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Borderline

Borderline (2) Selbstverletzendes Verhalten – das Krankheitsbild

Teil (1) Die Geschichte

Selbstverletzendes Verhalten Teil 2Es war wirklich ein langer, harter und auch sehr steiniger Weg den die Persönlichkeitsstörung hinter sich gebracht hat.

Mit Sicherheit gab es schon immer Menschen mit diesem Störungsbild.
Jedoch ist unsere aktuelle Zeit ganz besonders hiervon betroffen.

Die Suche nach ErklĂ€rungen, Einkategorisierungen und nicht zuletzt nach den wirksamen Therapien, lĂ€sst sich sehr gut in Verbindung mit „Borderline in der Literatur“ beschreiben.

Teil 1.1 Hermann Oppenheim (1858 – 1919): „Die traumatischen Neurosen“

Seine Beobachtung in der Klinik beschreibt der Berliner Oppenheim in seinem Buch „die traumatischen Neurosen“ (1889):

Oppenheim damals einer der angesehensten Neurologen seiner Zeit.Warum hatte er aber keine fĂŒhrende akademische Position? Wahrscheinlich wegen des damaligen Antisemitismus. Er war Sohn eines Rabbiners in der Synagogengemainde Warburg.

Er war der BegrĂŒnder des Konzeptes der traumatischen Neurose – und mit dieser war er seiner damaligen Zeit um Galaxien voraus. In seinem Werk berichtet er von einem sehr interessanten Fall. Und wenn man sich diesen so vornimmt, dann spĂŒrt geradezu die ganze Tragik eines Borderliners
 Er beschreibt den Fall nach Ursache / Symptome / Verlauf inkl. „OPÂŽs“ und spĂŒre einmal die Holflosigkeit als dieses Symptombild zum ersten Mal klar beschrieben wird:

Ursache: Fall auf ebener Erde auf die linke KörperhĂ€lfte. Stammt aus Verwandtschaftsehe


Symptome:

      1. psychische Alteration (Apathie, Verstimmung, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit.
      2. Analgesie, (komplette Schmerzlosigkeit) die sich ĂŒber den ganzen Körper erstreckt,
      3. linksseitige totale HemianÀsthesie (Unempfindlichkeit der Nerven).
      4. Links Amaurose (Erblinden),
      5. rechts starke Gesichtsfeld Einengung.
      6. Die ĂŒbrigen sensorischen Funktionen beiderseits beeintrĂ€chtigt.
      7. Parese der linken ExtremitĂ€ten, besonders des Beines, eigentĂŒmliche Gehstörung (Teilausfall der Muskel-Motorik).
      8. Links Paradoxes PhÀnomen.
      9. VorĂŒbergehend Anorexie.
      10. Hypnotische Erscheinungen.

Verlauf: Besserung der LĂ€hmungserscheinungen nach Exzision (Entfernen von Gewebe) kleinerer MuskelstĂŒckchen von den linken ExtremitĂ€ten.

Zu der Person: DienstmĂ€dchen, 30 Jahre alt, aufgenommen den 7. August 1886. Am 14.07.1887 Exstirpatzion (ein völliges Entfernen) eines kleinen MuskelstĂŒckes aus dem linken Bizeps. Operation fast wie am Kadaver, weil nicht die geringste Empfindung und nur eine minimale Blutung eintrat
 Wenige Tage darauf bessert sich die Beweglichkeit des linken Arms bedeutend, worauf Patientin selbst aufmerksam macht.

Am 22.07. (also 8 Tage spĂ€ter) wurde dann in derselben Weise aus dem Musculus tibialis anterior (Ein Muskel aus der Gruppe der Unterschenkelmuskulatur) ein kleines StĂŒckchen entfernt mit dem Erfolg, dass sich die GehfĂ€higkeit von Tag zu Tag besserte. Im September neue Operation am Bein. Auch darauf wiederum Besserung, so dass sie bald darauf Arm und Bein ziemlich frei bewegen konnte.“

Wegen dieser klinischen Beobachtungen nahm Hermann Oppenheim in sein Buch ĂŒber Trauma-Therapien dann  folgendes auf: „in Zweifeln, in welchem eine funktionelle Hemiphlegie (halbseitige LĂ€hmung) bestand, sah ich nach der aus einem diagnostischen Grunde vorgenommenen Entfernung kleiner MuskelstĂŒcke eine auffallende Besserung der Beweglichkeit eintreten.“ Zum ersten Mal in der Geschichte wurde ein „Schneiden“ ohne Grund und Veranlassung als Besserungsgrundlage fĂŒr solch ein komplexes Syndrom dokumentiert.

