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Bindungsangst

Mentalisieren: Hilft es bei Bindungsängsten?

Mentalisieren Was ist das überhaupt? Hilft Mentalisieren bei Bindungsproblemen?„Ich denke, ich habe Beziehungsängste“ 
Wenn ich denke, dann habe ich Gedanken.
Also … Reden wir doch einmal über Gedanken!

Gedanken sind – so Wikipedia – das Ergebnis von einem Denkvorgang. Jeder von uns hat seine ganz eigenen inneren und privaten Gedanken und Gefühle, die vor der Umgebung erst einmal verborgen sind und die auch nicht so einfach von der Umgebung gelesen werden können. Auf der anderen Seite haben alle anderen um uns herum auch ihre eigenen Gedanken und Gefühle die wir teilweise auch beobachten, über die wir uns unterhalten und diese auch bewerten können. Das Denken des Anderen ist jedoch immer ein für mich verschlossener geheimer Ort.

Mit der Hilfe unserer Gedanken machen wir uns unser eigenes Verhalten und das von unserer Umgebung verständlich und erklärbar. Und genau diese Fähigkeit – sich selbst und andere anhand von inneren psychischen Zuständen, Gedanken und Gefühlen zu interpretieren – diese Fähigkeit nennt man Mentalisieren.

Empathie, Mentalisieren, ContainingEs gibt drei große Bereiche in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation, welche in Ihrem Reifeprozess aufeinander aufbauen:

        • Die Empathie
        • Das Mentalisieren
        • Das Containen

Mit Empathie beschreiben wir ein Hineinfühlen, ein Mitfühlen, ein Mitschwingen in den Emotionen des Anderen. Dies ist eine Fähigkeit, die einerseits trainiert werden kann, jedoch schon im Neugeborenen vorhanden ist.

Über das Mentalisieren sprechen wir jetzt gleich im weiteren Verlauf.

Das Containen ist mit die höchste Stufe der zwischenmenschlichen Reife. Ich fühle mich in den Anderen hinein, interpretiere seinen Zustand und verwende anschließend beschreibende Worte um ihm seine Situation für ihn verständlich zu machen…

Zum Beispiel ist ein kleines Kind hingefallen. Die Mutter sagt beschreibend:

      • Du bist hingefallen
      • Das hat bestimmt wehgetan
      • Das blutet jetzt zwar ein wenig, geht aber auch wieder vorbei
      • Lass uns die Wunde sauber machen

Das Kind, welches in seiner „Sprachlosigkeit“ erst noch lernen muss, all diese Vorgänge zu benennen, bekommt dadurch für das Geschehene eine Sprache. Dieses „ich bekomme eine Sprache“ ist die Grundlage einer gesunden psychischen Entwicklung und da hat dieses Mentalisieren eine ganz zentrale Bedeutung.

Lass uns nun darum näher auf dieses Thema eingehen: 

Ich möchte den Begriff Mentalisieren einmal anhand einer einfachen Alltagsgeschichte veranschaulichen: Auch wenn es sich wie eine simple Geschichte anhört … wahrscheinlich wirst Du am Ende trotzdem erstaunt sein, was da noch so herauskommt.….

Ein junges Pärchen wohnt zusammen. Es ist Wochenende. Er ist gerade beim Sport und sie backt einen Kuchen. Sie holt den noch warmen Kuchen aus dem Ofen und bemerkt, dass sie keine Glasur und keine Verzierungen mehr für den Kuchen im Hause hat. Sie stellt den Kuchen darum erstmal an das Fenster, damit er in Ruhe auskühlen kann und läuft schnell über die Straße in den Supermarkt… Während sie weg ist, kommt ihr Freund nach Hause. Er bemerkt den Kuchen und schneidet sich – typisch Mann – direkt mal ein Stückchen ab. Dann stellt er den Kuchen aber nicht mehr an das Fenster, sondern in den Kühlschrank. Danach geht er sich duschen.

