Gefühle und Emotionen sind das Ergebnis einer langen Kette von Reaktionen in unserem Körper, die noch lange nicht erforscht sind. Aber irgendwie / irgendwo / irgendwann müssen Sie ja mal beginnen…
Am Anfang beginnt alles mit einem Reflex / einer Valenz / einem Handlungsimpuls oder einem Handlungsangebot… Aber woraus besteht dann das alles, z.B. das, was wir Intelligenz nennen? Was sind Reflexe, Emotionen und was sind diese Gefühle? Schauen wir uns darum einmal an, was ein portugiesischer Neurologe der sich sein ganzes Leben mit dieser Frage (was sind Emotionen?) beschäftigt hat, uns hierauf zu sagen hat … Antonio Damasio.
Antonio Damasio (Jahrgang 1944) ist ein Neurowissenschaftler aus Portugal, der sich Zeit seines Lebens gemeinsam mit seiner Frau Hanna mit dem Bewusstsein und dem Werden eines Bewusstseins auseinandergesetzt hat. Im Gegensatz zu der Meinung von Rene Descartes – einem französischen Philosophen und Naturwissenschaftler (1596-1650) – vertritt Damasio die Auffassung, dass eine Trennung zwischen Körper und Geist (wir nennen dies den Dualismus) nicht möglich ist. Es gibt einen nicht zu leugnenden Zusammenhang zwischen Körper und Geist und damit haben wir nun auch die zentrale Entstehung von Emotionen im Visier: das Emotionen nicht zwischen Geist und Körper getrennt entstehen können.
Am deutlichsten hat Damasio dies mit seiner Theorie des somatischen Markers beschrieben. Dieser Begriff des „somatischen Markers“ bedeutet, dass im Soma – dem stofflichen Körper – immer eine ganz spezielle Verknüpfung bleibt, die durch frühe Erfahrungen in Erinnerung entstehen.
Diese Verknüpfung wird im ventromedialen präfrontalen Cortex gespeichert und liefert ein unschlagbaren Geschwindigkeitsvorteil für Entscheidungen im Alltag.
Ventro = zum Bauch und zur Körpermitte hin gelegen
Medial = in der Mitte liegend
Präfrontal = im vorderen Teil des frontalen Cortex
Cortex oder Kortex? Cortex ist lateinisch und Kortex ist eingedeutscht…
Du siehst hier ein – zugegebenermaßen etwas gruseliges Bild von einem Schädel, der von einer Eisenstange durchbohrt wurde. Das ist kein Fake-Bild! Im Jahre 1848 ist dem Vorarbeiter einer Eisenbahngesellschaft bei einer Felssprengung eine Eisenstange von unten nach oben durch den Schädel geschossen. Unglaublicherweise hat Phineas Gage – der zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt war – diesen Unfall überlebt. Er war sogar während des gesamten Ereignisses bei völligem Bewusstsein. Mit der Zeit erholte er sich mit dem Loch im Schädel. Sein Intellekt, seine Sprache waren komplett erhalten geblieben. Auch verstand er weiterhin alles und sein Gedächtnis war von dem Unfall nicht beeinträchtigt. Seine Sinne, wie hören / riechen / schmecken waren genauso intakt wie vor dem Unfall.
Aber etwas Anderes hatte sich verändert: Aus dem zuvor verantwortungsbewussten Vorarbeiter, einem immer sehr angenehmen, umgänglichen und von allem sehr beliebten Mann, wurde auf einmal ein schimpfender, launiger Zeitgenosse. Sein Arzt (John Harlow) bemerkte in seinem Notizbuch, das nach dem Unfall, dass das Gleichgewicht zwischen der intellektuellen Fähigkeit Phineas Gages und den animalischen Trieben komplett aus dem Lot gerät. Bis zu seinem Tod im Jahre 1861 (13 Jahre später) streunte er verwahrlost durch den wilden Westen, bis er – nach Vermutung von Antonio Damasio an einem sehr starken Epilepsieanfall (Status epilepticus) zusammenbrach.