Dies war schon mal ein erster Meilenstein in der medizinischen Wissenschaft.

Teil 1.2. Julius Mayr (1937) „Handbuch der Artefakte“

Artefakte sind bewusste aber heimlich verursachte Handlungen

In Abgrenzung dazu die Para Artefakte: Para-Artefakte sind offen selbstverletzendes Verhalten 

Im seinem 2. Kapitel aus seinem Werk „Artefakte der Haut“ streift Julius Mayr die offene Selbstverletzung, die Para-Artefakte nur kurz, da in seinem Buch ein ganz anderes Thema mehr im Vordergrund steht, nĂ€mlich die TĂ€uschung und die Simulation also die Artefakte.

Er schreibt aber zum Thema Selbstverletzung (ich zitiere in etwas freieren Worten): „Man muss verlangen, dass von Anfang an, an die Möglichkeit einer SelbstverstĂŒmmelung – bei einem auch nur einigermaßen unklaren Krankheitsbild – gedacht werden und diese mit allen Mitteln untersucht werden muss.

Hierzu gehört eine eingehende Anamnese, besonders in die Richtung, wodurch diese Erkrankung dem Patienten einen Vorteil bietet. Denn der Beweggrund zu SelbstverstĂŒmmelungen ist immer in dem damit verbundenen Nutzen zu suchen. Dieser Vorteil kann sowohl auf materiellem als auch psychischen Gebiet liegen

Auch wenn dies von Außen / also der beobachtenden Umgebung als hoch problematisch angesehen wird 
 das Motiv dafĂŒr ist immer der subjektive Vorteil.

Wenn wir also so intensiv auf die Bedeutung der SelbstverstĂŒmmelung hinweisen, so wollen wir damit den Kranken nicht als einen großen BetrĂŒger hinstellen… Denn je mehr in Propaganda und Gesetzgebung Wert auf gesundheitliche Auslese gelegt wird, desto stĂ€rker schleichen sich neben den Simulationen von guten Eigenschaften auch die Dissimulationen ein.

Auch diese andere Seite, der Betrug mit dem anderen Vorzeichen, muss gesehen werden. Auch er besteht ja letzten Endes in dem Versuch, sich durch gesundheitliche „Schiebungen“ einen Vorteil zu verschaffen, genau wie die Anderen.

Teil 1.3 Karl A. Menninger Man against himself“ Selbstzerstörung: Psychoanalyse des Selbstmords.

FĂŒr eine sehr lange Zeit, ĂŒber Jahrzehnte hinweg, hatte das 1938 erschienene Buch von Menninger „Man against himself“ wohl den grĂ¶ĂŸten Einfluss. Hier fast Menninger das selbstverletzende Verhalten folgendermaßen zusammen:

Aus den Studien ergibt sich, dass die SelbstverstĂŒmmelung der Gewinn aus einem Konflikt ist zwischen Den vom Über–Ich geförderten aggressiv – zerstörerischen Impulsen und dem Willen, zu leben (und zu lieben) Wobei eine teilweise Selbstzerstörung dem Zweck dient, unwiderstehliche Triebe zu befriedigen und gleichzeitig deren erwarteten Folgen aus dem Weg zu gehen. Auf alle FĂ€lle aber ist diese SelbstverstĂŒmmelung, trotzdem sie einem „gemĂ€ĂŸigten Selbstmordes“ Ă€hnelt, viel eher ein Kompromiss, um eine totale Vernichtung d.h. den Suizid zu vermeiden. Vielmehr ist sie ein Sieg des Lebenstriebes ĂŒber den Todestrieb.

Karl Menninger verstand selbstverletzendes Verhalten also eine neurotische Kompromiss-Bildung und betonte den selbstschĂŒtzenden Aspekt dieser Handlung: Selbstverletzendes Verhalten ist also Suizidprophylaxe.