Was denkst du passiert, wenn seine Freundin nach Hause kommt und nach dem Kuchen schaut? Wo wird sie nach dem Kuchen suchen? Logischerweise wirst du sagen, dass sie an der Fensterbank suchen wird. Du kannst dich ja in sie hineinversetzen… Vielleicht bist du jetzt aber erstaunt, wenn du erfährst, was ein dreijähriges oder vierjähriges Kind in der Regel sagen wird und zwar: „Sie wird im Kühlschrank schauen.“

Warum wird das Kind dies wohl so tun?
Nun, es hat was mit seinem Reifegrad zu tun… In diesem jungen Alter kann es noch nicht zwischen seinem eigenen und dem Wissen des anderen unterscheiden. Diese Form von Reife muss sich erst noch im Laufe der ersten Lebensjahre ausbilden. Wir nennen sie die Fähigkeit des Mentalisierens.

Mentalisierung ist weitaus mehr als die Entwicklung von rein kognitiven / verstandesmäßigen Fähigkeiten. Es ist ein sehr breites Spektrum von Denken und Interpretieren. Es ist ein Interpretieren von körperlichen, von emotionalen und praktisch allen zwischenmenschlichen Prozessen. Je älter unsere Kinder werden, desto besser können sie die Umgebung und damit das Verhalten der anderen Menschen bestimmen und ihnen anhand ihrer Beobachtungen auch eigene psychische Zustände zuschreiben.

Aber auch sich selbst, die eigenen psychischen Zustände lernt ein Kind mit zunehmender Reife besser zu verstehen z.B.:

      1. „mein Herz schlägt schneller ich atme tiefer, weil ich vielleicht verliebt bin“ oder
      2. „Ich bin müde und darum bin ich heute nicht so richtig in Fahrt“
        und so weiter.

Eine ganz wichtige Tatsache in diesem Zusammenhang ist folgendes: Dass wir uns diese Fähigkeiten des Interpretierens / des Mentalisierens aneignen geschieht auf keinem Fall von selbst!  Es ist kein automatisch ablaufendes Lernprogramm in der Entwicklung unseres Gehirns!

Mentalisierung braucht zwingt die sozialen Erfahrungen aus den Bindungsbeziehungen im frühesten Lebensalter!

Wenn ich dich damit etwas neugierig mache und du dich noch tiefer in diese Materie einarbeiten möchtest, dann empfehle ich Dir das Buch „Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst“ von dem Psychoanalytiker Peter Fonagy. Er ist der eigentliche Begründer dieser mentalierungsbasierten Therapie. 

  • (1) Mentalisieren und die Bindung in den ersten Jahren

Worin liegt nun der Zusammenhang zwischen dem Mentalisieren – also die Welt und sich selbst anhand von bestimmten psychischen Zuständen zu verstehen – und unserem großen Thema der frühkindlichen Bindungserfahrung? Und noch etwas ist dabei wichtig: Worauf kommt es dabei dann an?
Zuallererst geht es mal um die Bindungsfähigkeit der Eltern – und zwar darum, ob sie selber überhaupt die Fähigkeit haben, das sichtbare Verhalten ihres Kindes mit seinen mentalen Vorgängen und seinen inneren Zuständen Vernünftig in Einklang zu bringen.

Machen wir das mal an einem Beispiel fest: Wenn eine Mutter z.B. bei sich denkt:

„Oh, mein Kind schreit und strampelt …. Ich muss deswegen jetzt irgendetwas tun, damit es nicht (!) mehr schreit – zum Beispiel ihm den Schnuller geben oder es mit irgendeinem technischen Gerät ablenken“ – das zeigt dies nicht gerade eine gut ausgebildete Bindungsinteraktion.

Denn, die Mutter schaut nur auf die Handlung welche sie unterbrechen möchte, jedoch bleiben die inneren psychischen Zustände des Kindes hierbei erst einmal unberücksichtigt.

Besser wäre dann eher folgende Vorgehensweise: Die Mutter / die Eltern versuchen, sich das Schreien des Kindes erst einmal aufgrund von ganz bestimmten psychischen Vorgängen im Kind – z.B. wütend zu sein ­- zu erklären! 