Antonio Damasio und seine Frau Hanna rekonstruierten nach einer Exhumierung des Leichnams (laut Wikipedia ist sein Schädel in der Harvard Medical School in Boston ausgestellt) seinen Schädel und erkannten, dass ein sehr eng umfasster Bereich – der ventromediale Präfrontalcortex durch den Unfall zerstört wurde. Dieser sehr genau eingrenzbare Schaden im Kopf betrifft exakt die Stelle, an der die Emotionen aus den tiefer gelegenen Hirnregionen (dem limbischen System und dem Hypothalamus in die Großhirnrinde gelangen. Damasio vermutet, dass wir genau hier dem Zentrum des Menschwerdens auf der Spur sind… Dies scheint der Bereich zu sein, wo Liebe, Scham, Loyalität und Zuverlässigkeit ihren Ursprung haben könnten. Ich werde später noch etwas tiefer hierauf eingehen. In einem Satz zusammengefasst bedeutet dies aber:
Was ich früher einmal erfahren habe, bleibt als Marker im Gehirn – wahrscheinlich im ventromedialen Präfrontalkortex – gespeichert und wird bei einer ähnlichen Situation reflexartig hervorgeholt.
Durch diesen Reflex liegt der Geschwindigkeitsvorteil dieser Funktion klar auf der Hand… Da aber jede Situation für sich betrachtet einzigartig ist, wird dieser reflexartige Handlungsvorschlag / oder Handlungsimpuls immer nur ein Vorschlag bleiben und „nie zu 100 % passen können … Um eine Anpassung stattfinden zu lassen, brauchen wir später dann unseren Neocortex…
Und damit sind wir bei der zentralen Aussage dieses Beitrages: Genauso wie wir Wissen und Fakten erlernen können, haben wir die Fähigkeit, mit Hilfe der „somatischen Marker“ auch emotionale Erinnerungen zu bilden… Diese Marker im ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC) lösen dann – bei ähnlichen Situationen /Assoziationen / Aktivitäten in der Amygdala einen Alarm aus, was dann wiederum eine Aktivität im Hypothalamus, im limbischen System und im Hirnstamm bewirkt.
Wenn wir die Frage besprechen: „Wie entstehen Emotionen?“ dann müssen wir den Begriff Emotion und Gefühle voneinander abgrenzen. Damasio erklärt dies folgendermaßen: Emotionen können zum einen fest angeborene Reaktionen sein, die in unserem Kortex ausgelöst werden. Andererseits können sie aber auch auf den persönlichen Erfahrungen beruhen (wir sprechen hier von einer Konditionierung). Abgespeichert werden diese dann in unserem impliziten prozeduralen Gedächtnis. Wenn diese emotionalen Veränderung dann von unserem Bewusstsein registriert werden, dann nennen wir dies Gefühle. Gefühle sind also registrierte Veränderungen, die durch unsere Emotionen erzeugt werden.
Die Frage ist: „Wie entstehen Emotionen und wie hängen sie mit der Trauma-Entstehung zusammen?“ Betrachten wir mal die Basis / den gemeinsamen Nenner: Was haben alle Lebewesen gemeinsam? Alle Lebewesen besitzen die Fähigkeit, sensorische Reize von außen und innen zu spüren oder aufzunehmen. Sensorische Reize sind z.B. Wärme / Kälte, Bewegung, Vibration oder einfach eine leichte Berührung. Alle Organismen – selbst die Bakterien und stummen Pflanzen – sind in der Lage, Reize zu spüren.
Es gibt aber ein Unterschied zwischen der ersten Gruppe und uns Menschen: Weder die Bakterien noch irgendwelche Pflanzen sind sich ihres Selbst bewusst. Sie können zwar auf ein Spüren reagieren – verfügen also auf über eine einfache Form von Intelligenz – aber sie haben kein explizites Denken und Wissen darüber, was sie gerade tun. Sie können es deshalb nicht, weil Wissen und Denken erst dann geschieht, wenn Bilder in einem Geist entstehen. Bakterien und Pflanzen haben weder einen Geist, noch sind sie sich eines Geistes bewusst. Warum können wir uns hier so sicher sein? Weil diese Lebewesen kein Nervensystem haben. Nichtdestotrotz können sie aber spüren und dann reagieren. Das ist wichtig zu betrachten, weil spüren und reagieren die erste Stufe zu einer Emotion, einem Gefühl und später zu einer Erinnerung oder einem Trauma ist.