Teil 1.4 Armano Favazza

Armano Favazza beschrieb sehr eindrĂŒcklich fĂŒr die gesamte „Psychotherapie-Gemeinde“ den Fall der 20-jĂ€hrigen Janet: Ich beschreibe diesen wieder in eigenen Worten

Janet war voller Narben und ca. einmal pro Woche in die Notfallambulanz, um ihre Schnitte versorgen zu lassen. 

Drei Jahren lang hatte sie verschiedene Psychiatern und Psychologen kontaktiert und war 6x wegen selbstverletzendem Verhaltens und einmal wegen Anorexie stationÀr behandelt worden.

Die Ärzte diagnostizierten unter anderem Schizophrenie, manisch-depressive Psychose, Anpassungsstörung und auch Borderline–Persönlichkeitsstörung.

Aus der Anamnese (das ist immer die Vorgeschichte einer Krankheit) wurde bekannt,  dass auch der Vater mehrfach wegen wiederkehrenden schweren Depressionen im Krankenhaus war. Janet selber schnitt sich zum ersten Mal mit 16 Jahren. Dies tat sie aus Hilflosigkeit, weil Sie selber depressiven GefĂŒhle und die wiederholten Suizidversuche ihres Vaters nicht beenden konnte.

Sie lernte sehr schnell, dass selbstverletzendes Verhalten ihr half, sich besser zu fĂŒhlen:

    • Die SchuldgefĂŒhle wurden schnell weniger,
    • die Angst wurde weniger
    • die Phasen von Depersonalisation hörten auf.

Janet lebte spĂ€ter mit einem Mann zusammen, der den gleichen Vornamen und das gleiche Alter hatte wie ihr Vater. Je intensiver ihr Seelenleben erforscht wurde, umso hĂ€ufiger und heftiger Schnitt sie sich. In der intensivsten Phase schnitt sie sich 2-3 mal pro Woche und gerĂ€t immer mehr außer Kontrolle.

Zu allem Überfluss hatte sie dann noch im Krankenhaus weitere Patienten mit selbstverletzenden Verhalten kennengelernt und mit ihnen Freundschaften geschlossen. Dadurch wurde leider ziemlich schnell die Grundlage fĂŒr eine lĂ€ngere stationĂ€re Behandlung entzogen. Deshalb wurde eine stationĂ€re Behandlung erst mal auf sechs Wochen mit ihr verabredet. Janet stimmte auch zu, wĂ€hrend dieser Zeit ihre PrivatsphĂ€re aufzugeben.

Und nicht zuletzt wurde dann auch mit dem Pflegepersonal eine deutlich intensivere Zusammenarbeit als „normal“ vereinbart: Eine Krankenschwester ĂŒberwachte sie 24/7. Und Beruhigungsmittel waren bei Bedarf stets zur VerfĂŒgung.

Wie sah denn jetzt die eigentliche Therapie aus? Und das war wirklich etwas ganz Neues: In der Einzeltherapie wurde Janet jetzt aufgefordert, ihr selbstverletzendes Ritual imaginativ (in einer Art vorgestelltes Bild) in Anwesenheit des Therapeuten durchzufĂŒhren. An dem Moment, in welchem sie sich dann schneiden wollte, Dr. Favazza dann massiv ein: „Stop! Sie werden sich nicht selbst schneiden! Sie sind unter Kontrolle!“NatĂŒrlich kam es auch einmal zu einer heftigen Abreaktion.

Was aber war der Nutzen dieser bildhaften Therapie?

Janet konnte ihr selbstverletzendes Verhalten langsam aber sicher immer besser kontrollieren. Das imaginieren gab ihre sowohl eine „Befriedigung“ als auch eine Handlungskompetenz diese in der RealitĂ€t nicht mehr ausfĂŒhren zu mĂŒssen!!!

Mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass die Beziehung zum depressiven Vater sehr stark sexualisiert war. Bei seinen Besuchen wĂ€hrend der Therapie ritzte er die Initialen von sich und seiner in eine Holzbank. Er kĂŒsste sie wie eine Geliebte und nicht wie seine Tochter.

Das war ein wichtiger Aspekt in der Leidensgeschichte von Janet: Diese stÀndig sexualisierten Aspekte der Liebe zu ihrem Vater brachten sie permanent in starke innere Konflikte.