Sie machen sich dann

      1. Gedanken über die Ursache und versuchen,
      2. sich in das Fühlen des Kindes hineinzuversetzen.

Wichtig ist für den Erwachsenen, dass er sich nie so ganz sicher sein ob das was er vermutet richtig ist. Weil, niemand kann – zum Glück – die Gedanken Anderer auch die des eigenen Kindes lesen. Bitte beachte: besonders der letzte Punkt ist für uns in dieser Betrachtung sehr wichtig! Und zwar deshalb, weil zu einer Bindungsbeziehung auch die Fähigkeit gehört, die Bedürfnisse des Gegenübers – ganz getrennt von den eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen!

Bei kleinen Kindern ist dies besonders wichtig. Sie haben noch kein stabiles Konzept von ihren eigenen Gedanken und Gefühlen. Sie befinden sich noch in der Inkorporation oder Introjektion – beides Zustände in Kindesentwicklung, wo ein kleines Kind noch nicht unterscheiden kann zwischen sich und der Umgebung. 

(2) Internalisierung

Internalisierungsprozesse: Inkorporation, Introjektion, IdentifikationEine kurze Erklärung zu diesen Fachbegriffen aus dem Bereich der Internalisierung: 

Ein kleines Kind kommt auf die Welt und hat erst einmal kein eigenes Ich. Es weiß nicht, dass es existiert, kann zwischen sich und der Umgebung nicht differenzieren. Alles ist erst einmal ein Ganzes. Kommt ein Reiz, z.B. die Stimme der Mutter, Nahrung, Gerüche ect. dann ist dies für das Kind wie in seinem Körper. Alles was auf den Säugling „einströmt“ ist für ihn wie in seinem Körper. Dies ist der Zustand der allerersten Internalisierung – wie nennen sie die Inkorporation.

In der weiteren Entwicklung des Kindes erfolgt dann die IntrojektionDas Kind erkennt: Es gibt eine Trennung zwischen sich selbst und der Umwelt. „Ich bin ich und die Mama ist jemand Anderes. Trotzdem werden erst einmal alle Dinge der Außenwelt komplett und ungeprüft verinnerlicht – jetzt aber in dem Bewusstsein, es kommt von einem Außen.

Die dritte und nochmals reifere Stufe der Internalisierung ist die Identifikation (lat. Idem: „derselbe“ und facere „machen“). Im Unterschied zur Introjektion handelt es sich hier um das Gefühl der Dazugehörigkeit.
Im Gegensatz zu den beiden ersten Reifestufen weiß das Kind jetzt bereits

      1. es sind nicht meine Gedanken
      2. ich verinnerliche lediglich TEILE des Gegenübers.
        Und das kann sowohl bewusst oder auch „vorbewusst“ geschehen.
        Jedoch werden – im Gegensatz zur Stufe 2 – der Introjektion – nicht alle Signale / Werte / Motive der Umgebung in sich aufgenommen. Es erfolgt eine Auswahl. 

(3) Sprachlosigkeit erzeugt Angst

Dies alles ist zwar recht viel Theorie, sollte uns aber folgendes verdeutlichen: 

      • (1.) Kein Kind kommt mit einer Persönlichkeitsstörung auf die Welt!
      • (2) Alle Kinder haben ein gemeinsames Programm im Gehirn: ich brauche Bindung / Bindung / Bindung. 

Warum? Weil ich selber nichts, aber auch gar nichts weiß. Alles muss mir erklärt werden – und dies geschient in der Bindung. Habe ich keine Bindung, bleibe ich in einer SprachlosigkeitSprachlosigkeit verursacht Angst, Panik – das weiß jeder von uns. Diese Sprachlosigkeit lässt unsere Kinder sehr schnell weinen um dadurch eine Bindung zur Umgebung zu erzeugen. Ist ein Erwachsener häufig am Weinen / in Angst / in Panik, dann sucht auch er nur eins: Er sucht die Bindung! Und manchmal ist die Bindung zu einem Therapeuten – obwohl diese lediglich aus der Professionalität heraus entstammt – die erste korrekte und auch einzige Bindung die ein stark traumatisierter Mensch überhaupt erfährt.