Dass Bakterien oder Pflanzen etwas spüren können, möchte ich mal mit einem faszinierenden Test erklären: Beide Gruppen reagieren wie wir Menschen auch auf Betäubungsmittel. Dies geschieht, indem sie ihre Lebensaktivität so reduzieren, dass sie in einen Zustand vergleichbar dem Winterschlaf übergehen. In diesem können sie praktisch nichts mehr spüren. Dies wurde erstmals von dem französischen Biologen Claude Bernard (1813 bis 1878) entdeckt. Durch ein Narkosemittel konnte er Pflanzen in einen schlafähnlichen Schlummer versetzen.
Warum ist das jetzt für uns so wichtig? Weil weder Pflanzen noch Bakterien, einen Geist oder ein Bewusstsein besitzen, die jeder vernünftige Forscher und Wissenschaftler normalerweise mit der Wirkung eines Betäubungsmittels in Verbindung bringt. Wer hat nicht schon einmal vor einer Operation eine Narkose erhalten, um durch den Verlust des Bewusstseins den Arzt in Ruhe arbeiten zu lassen und selber von Schmerzen verschont zu werden?
Durch die Tests mit Pflanzen ist eines aber deutlich: Narkosemittel reduzieren nicht bloß den Geist, sondern sie reduzieren das Spüren an sich! Und wenn das Spüren blockiert ist, dann ist auch ein Geist nicht mehr möglich. Auch das Bewusstsein wird nicht reduziert! Denn Bewusstsein ist ein Zustand des Geistes und kann ohne Geist nicht stattfinden. Zuerst ist das spüren, dann der Geist und dann das Bewusstsein. Habe ich kein Spüren, dann habe ich auch nicht den Geist oder das Bewusstsein.
Mir kommt hierbei immer wieder der Titel eines der Bücher von Antonio Damasio in den Sinn: „Ich fühle, also bin ich.“ Ohne fühlen / spüren, kein Bewusstsein!!! Dieser kleine Exkurs soll nur einen kurzen Einblick über die Komplexität unseres Gehirns und das Entstehen von Emotionen geben. Wie also entstehen Emotionen?
Bakterien und eine befruchtete Eizelle haben bereits etwas gemeinsam:
Dies ist eine einfache Form von Intelligenz, um sich auf Nahrung zuzubewegen (Zuneigung) und sich von Gefahr abzuwenden (Abneigung). Diese Zu- oder Abneigung nennen wir eine „Valenz“.
Valenz (lat. „valere“ = etwas wert sein / Wertigkeit) bezeichnet den Wert, der einer Sache zugeschrieben wird. Dinge, Objekte oder Situationen können für jemandem im Wert sowohl positiv oder auch negativ sein.
Damit sind wir wieder bei unserem Ausgangspunkt: wird etwas positiv oder negativ eingeschätzt, bekommt es eine Erinnerung / einen Marker in unserem ventromedialen Präfrontalkortex. Dies geschieht aber nicht nur bei Erinnerungen. Wie gesagt, gibt es bereits angeborene Marker /oder Valenzen und es gibt durch Erfahrungen erworbene Marker / oder konditionierte Valenzen. Diese werden dann im VMPFC ventromedialen Präfrontalen Cortex abgespeichert.
Diese Marker sind absolut kein Luxus, sondern ein notwendiges Hilfsmittel im Kampf ums Überleben! Sie sind die umgangssprachlichen Reflexe die wie vorbewusste Handlungsangebote / prämotorische Handlungsimpulse uns zu einer „Reflexhandlung“ motivieren die später der Neokortex permanent auf seine Richtigkeit in der jeweiligen Situation überprüft. Wie dies in der Praxis geschieht, können wir anhand des Gehirnaufbaus am besten erklären.