Borderline (2) Trennendes und Verbindendes

Wenn man all die bisherigen psychoanalytischen Denkmuster und Arbeitshypothesen fĂŒr selbstverletzendes Verhalten zusammenfasst, dann fĂ€llt einem auf, das in Bezug auf die Wichtigkeit von selbst verletzenden Verhalten immer eine recht große Diskrepanz herrschte. Aber interessanterweise bezĂŒglich der Vorstufen und VorlĂ€ufer dieses Verhaltens wiederum große Übereinstimmung.

Das sehr unterschiedliche Verhalten der Patienten wurde beschrieben als

      • Schuld–getrieben,
      • Als autoerotisch,
      • kannibalistisch,
      • als ein seelischer Gewinn,
      • ein Übergangsobjekt (Ă€hnlich einem Kuscheltier),
      • als eine Form der Anhedonie (die UnfĂ€higkeit, Liebe und Freude zu empfinden)
      • und als eine Form von auf den eigenen Körper gerichtetem Selbsthass. Karl Menninger entwickelte hier den Begriff des „fokalen Suizids“ als Bezeichnung fĂŒr eine lokalisierte teilweise Selbstzerstörung

Das alles sind wirklich Verhaltensweisen die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Wollte man sie ĂŒberhaupt ein wenig kategorisieren dann könnte man die 4 Oberthemen Wut, Aggressionen, SexualitĂ€t und Körperbild hierfĂŒr nehmen

Es gibt aber auch Bereiche, wo die Forscher schon sehr schnell viele Übereinstimmungen sahen: Ganz besonders in der Abfolge der Ereignisse, die am Ende in der Selbstverletzung ihren traurigen Höhepunkt finden. Allen Forschern gemein ist die Erkenntnis, dass Verlust und Separation (die Trennung) der alles entscheidende Auslöser von selbstverletzenden Verhalten ist.

Borderline (3) SVV und der Bezug zum eigenen Körper

Im Jahre 1987 hatte Ulrich Sachsse die immer deutlicher werdende Thematik in 4 Kategorien eingeteilt:Selbstverletzendes Verhalten sollte

      • als SelbstfĂŒrsorge verstanden werden
        unter Einbeziehung von
      • einer frĂŒhkindlichen Deprivation
      • von Gewalt-Erfahrungen
      • und nicht zuletzt von traumatisierenden Erfahrungen

Das selbstverletzende Verhalten zeigt das VerhĂ€ltnis des Patienten zum eigenen Körper auf eine sehr drastische Art und Weise. Dieses „Körper-VerhĂ€ltnis“ bleibt von den beiden Extrem-Polen: Spaltung und Verschmelzung bestimmt. Die Patienten erwarten vom ihrem eigenen Körper, dass er absolut störungsfrei und perfekt funktioniert. Der eigene Körper wird nicht als ein Teil des Ichs erlebt, welche auch Pflege und FĂŒrsorge benötigt.

Vielmehr wird er als etwas angesehen, der entweder nur ein narzisstisches Gleichgewicht auszustrahlen hat (ich muss perfekt schön sein) oder zumindest spannungs– oder empfindungsfrei funktionieren (!) muss. Macht der Körper das nicht, reagieren die Patienten auf ihn wie eine völlig ĂŒberforderte MĂŒtter mit einem schreienden SĂ€ugling: Sie schlagen zu… Diese Form der Selbstverletzung kann man auch als Wiederholung einer frĂŒheren Kindesmisshandlung ansehen.

3.1 Die Funktionen der Haut beim SVV

WĂ€hrend das Innere des Körpers mit all seinen Organen als Ursache fĂŒr Unlust und all die schlechten GefĂŒhle und Affekte und nicht als Teil des eigenen „Selbst“ betrachtet wird, dienen die Haut und das Blut dem Borderliner als Übergangsobjekt.

Die eigene Haut ist fĂŒr ihn wie ein beliebig verfĂŒgbares Objekt, vergleichbar mit der Flasche Alkohol fĂŒr einen Suchtkranken oder fĂŒr andere ein Medikament. Die Patienten bleiben auf einer frĂŒhen Stufe der Reifeentwicklung buchstĂ€blich stecken.

