In meiner Beitragsreihe “Borderline-Skills-to-Go” und “Skills gegen Stress” teile ich das Reduzieren von Reizen in die gelbe Vorsicht-Gruppe ein. Wenn du wissen möchtest, welche anderen Werkzeuge / Tools / Skills im Kampf gegen Stress und Borderline-Überforderung ich in eine Grüne / Gelbe / Rote Gruppe einteile, dann lade ich dich ein, diesen Beitrag anzusehen:
Teil 5 – Reduziere die Reize
Unser Gehirn ist 24/7 für Signale empfangsbereit. Seine Antennen sind aber nicht nur für Reize aus dem Außen empfangsbereit! Ganz und gar nicht! Es empfängt auch Botschaften von den inneren Organen und anderen Körperbereichen – meist ohne dass es uns bewusst wird.
Diese hoch effektiven Empfangsinstrumente können aber durch Ängste, Essstörungen, Depressionen und andere Signale schnell gestört werden. Dazu gehört auch ein „zu viel von allem“. Und wenn ich hier ein „zu viel von allem“ erwähne, dann sind dies in der überwiegenden Mehrheit die Außenreize. Die Signale von innen, kommen dann kaum noch durch.
Es gibt zwei bemerkenswerte Fakten, welche mir bei traumatisierten und / oder hoch gestressten Menschen immer wieder auffallen:
Und wie nennt man diesen Zustand? Es ist die Dissoziation.
Dieses Wort kommt aus dem lateinischen Wortschatz. „dissociare“ bedeutet „trennen, scheiden“. Und das trifft es m.E. wirklich sehr gut: Wir sind abgetrennt von den körperlichen Signalen.
Was wäre die Lösung? Im Endeffekt reichen zwei Schritte:
Du kennst das Wort Rezeption… Damit ist z.B. der Empfang in einem Hotel gemeint. Interozeption bezeichnet einen Empfang von innen.
Lateinisch „inter“ = inmitten und „recipere“ = aufnehmen, empfangen.
Auf das Thema Interozeption möchte ich nur kurz eingehen, da dies in anderen Beiträgen bereits tiefer aufgegriffen wurde. Wenn du dich hierüber etwas mehr einlesen möchtest, dann schaue dir doch mal folgenden Beitrag an: Emotionen können kontrolliert werden!
1955 konnte man in der Zeitschrift »Brain« von einem kanadischen Neurochirurgen – Wilder Penfield – und seine Experimenten an Epilepsiekranken lesen. Er forschte am offenen Gehirn unter Teilnarkose, um mit elektrischen Reizen die Ursache der Krankheit irgendwie einzugrenzen und notierte dabei sehr genau, was die Reize wo im Gehirn auslösten. Und in einem Gebiet geschah es dann:
Anstatt dass durch die Reizung – wie in anderen Bereichen – eine Körperbewegung stimuliert oder ein Gefühl von außen berührt zu werden aufkam, spürten die Probanden eine Stimulation in ihrem Körperinneren. Das waren dann so Empfindungen wie ein Kratzen im Magen, ein Unwohlsein im unteren Bauchbereich, Schwindel, Übelkeit und manche bekamen sogar Darmkrämpfe. Dieses Gehirngebiet ist die ca. Zwei-Euro-Stück große „Insula“ oder Inselrinde unterhalb der Schläfe. Sie verarbeitet u.a. die Signale aus unserem Körperinneren. Das ist der Bereich, der mit der Innenwahrnehmung – der „Interozeption“ – in Verbindung gebracht wird.
Diese zeigt sich z.B. bei Hunger – wie sorgen für Nahrung / Energie. Meldet sich die volle Blase, dann gehen wir zur Toilette.
“Interozeption” ist ein ganz fundamentaler lebenswichtiger Prozess, den wir aber oft nicht bewusst mitbekommen.
Eigentlich wissen wir dies seit über 100 Jahren. Aber erst in unserem neuen Jahrtausend, beginnt sich die Forschung immer mehr damit zu befassen und erkennt, dass Themen wie Essstörungen, Autismus oder auch Depressionen mit unserem Körperempfinden eng zusammenhängen.
Und hier sind wir beim Thema angelangt: Unsere Reaktionen, auch unsere Über-Reaktionen hängen eng mit unserem Kontakt zu unseren Körperempfindungen zusammen. Sind die verloren, verlieren wir die Kontrolle.
Seit 1880 wissen wir dies. Da hat der US-Psychologe William James dies schon gewusst: Wir haben nicht das Gefühl, „es geht in die Hose“, weil wir Angst haben, sondern wir haben Angst, weil wir ein Gefühl haben, „dass alles in die Hose geht“.