Die Aufgaben unseres Gehirns sind überwältigend simpel und gleichzeitig sehr kompliziert. In erster Linie ist es da, um unser Überleben zu sichern. Alle anderen Aufgaben kommen erst danach. Dies hört sich simpel an, ist aber auch die Erklärung, dass unser Gehirn mit zwei Geschwindigkeiten parallel arbeitet… Um für das Überleben zu sorgen, muss es permanent auf neue Signale reagieren, eigene Signale erstellen und immer darauf achten, was der Körper zum Leben benötigt. Dabei muss es Valenzen erkennen (Gefahren und Chancen), um das Überlebens-Handeln immer wieder neu anzupassen.
Paul Maclean (1913 – 2007) war ein amerikanischer Hirnforscher, der unser Gehirn zum ersten Mal grob in drei unterschiedliche Teile unterteilte. Interessant hierbei ist, dass sich der kleine Embryo im Mutterleib mit seinem Gehirn genau in der folgenden Reihenfolge entwickelt:
Ganz am Anfang steht der Hirnstamm oder das sogenannte Reptilien-Gehirn. In ihm finden wir die Hirnnervenkerne und die wichtigen Bereiche welche für die Homöostase wie zum Beispiel die Atmung, den Herzschlag, die Verdauung und die Darmtätigkeit verantwortlich sind.
Dieses ist die zentrale Voraussetzung für das Leben jedes Wirbeltieres (Fische / Amphibien / Reptilien / Vögel / Säugetiere). Ohne das Reptiliengehirn kann kein Wirbeltier leben. Bei einem Nicht-Säugetier unter den Wirbeltieren wie z.B. den Reptilien, macht dieser Gehirnteil sogar das gesamte Gehirn aus – darum der Name. Zum Zeitpunkt der Geburt, ist dieser Hirnbereich beim Baby bereits komplett ausgebildet.
Sein Aufbau ist recht simpel: In dem verlängerten Rückenmark (Medulla Oblongatar) ist das Zentrum für die unbewusste Steuerung der inneren Vorgänge wie Atmen, Verdauen etc. Über das Rückenmark ziehen die Nervenbahnen dann zu den einzelnen Körperorganen um wichtige Informationen und Regulation weiterzuleiten. Neben dem Rückenmark gibt es noch zwölf Nervenstränge, die nicht über diesen Kanal laufen, sondern direkt aus dem Gehirn entspringen. Sie gehören zum peripheren Nervensystem und haben zum Beispiel die Aufgabe, die Bewegung zu steuern oder die Wahrnehmung zu regulieren. Einer der Interessantesten davon ist der zehnte Hirn- oder Kranialnerv – der Nervus Vagus, der sensorisch und motorisch Eingeweide, Kehlkopf, Rachen, etc. verbindet. Charles Darwin nannte ihn damals den Pneumo–Gastrischen-Nerv, was bereits anzeigt, welche wichtige Funktion er in erster Linie hat.
Warum wird es so genannt? Weil alle Säugetiere – inklusive uns Menschen – die in Gruppen leben, diesen Hirnteil besitzen. Er ist besonders wichtig für uns Thema (Wie entstehen Emotionen? Wie kommen Traumata zustande?), da er sich erst nach der Geburt völlig entwickelt. Außerdem finden wir in diesem Bereich, dem limbischen System, nun endlich dass, was wir als unsere Emotionen bezeichnen.
Zum Zeitpunkt der Geburt ist es nur teilentwickelt… Das limbische System wird nämlich zum einen durch das genetische Erbe (wir nennen es das Temperament), aber auch durch von außen Erlebtes geprägt und geformt. Wer wie ich Vater von mehreren Kindern ist, kann bestätigen, dass sich bereits von Geburt an jeder kleine Mensch sehr stark von anderen durch seine Art, seine Intensität in seinen Reaktionen auf ähnliche Reize unterscheidet.