Folgende Ereignisse fĂŒhren zu solch einer Überlastung und Blockade der Reifeentwicklung:

  • Wird einem jungen Menschen z.B. in frĂŒhen Jahren viel SelbstĂ€ndigkeit aufgezwungen (oder auch gelassen) 
 ich denke hier an ein 9 jĂ€hriges MĂ€dchen was alleine zum Zahnarzt und regelmĂ€ĂŸigen Einkaufen geschickt wurde 
 Dann fördert dies zwar einerseits die SelbstĂ€ndigkeit und das Leistungsvermögen, auf der anderen Seite werden aber die natĂŒrlich regressiven BedĂŒrfnisse unerfĂŒllt bleiben. Regressive BedĂŒrfnisse sind z.B. TagtrĂ€umen, Kuscheln 
 also alles was behĂŒtend und beschĂŒtzend auf das Kind einwirkt


→ Hierdurch entstehen dann auch die fĂŒr Außenstehende so nicht ganz begreiflichen WidersprĂŒche:

Bei einer beim ersten Blick doch so kompetenten und lebenstĂŒchtigen Person findet sich auf einmal ein archaisches, primitives Verhalten, dass man sonst doch nur von einem schwer psychotischen oder einer „weniger intelligenten (Oligophrenen) Menschen her kennt.

Denken wir immer daran: Durch die Parentifizierung in Form einer frĂŒhen Übertragung von Verantwortlichkeiten in der Familie sowie ihrer Flucht in die Autarkie haben diese Menschen sehr viele viele FĂ€higkeiten (praktische und intellektuelle) erworben, die sie fĂŒr andere perfekt 
 fĂŒr sich selbst aber leider nie fĂŒrsorglich einsetzen können.

Kommen zu dieser frĂŒhen Überlastung auch noch Traumatisierungen wie sexualisierte und physische Gewalt hinzu, wirkt das dann wie „ein Schlag immer in die Wunde – auf die gleiche Stelle“. Besonders bei Inzest, aber auch allgemein bei Vergewaltigungen werden diese in der Regel dann unreif und depressiv verarbeitet. Die Folge ist dann ein Selbsthass, weil der Betroffene sich mitschuldig fĂŒhlt.

Noch gravierender ist es, bei einem Tod eines Elternteiles, egal ob Suizid oder durch einen Unfall. Auch hier fĂŒhlt das Kind hĂ€ufig eine Mitschuld aufkommen die es in seiner Entwicklung stoppt. Die Folgen von Traumatischen Ereignissen werden umso schwerer, Je mehr der traumatisierte sich mitschuldig fĂŒhlt oder vielleicht sogar mitschuldig ist.

Der Faktor Realtraumatisierungen als der wesentliche Faktor fĂŒr die Entstehung schwerer seelische Erkrankungen und auch Persönlichkeitsstörungen mit all seinen Abwehrreaktionen wie z.B. die VerdrĂ€ngung.

Da wir uns in einem Zeitalter der Traumatisierungen befinden, befinden wir uns logischerweise auch in einem Zeitalter der Persönlichkeitsstörungen!

3.2 Auslöser fĂŒr SVV

      1. Ganz am Anfang sind es die Situationen in denen der Mensch denkt, er habe mal wieder versagt. Versagt, weil sich seine narzisstisch besetzten Selbstanteile wie z.B. dass ich immer Leistung zeigen muss, 100% Kompetenz und Perfektion ausstrahlen muss als unterlegen gezeigt haben.
        Z.B. Das man „versagt“ hat beim Suizid der Mutter oder weil das junge MĂ€dchen fĂŒr den Vater sexuell attraktiv wurde.
      2. Ein weiterer Grund und Auslöser ist der Entwicklungs-Übergang in die eigene Verantwortlichkeit. Dann nĂ€mlich, wenn sie sich ihrem ich-Ideal endgĂŒltig ausgesetzt sehen.

        Sie mĂŒssen sich mit den Folgen ihres Denkens und Handelns selber auseinandersetzen und können dieses nicht mehr können als einen „Außenfeind“, etwa eine Schulschwester, die sie bekĂ€mpfen oder der sie sich unterwerfen können projizieren / ĂŒbertragen.