Über ein Jahrhundert später hat dann der portugiesische Neurowissenschaftler António Damásio hat diesen Gedanken weiterentwickelt. Unsere Emotionen stehen immer mit körperlichen Reaktionen in Verbindung, indem z.B. bei einer Gefahr, ganz bestimmte Gehirnstrukturen aktiv werden – z.B. die Amygdala.
Sie setzt unseren Körper durch Hormone in Alarmbereitschaft: Unser Herz schlägt schneller, unsere Muskeln spannen sich an, mehr Blutzucker wird freigesetzt, unsere Blutgerinnung wird gesteigert.
Aber das sind noch keine Gefühle! Die Gefühle oder Emotionen entstehen erst danach! Erst wenn wir diese Veränderung im Körper registrieren, werden danach aus Reaktionen Gefühle!!!
Was können wir für uns jetzt mitnehmen? Ich möchte dir hierfür zwei Tipps mitgeben: Zuerst der Merksatz: Ich kann Dissoziationen vermeiden, indem ich meinem Gehirn einerseits mehr Signale aus meinem Körper vermittle, jedoch die Signale von außen reduziere!
Diese Signale von außen erreichen uns über unsere Augen, Ohren, die Nase, den Mund, die Haut ect…
👉 Wie könnte ich diese wirksam reduzieren und dennoch am Leben irgendwie teilnehmen?
Versuche einmal herauszufinden – ohne die Hilfe eines Gerätes – wie schnell schlägt dein Herz gerade schlägt? Wir alle sind dazu recht unterschiedlich in der Lage. Diese Wahrnehmungsfähigkeit nennen wir die interozeptive Akkuranz (Treffgenauigkeit). Gemessen wird sie, indem man sich auf seinen Herzschlag konzentriert und ihn zählt, ohne dabei den Puls zu ertasten. Du sagst, das geht nicht? Probiere es einmal aus! Dabei kannst du aber noch etwas anderes an dir herausfinden:
In der Zeitschrift „Cognition and Emotion“ wurde im Jahr 2000 eine Studie des Psychologie Professors Stefan Wiens veröffentlicht die zeigte, dass diejenigen, die eine hohe Genauigkeit im Wahrnehmen des eigenen Herzschlages aufwiesen, ihre eigenen Emotionen auch viel stärker erlebten. Wenn du dich also darin trainierst, mehr auf deinen Körper zu achten, kannst du deine Emotionen besser schulen. Und was für einen Nutzen habe ich davon?
Eine andere Studie aus der Zeitschrift Psyche „Die Entkopplung des Selbst in der Depression“ zeigte auf, das sich die Aktivität gesunder Gehirne und die depressiver Gehirne deutlich voneinander unterschieden. Besonders deutlich war dies bei der Ruheaktivität erkennbar: Die Gehirne der an Depression leidenden waren sehr viel stärker mit Außenreizen beschäftigt als die der gesunden Testteilnehmer.
Salopp ausgedrückt: ein Depressiver hat sich selbst verloren und konzentriert sich weniger auf sich, dafür mehr auf das Außen. Man nimmt an, dass dies eine Reaktivierung früherer Objektverlusterfahrungen ist. Und wenn ich mich zu sehr auf das Außen konzentriere, dann bleibt weniger für das Innen übrig. Das Innen ist aber Assoziation, Selbsterleben, innere Stabilität…
👉 Reduziere die Signale von Außen – zum Beispiel zur Ohrenstöpsel oder Rückzug aus den lauten Umgebungen – und konzentriere dich auf die Signale deines Körpers.
Das alte Wort „Achtsamkeit“ ist doch noch nicht so veraltet und gewinnt durch die Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte wieder mehr an Relevanz!
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind.
Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:
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Selten habe ich ein so sachliches Buch mit so viel Lust gelesen. Antonio Damasio – ein sympathischer Neurowissenschaftler aus Portugal – scheint eher mit dem fMRT als mit seiner nicht weniger sympathischen Ehefrau Hanna verheiratet zu sein. Gemeinsam sind die beiden zeit ihres Lebens der Frage nachgegangen, wie das Fühlen und Denken im Körper entsteht. In seinen Werken zeigt er auf, das die Trennung des Körpers vom Geist nach dem französischen Philosophen Rene Descartes ein jahrhundertealter Irrtum ist.
Tauche in die Forschungen rund um Phineas Gage und Elliot ein, lerne, wie ein somatischer Marker entsteht und wie sich unser Denken und unsere Gefühle vom Proto-Selbst über das Kernbewusstsein in ein Real- oder erweitertes Bewusstsein entwickelt.