Jedoch ist das noch nicht das Ende der Fahnenstange … Nach seiner Geburt wird das Kind weiter in seiner Gehirn Entwicklung beeinflusst und damit „benutzerabhängig durch die Neuroplastizität geformt“. Fühlen wir uns zum Beispiel sicher und geborgen, dann spezialisiert es sich auf das weitere Erkunden seiner Umgebung, auf Zusammenarbeit und Spielen. Fühlen wir uns andererseits jedoch dauerhaft in Angst und unerwünscht in unserer Umgebung, dann spezialisiert es sich genau auf diese Emotion und darauf, wie es mit der Unsicherheit und der permanenten Gefahr des Verlassenwerdens am besten umgehen kann. Das Reptilienhirn und das limbische System / Säugetier-Gehirn können wir auch als das „emotionale Gehirn“ bezeichnen. Es ist das Zentrum des Zentralen Nervensystems (ZNS) und hat – neben dem Überleben – als zweitwichtigste Aufgabe dafür zu sorgen, dass es uns gut geht.
Bei dem Erkennen einer Valenz (einer Gefahr oder einer Chance) werden
So simpel sich dieser Dreischritt durch die Hormone jetzt für dich auch anhören mögen, genau diese haben einen immensen Einfluss auf unsere großen und kleinen Entscheidungen, die wir in unserem Leben fällen oder die wir nicht fällen. Mit wem werde ich leben? Welchen Beruf möchte ich ausüben? Wo möchte ich leben? Welches Hobby werde ich mir zulegen?
Hormone als Reaktion auf Chancen / Gefahren führen also zu Handlungen. Handlungen sind Emotionen. Emotion stammt vom lateinischen „emovere“ ab. Emovere bedeutet, etwas herauszubewegen, es in Bewegung setzen.
Und ich finde, dass dies eine sehr gute Beschreibung für die Emotionen sind: Emotionen sind erlernte / angeborene Hanldungsangebote für neue Situationen bis zu dem Moment, wenn der Neokortex etwas Anderes vorschlägt.
Dieser Teil unseres Gehirns, das emotionale Gehirn, ist im Vergleich zum rationalen Gehirn – dem Neokortex – sowohl in seiner zellulären Organisation als auch seiner Bio-Chemie anders, deutlich einfacher aufgebaut. Dadurch sind seine Reaktionen zwar deutlich grober als die komplexen Entscheidungen des rationalen Gehirns, haben jedoch einen immensen Geschwindigkeitsvorteil.
Mit Sicherheit hast du dich einmal vor einem plötzlich auf der Seite auftauchenden Schatten Seite erschreckt. Was passierte? Wahrscheinlich eine „grobe „Reflex-Reaktion“ um dein Überleben erst einmal zu sichern. Später hast du dann festgestellt, dass es sich zum Beispiel um eine Pflanze, ein nicht gefährliches kleines Tier oder einen lieben Menschen handelte und du hast dein Verhalten angepasst. Das emotionale Gehirn ist dafür da, viel, viel schneller, als das rationale Gehirn vorprogrammierte Notfallpläne umzusetzen, wie zum Beispiel Kampf oder Flucht. In einem anderen Beitrag habe ich diese als vorbewusste Handlungsangebote bzw. prämotorische Handlungsimpulse beschrieben.
Es gibt zwar auch Säugetiere, die einen Neokortex besitzen, beim Menschen ist er jedoch außerordentlich groß und dick. Wichtig: Auch dieser Bereich ist wie das limbische System bei der Geburt praktisch noch nicht ausgebildet. Erst ab dem zweiten Lebensjahr entwickeln sich die Frontallappen (der größte Teil des Neokortex). Sie machen uns Menschen unter allen anderen Lebewesen wirklich einzigartig.
Was hat dies alles mit unserem Thema Emotionen und nicht zuletzt mit dem Entstehen von Traumata zu tun? Interessant ist, dass Tiere viel weniger von einem Trauma – sowohl an Menge als auch an Intensität – berührt werden wie im Vergleich wir Menschen. Reptilien scheinen überhaupt keine traumatischen Flashbacks zu erleiden, Säugetiere in deutlich geringerer Menge als Menschen. Woher kommt es? Wichtig für das Entstehen von Emotionen und Traumata ist, dass in unseren präfrontalen Kortex auch der Sitz unserer Empathie ist. Empathie ist die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen kognitiv einzuführen. Seit dem Jahr 1994 wissen wir zum Beispiel, dass es im Kortex sogenannte Spiegelneuronen gibt. Diese in der Lage sind, die Bewegung, die Emotionen und die Intentionen von anderen Menschen / Lebewesen aufzunehmen und diese dann auch zu spiegeln. Spiegelneuronen helfen uns mit anderen Menschen, mit der Umgebung in einer Art Synchronizität zu gelangen, sich gleich zu bewegen, sprechen und gleich zu Denken.