„Face the Facts“ bedeutet dann nicht selten – ich beginne mit dem SVV. Ich kann es nicht mehr im Außen abhandeln, also muss mein Inneres dafĂŒr herhalten
 

Borderline (4) – Konzepte des SVV

4.1. FĂŒr einige Jahre versuchte man, selbstverletzendes Verhalten wegen seiner IntensitĂ€t und massiven Auswirkung auf den Menschen als eigenstĂ€ndiges Syndrom anzusehen und in den ICD oder DSM aufzunehmen. Studien aus dem Jahre 1960 zeigten, dass bei stationĂ€r behandelten Patienten das selbstverletzende Verhalten immer mehr zunahm zunahm.

4.2. 1967 kam dann die Lehrmeinung auf, dass Patienten, welche sich immer wieder in ihr Handgelenk schnitten („Wrist Cutter) wohl die neuen chronischen Patienten in psychiatrischen Kliniken seien und damit kĂŒnftig die Schizophrenen Patienten ablösen wĂŒrden. Diese sich immer wieder wiederholende Selbstverletzung der Patienten ist ein PhĂ€nomen, welches man ganz klar von suizidalem Verhalten unterscheiden muss.  

Es musste damals und auch heute als eigenstĂ€ndiges Syndrom angesehen werden. Damals gab man ihm dann den Namen „Syndrom of the wrist cutter“. Aufgrund einer Studie an sich schneidenden Patienten fing man an, die typische Wrist-Cutter-Persönlichkeit zu beschreiben:

Man suchte also „Frau Mustermann“ die sich hĂ€ufig schneidet. Da es keine Frau Mustermann in der RealitĂ€t gibt, hat man auch hier nur ein „AnnĂ€herungsbild“ beschreiben können:

Das typische Muster war

      • Eine attraktive, intelligente, und verheiratete junge Frau.
      • Sie lebt entweder in dem einen Extrem (promiskuös) oder in dem anderen Extrem wobei sie dann ĂŒbermĂ€ĂŸig viel Angst vor SexualitĂ€t hat
      • Sie kann leicht abhĂ€ngig werden
      • und ist unfĂ€hig dauerhaft mit anderen in eine stabile Beziehung zu gehen.
      • Bei der kleinsten Provokation verletzt sie ihr Handgelenk, aber sie begehe keinen Selbstmord.
        Sie fĂŒhlt sich einfach erleichtert, wenn Sie dies macht.

4.3. Mit der Zeit entwickelte sich dann die Bezeichung „Syndrome of delicate self-cutting“ Oder auch einfach nur „wrist-slasher“.

Und 1979 fĂŒhrte man In England nach einer großen epidemiologischen Studie den Begriff „non-fatal deliberate self-harm (DSH) ein.

      • Die nicht tödliche absichtliche Selbstverletzung

Dieser Begriff hat eine deutlich breitere Beschreibung des selbstverletzenden Verhaltens denn er schließt auch

      • Sowohl all die gescheiterte Suizidversuche
      • als auch die unbeabsichtigten autoaggressiven Handlungen mit ein.

1983 schaffte es dieser Begriff dann auch in den USA Fuß zu fassen. Dort wurde er dann sehr viel enger definiert und man konnte ihn durch diese Abgrenzungen dann fĂŒr den DSM vorschlagen.

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
 „diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“) ist ein Klassifikationssystem der Psychiatrie. Es spielt eine zentrale Rolle bei der Definition und Diagnostik von psychischen Erkrankungen.

4.4. Kommen wir noch einmal zu Armando Farvazza zurĂŒck. Er ist wohl der (!) Pionier in Sachen SVV und deren Studien der aktuellen Neuzeit. Er hat sehr viele eigene Untersuchungen durchgefĂŒhrt und macht sich ĂŒber viele Jahre immer wieder Gedanken darĂŒber, was die Ursache das alles hat und welche Behandlung bei SVV am besten angezeigt sei.

1989 kam er dann zu der persönlichen Überzeugung, dass ein charakteristisches / symptomatisches DSH – Karankheitsmuster existiert.