Und merkst du jetzt was? Wir kommen wieder zu unserem Hauptthema zurück: Die Emotionale Instabilität des Borderliners (F60.31) ist eng verbunden mit der Sprachlosigkeit aus der Kindheit. Wird die „Sprachlosigkeit“ der frühesten Kindheit nicht mit Sprache / Worten / Begriffen ersetzt, dann bleibt der arme Betroffene in einer „Sprachlosen Angst“ Diese lässt ihn nicht im Leben ankommen. Er ist in Panik. Und Panik erzeugt Aggressivität. All das ist typisch für das Verhalten eines Borderliners!

Meine These darum: Lass uns tiefer in das Thema Bindung einsteigen. Lass uns erkennen, wie wir die immer stärker zu beobachtende Bindungsangst unserer heutigen Gesellschaft in den Griff bekommen. 

(4) Eltern lehren Kinder die „Sprache des Lebens“

 

Aus diesen besprochenen Gründen heraus ist das Thema Mentalisieren auch so wichtig, da es einen ganz zentralen Bereich in dem Aufbau von Bindungen ausmacht. 😊 … 

Du hast ja noch die drei großen Bereiche des Bindungsaufbaus in Erinnerung die wir am Anfang angesprochen haben:

      • Empathie (Einfühlen)
      • Mentalisierung (Interpretieren)
      • Containment (Diplomatie)

Kleine und kleinste Kinder sind noch komplett / also zu 100% auf das angewiesen, was ihnen ihre Eltern sagen, Ihnen mitteilen und welche psychischen Zustände sie ihnen hierbei zuschreiben. Sie müssen erst noch lernen, wie das, was sie in dem Moment fühlen und empfinden, einzuordnen ist. Später – mit fortgeschrittener Reife – lernen Sie dann auch darüber nachzudenken. Warum erwähne ich dieses „Nachdenken“ so ausdrücklich? Nur durch dieses Nachdenken kommen wir zu unserem eigenen „Ich“. Dadurch ist es dem kleinen Kind und späteren Erwachsenen überhaupt erst einmal möglich, Eigenbeschreibungen über sich anstellen zu können. Zum Beispiel: „Mir tut mein Zahn weh“ oder: „Ich bin glücklich / traurig / wütend ect.“

Indem die Eltern die psychischen Zustände erst einmal benennen und das Kind später darüber nachdenkt entsteht als Ergebnis die Sprache des Lebens. Dieser Entwicklungspunkt ist immens wichtig. Aber leider hakt es oft genau an diesem Punkt in der Entwicklung vieler … Doch dafür können die Kinder nichts!!! Kinder sie sind komplett auf Bindung und Kopieren programmiert. Kommt dieser Input jedoch falsch / oder gar nicht, wie sollen sie dann eine korrekte Bindungsprogrammierung erstellen?

Wer ein frisch geborenes Baby mal genauer beobachtet, der stellt fest, dass es praktisch nichts über sich zu wissen scheint. Noch nicht einmal, dass seine Arme und Beine zu ihm gehören und diese mit etwas Übung sogar noch steuern kann. 

Dieses Steuern des Körpers können wir sehr gut auch (!) mit den Gefühlszuständen des Babys vergleichen: Wenn ein Säugling zum Beispiel Schmerzen fühlt oder Angst hat, dann erlebt er diese Empfindungen zunächst total unbestimmt / diffus und kann diese nicht genau bestimmen – es fehlen ihm dazu ja noch die Worte – er ist zu 100% sprachlos. Und diese Sprachlosigkeit, dieses allgemeine Unbehagen führt zu dann auch entsprechend heftigen Reaktionen … Der Säugling schreit dann! Wenn dies geschieht, dann sollte in genau diesem Moment eine Bezugsperson die Affekte vom Kind sowohl wahrnehmen als auch in sich aufnehmen um diese später gut formuliert (das Containen) zurückzugeben – zu spiegeln.