Das hört sich alles im ersten Moment doch sehr gut an – ist auch gut. Hierdurch wird ein gemeinschaftliches Zusammenleben ja erst ermöglicht. Aber: jede Medaille hat auch immer zwei Seiten:
Eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit von traumatisierten Menschen ist zum Beispiel, dass sie sich in ihrer Umgebung nicht gespiegelt, sondern vielmehr übergangen und nicht gesehen fühlen. Eine zentrale Aufgabe in der Traumatherapie muss also immer sein, dass der Patient gefahrlos seine Emotionen spiegeln lassen kann, um dadurch in einem sogenannten „Safe-Room“ zu lernen, sich von den negativen Reizen der Umgebung nicht überwältigen zu lassen.
Kommen wir zu unserem eigentlichen Thema „Wie entstehen Emotionen?“ zurück. Antonio Damasio spricht von der Hypothese der somatischen Marker…
Eins vorab: Ein großer Teil dieser Marker muss erst gar nicht entstehen, da diese bei der Geburt bereits genetisch vorhanden sind. Flucht, Kampf und Erstarren sind genetische vorprogrammierte Reaktionen, welche nicht expliziert erlernt werden müssen. Dieser implizite Teil unseres Gedächtnisses stellen aber nicht die Gesamtheit unseres unbewussten Gedächtnisses dar. Wir haben auch ein prozedurales Gedächtnis, welches wir durch eigene Erfahrungen konditioniert können. Und genau um dieses Konditionieren geht es in diesem letzten Teil:
Der Verteiler, der Gefahrenmelder und der Prüfer.
Die Grundaufgabe unseres Gehirns ist es – wie bereits gesagt – unser Überleben zu sichern. Dies erreicht es, indem es immer auf der Hut ist, eine Gefahr zu entdecken, darauf angemessen dann zu reagieren, beziehungsweise eine vernünftige Reaktion zu entwickeln. Durch unsere Sinnesorgane wie Augen, Nase, Ohren und die Haut erhalten wir Reize, die über das Stammhirn im Thalamus (ein Teil des limbischen Systems) eintreffen.
Der Thalamus arbeitet wie ein Verteiler / oder Farbmischer. Er mischt die gesamten Reize zusammen wie ein Maler und erstellt erst einmal ein Erlebnisbild von dem, was die Sinnesreize von außen ihm Mitteilen. Dieser Vergleich wird auch von Antonio Damasio genommen indem er sagt, dass alle Reize in unserem Gehirn erst einmal als Bilder aufgearbeitet und gespeichert werden. Dieses Bild leitet der Thalamus dann normalerweise an zwei verschiedene Ebenen weiter:
Der Weg zur Amygdala geht deutlich schneller (ca. 500 ms) vonstatten als der Weg zum Frontalkortex. An sich ist dies bereits schon mal ein Problem. Ein etwas Größeres kommt aber noch … Wenn der Thalamus durch zu viele und / oder zu starke Reize überfordert wird, dann kann er seine eigentliche Aufgabe – der Regelung / die Weichenstellung zwischen der Weitergabe an die Amygdala oder den Präfrontalkortex nicht mehr bewerkstelligen – er schaltet ab. Das ist dann so, als wenn eine Mauer durch feindliche Heere durchbrochen wurde und der Feind nun ungehindert in die Stadt einläuft … Dann lässt der Thalamus ungefiltert sämtliche Reize an die Amygdala durch
Was macht die Amygdala dann? Da sie nicht unterscheiden kann, ob etwas ein wenig oder sehr stark gefährlich ist, sondern nur zwischen Nicht-Gefahr und Gefahr zu wählen in der Lage ist, ist ihre Antwort schnell aber auch oft nicht angemessen: Bekommt sie nun eine übergroße Anzahl an Reizen die sagen: „jetzt geht es um mein Überleben!“ sendet sie dann einen Befehl an den Hypothalamus durch Stresshormone, den Körper darauf vorzubereiten, sich gegen eine mögliche Gefahr zu verteidigen. Der Hypothalamus selber ist eine wichtige Schaltzentrale in unserem Gehirn. „Hypo“ bedeutet unterhalb. Hypothalamus bedeutet darum „unterhalb des Thalamus“ gelegen. Er reguliert unseren Hormonhaushalt und bestimmt, welche Menge, von welchem Hormon gebildet wird. Und wenn die Amygdala Stresshormone anfordert, dann macht er genau das! Auch wenn er nur sehr kleine Mengen an Hormonen produziert, ist seine Wirkung gigantisch! Warum? Nun weil er diese wenigen Hormone an die Hirnanhangdrüse weiterleitet, die dann ein tausendfaches von diesen Hormonen produziert und ausschüttet. Das ist dann wie eine Lawine.