Seine Kennzeichen sind:

      • es ist chronisch und beinhaltet nur sehr wenig lebensbedrohliches selbstverletzendes Verhalten.
      • Recht hĂ€ufig wird dies in Kombination mit Anorexie, Bulimie oder Alkoholmissbrauchs gesehen,
      • Auch sehr oft wurde in der frĂŒhen Kindheit ein sexueller und/oder physischer Missbrauch vorgenommen.

Armano Favazza machte sich stark dafĂŒr, dass dieses DSH-Krankheitsmuster – dem er interessanterweise in seinen spĂ€teren Arbeiten einen anderen Namen gab „Repetitive Self-Mutilation-Syndrome“ (Das sich wiederholende SelbstverstĂŒmmelungs-Muster) –  in den amerikanischen Katalog von Krankheiten – den DSM – aufzunehmen und zwar unter dem Begriff: „Störung der Impulskontrolle“. Er hat sich stets sehr deutlich gegen eine Unterordnung unter die PhĂ€nomene der Borderline–Persönlichkeitsstörung ausgesprochen.

4.5. Aufnahme in den DSM 1980 war das große Jahr
 Nun  wurde Borderline als eigenstĂ€ndige und klar definierbare Diagnose in das DSM-3 aufgenommen. Das selbstverletzende Verhalten gehörte als wichtiges Kriterium von Anfang an mit dazu.

Es hatte sogar eine gewisse Sonderstellung, weil es fĂŒr sich betrachtet besonders deutlich und nachhaltig Borderline von anderen Störungen z.B. Narzissmus abgrenzte.

Der SchlĂŒsselsatz war seitdem:

      • Borderliner verletzen sich hĂ€ufig selbst,
      • und Selbstverletzter sind hĂ€ufig als Borderline–Patienten in der Diagnose erkennbar.

Borderline (5) Liegt der Ursprung in einem Trauma?

Die vielen Untersuchungen rund um den Bereich Trauma und Borderline haben immer wieder einen deutlichen Zusammenhang erkennen lassen. Francine Shapiro war wie Farvazzo eine Pionierin auf diesem Forschungsgebiet. 1987 zeigt Sie diesen entscheidenden Zusammenhang zwischen gewaltsamen Inzest und selbstverletzenden Verhalten mit als erste sehr deutlich auf.

In den endlich immer zahlreicher werdenden Untersuchungen wurde erkannt, dass sexualisierte und physische Misshandlung in der Kindheit hochsignifikante Marker / Ursachen fĂŒr selbstverletzendes Verhalten, Selbstmordversuche und DissoziativitĂ€t.

Bei einer Untersuchung von Krankenakten vieler Borderline-Patienten mit SVV fanden sich bei 74 % der Menschen mindestens eine schwerwiegende Traumatisierung:

      • sexualisierte Gewalt (46 %),
      • körperliche Misshandlung (48 %)
      • und schwere Deprivation (Liebesentzug) (43 %),
      • 57 % erfĂŒllten sogar die Kriterien fĂŒr zwei oder drei Traumatisierungen.

Der Zusammenhang zwischen dem SVV und Traumen aus der frĂŒhesten Kindheit wird – so denke ich – immer offensichtlicher. 

Neuere Studien zeigen aber noch etwas auf: Sie zeigen, dass nur einige wenige Formen des SVV ganz konkret mit Missbrauch in der Kindheit in Verbindung stehen
 dafĂŒr aber sehr deutlich:
zum Beispiel impulsives selbstverletzendes Verhalten,

      • Skin Picking Disorder (das „Haut zupfen)
      • und die Suizidversuche
      • Aber auch das MĂŒnchhausen – Syndrom,
      • fĂŒr „Facticious Disease“ (vortĂ€uschen einer Krankheit)
      • fĂŒr Unfallneigung
      • und selbstverursachte chirurgische Viktimisierung als auch fĂŒr offen selbstverletzendes Verhalten.

Borderline: Lassen Sie uns miteinander ins GesprÀch kommen. 

Marcus JĂ€hn Werde wieder stark durch CoachingEs sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch ĂŒber Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer hĂ€ufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind. 

  • Was ist das eigentlich, eine Persönlichkeitsstörung, ein Perfektionismus, ein Spaltung oder eine GegenĂŒbertragung?
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Marcus JĂ€hn Meine Buchempfehlung zu diesem Thema

Kommunikation mit einem Borderliner

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