte können diesen Vorteil nicht ausgleichen.
Man sagt, dass die moderne Psychiatrie in den 1790er Jahren mit dem legendären Werk „Befreiung der Irren von den Ketten“ von Philippe Pinel in Frankreich entstanden ist. Aber über ein Jahrhundert vor ihm, bemerkte der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (1623 – 1662), dass unser Körper seine eigene – von dem rationellen Verstand nicht verstandene Vernunft hat. Und dann gibt es da noch den Australier Frederick Matthias Alexander (1869 – 1955), der ursprünglich ein Schauspieler war, seine Stimme verlor und durch intensive persönliche Recherche herausfand, wie wichtig unsere Körperhaltung und Körperwahrnehmung ist, um wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu gelangen. Von ihm stammt nicht nur die pädagogische Alexander-Technik – die u.a. von Hale Berry, Leonardo Di Caprio oder Robin Williams genutzt wurde – sondern auch der Gedanke: „Wenn Psychologen vom Unbewussten sprechen, dann meinen sie nicht den Geist, sondern den Körper.“ Über diesen Satz könnte man schnell hinweglesen. Aber er enthält eine sehr tiefe Aussage: Unser Körper und nicht unser Verstand ist der Sitz des Unbewussten. Das deckt sich mit der Aussage des portugiesischen Neurologen Antonio Damasio, dessen Buchtitel „Ich fühle, also bin ich“ genau dies wissenschaftlich begründet.
Über die so wichtige Beziehung zwischen Körper und Gehirn, beginnt es erst vereinzelt Literatur zu geben. Ich denke da an das wunderbare Werk „Darm mit Charm“ von Giulia Enders. Trotzdem sind diese im Vergleich zu der tiefenpsychologisch, rationellen Herangehensweise der Psychotherapie immer noch in der Unterzahl. Mohammed Masud Kahn (1924 – 1989) war ein pakistanisch-britischer Psychoanalytiker – also einer, der sich methodisch mit dem Unbewussten auseinandersetzt.
Er war nicht nur Schüler von Sigmund Freud, sondern auch von dem genialen britischen Kinderpsychiater Donald Winnicott. Ihm fiel auf, dass es kaum Literatur darüber gibt, die einen Trauma-Therapeuten darauf hinweist, eher auf den Körper des Patienten als auf seine Worte oder seine Affekte zu achten.
Therapeuten, die den Körper in den Mittelpunkt stellen, sind mit einem Resonanz-Spiegel zu vergleichen. In ihrer professionellen Distanz geben sie ihrem Gegenüber eine zeitlich genau abgestimmte Rückkopplung. Das tun sie, indem sie nicht nur davon berichten, was sie selber am Patienten sehen, sondern ihn auch dazu einladen, sich selber und seine Körperempfindungen zu erforschen. Durch Jahrelanges studieren am Menschen hat der Therapeut gelernt, selbst kleinste Veränderungen in der Körperhaltung, der Gestik, der emotionalen Mimik und anderen körperlichen Vorgängen zu erkennen und kann diese auch seinem Klienten beibringen, diese bewusst wahrzunehmen. Dadurch können dann viele unbewusste Konflikte und Traumen aufgedeckt werden, die durch den rationellen Verstand nicht erkannt werden.
Selbst der große Sigmund Freud schien dies gespürt haben. Nicht umsonst kommt von ihm der legendäre Satz: „Unser Geist kann vergessen, der Körper aber nicht – dankenswerterweise“. Und dieses „dankenswerterweise“ können wir bis heute voll unterstützen. Zwar hat sich Freud in seinen späteren Jahren überwiegend auf die Tiefenpsychologie konzentriert, jedoch hat er in seinem geistigen Erbe viele seiner Schüler – zum Beispiel den austroamerikanischen Psychiater Wilhelm Reich (1897 – 1957) – dazu inspiriert darauf zu achten, wie sich Konflikte vom Außen im Körperinneren auswirken. Er sagte: „Wenn es um die Situation in der Praxis geht, dann gibt es da tatsächlich nur zwei Tiere und zwei Körper.“
Im weiteren Verlauf möchte ich mit ein paar interpretativ vorgelesenen Fallbeispielen aus dem Buch von Peter Levine („Sprache ohne Wort“) zeigen, wie die Grundprinzipien der Körpertherapie in der Praxis umgesetzt werden können. Beim Lesen spürt man förmlich die Fragezeichen im Gesicht der Klienten, wenn der Therapeut damit beginnt, sein Feedback als Resonanz zu den unbewussten Haltungen zu geben. Aber je mehr der Patient, mit seinen eigenen Empfindungen so langsam aber sicher in Kontakt kommt, umso mehr lernt er seinen eigenen (!) Zugang zu seinen natürlichen Hilfsquellen und subtilen Hinweisen aus seinem Körper zu nutzen.
Der erste Fall (Miriam) ist typisch für eine starke und gleichzeitig auch subtil unsichtbare Körpersprache. Hier geht es um eine recht klare Dynamik, die zeigt, wie wichtig grundlegende Fähigkeiten sind, den Patienten auf seine eigenen Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen und deren Bedeutungen aufmerksam zu machen und mit diesen zukünftig bewusster zu arbeiten.
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind.
Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:
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Alles begann mit einem Unfall. Peter Levine erfährt am eigenen Leib die Richtigkeit seiner Körper-Trauma-Therapie. Dieses Buch ist wirklich ein Magnum Opus – ein großes Werk – ja, fast hat es schon “Nachschlagecharakter”. Unser Körper ist es, der ein Trauma verarbeitet, in ihm gefangen wird. Unser Körper ist es aber auch, der uns aus dem Trauma in eine Lebens-Balance zurückführt.
In diesem Werk wird nicht nur wissenschaftlich erklärt, wie ein Trauma entsteht und wir uns aus seinen Fängen wieder befreien können. Nein, hier wird viel tiefer gegraben. Wie entstehen Emotionen und wie verändern sie unseren Körper? Sehr praxisnah – anhand von einzelnen realen Fällen – wird gezeigt, wie einfühlsam und trotzdem hochwirksam die Somatic-Experience-Therapie ist und wie verwundet wir durch traumatische Erfahrungen im Grunde genommen sind.
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