Was bedeutet das jetzt für unsere Emotionen und die Bewältigung für ein Trauma? Das limbische System – das emotionale Gehirn – steht also in der Informationsverarbeitung an erster Stelle. Die Reize aus der Umgebung treffen beim Thalamus ein, werden dort verarbeitet und zur Amygdala gesendet. Die Amygdala ist wie eine Relaisstation, welche einzig die Aufgabe hat, die emotionale Bedeutung der Signale einzuschätzen. Entdeckt sie eine Bedrohung lässt sie zuerst den Hypothalamus arbeiten und nicht den Neokortex. Der Weg zum Neokortex würde einen ganz anderen Weg verlaufen, und zwar über den Hippocampus und das Anteriore Cingulum zum Präfrontalkortex, wo dann eine kognitive, bewusste Einordnung vollzogen wird. Dieser Weg beansprucht jedoch einige Millisekunden bis zu einer halben Sekunde länger. Reagiert die Amygdala jedoch sehr intensiv auf die Situation, oder ist die Filterung der höheren Gehirnbereiche zu schwach (was wir bei einer posttraumatischen Belastungsstörung häufig vorfinden) verlieren die Betroffenen oft die Kontrolle über ihre automatischen Flucht-/ Kampf-/ Erstarrungsreaktionen, die eine ruhigen Aufarbeitung behindern. Willkommen in der Welt von Trauma.
Ein Trauma ist also nichts anderes als eine unbewältigte Erfahrung der wir keine Lösungshandlung entgegensetzen konnten. Diese Erfahrungen sind die am Anfang von Antonio Damasio beschriebenen „Somatischen Marker“. Wenn sich diese Erfahrungen / somatischen Marker dann mehr und mehr in unserem Bewusstsein festsetzen, verändern Sie unsere gesamte Denke, unsere Haltung und Lebensweise! Eric Kandel, Nobelpreisträger im Bereich Medizin, würde jetzt sagen: „Diese Erfahrung verändert ihr Gehirn modular / neuroplastisch.“ Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Du kannst dich in die Macht der Worte gerne unter folgendem Artikel einlesen: https://werdewiederstark.de/worte-wirken-wie-medizin-aber-warum/
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind.
Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:
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Selten habe ich ein “trocken sachliches Buch” mit so viel Lust gelesen. Antonio Damasio – ein sympathischer Neurowissenschaftler aus Portugal – scheint eher mit dem fMRT als mit seiner nicht weniger sympathischen Ehefrau Hanna verheiratet zu sein. Gemeinsam sind die beiden zeit ihres Lebens der Frage nachgegangen, wie das Fühlen und Denken im Körper entsteht. In seinen Werken zeigt er auf, das die Trennung des Körpers vom Geist nach dem französischen Philosophen Rene Descartes ein jahrhundertealter Irrtum ist.
Tauche in die Forschungen rund um Phineas Gage und Elliot ein, lerne, wie ein somatischer Marker entsteht und wie sich unser Denken und unsere Gefühle vom Proto-Selbst über das Kernbewusstsein in ein Real- oder erweitertes Bewusstsein entwickelt.
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