In der Regel passiert das immer recht Intuitiv, indem die Mutter oder der Vater verstehen, dass ihr Kind gerade aus einem Grund heraus weint: weil es etwas ganz Bestimmtes empfindet. Oder indem die Eltern ihm dann sagen: „Oh, jetzt hast du dich aber vor der frechen Katze erschrocken“ oder: „Da hat aber jemand großen Durst.“

Die Zauberformel lautet: Die Eltern behandeln ihr Kind als eigenständig, fühlendes und selbstdenkendes Wesen. Und genau dadurch lernt das Kind dann nach und nach, dass dieser am Anfang doch sehr unangenehme – zunächst auch recht unbestimmt / diffus erlebte Zustand – eine ganz eigene Bedeutung hat. Nämlich etwa Durst / Hunger / Schmerz Dieser fühlt sich auch anders an als Angst und noch mal anders als Trauer…

Dies ist auch der Kerngedanke dieses Beitrages! Kinder lernen durch die Bezeichnungen und Beschreibungen der Eltern in Ihrer Bindung zueinander die Sprache des Lebens. z.B. „dies ist jetzt Hunger aber das ist Angst oder Trauer….“

Ist das irgendwie auch beweisbar, dass Kinder ausschließlich durch Dritte lernen – also auf die Bindung und die Sprache Dritter angewiesen sind? Ja! Das können wir wirklich beweisen! Wir beobachten z.B., dass Kinder ihre Gedanken und Bedürfnisse anfänglich oft noch in der dritten Person aussprechen wie zum Beispiel Lara ist traurig…“

Wenn das Kind seine Selbstzuschreibungen später dann aber so formuliert: „Ich bin traurig“ also für die Selbstperspektive die sogenannte erste Person nutzt, dann zeigt dies ein vollständiges und auch ein internalisiertes Selbstkonzept an. 

Die Wichtigkeit der Elternrolle kann gar nicht oft genug betont werden. Sie sind diejenigen, die dem Kind die Sprache schenken!!! Ohne Ihre andauernde Benennung aller Zustände – ohne das ständige Sprechen über die Zustände lebt ein Kind in Sprachlosigkeit. Und Sprachlosigkeit ist gefährlich. Darauf gehen wir aber später noch ein.

Damit die Eltern die inneren Zustände ihres Kindes selber aber auch vernünftig erkennen und beachten können, müssen Sie neben ihrer Aufmerksamkeit für das Kind, auch eine eigene Vorstellung von dem haben, was wir ein „mentales Anderes“ nennen. Sie müssen für sich selbst – durch ihre eigenen Eltern – die Fähigkeit zur Mentalisierung entwickelt haben. Sie müssen zu Gedankengang fähig sein: „Ich denke das du denkst was ich denke“

Ist ihre Mentalisierungsfähigkeit jedoch eingeschränkt, dann könnte es sein, dass sich ein Elternteil nicht ausreichend getrennt von dem Kinde wahrnimmt. Wenn dann das Kind z.B. wütend oder traurig ist wird die Mutter davon automatisch mit angesteckt… Dann wird auch sie entsprechend wütend oder traurig – eventuell sogar noch wütender oder noch trauriger als das Kind… Zum Beispiel indem ihr Kind in ihr durch – die Gegenübertragung – für sie unerträgliche Unzulänglichkeitsgefühle aus der eigenen Entwicklung wieder hochkommen lässt Passiert dies, lernt das Kind seine eigenen Affekte nicht gut genug von den Affekten seiner Umwelt zu trennen. Dann entsteht in dem Kind zum Beispiel der Gedanke: „mein Affekt ist gleich dein Affekt“ – es unterstellt dem Anderen also etwas. Es lernt dann nicht, dass sich die Gefühle der Umgebung von seinen eigenen Gefühlen unterscheiden – „Das was ich denke ist nicht zwangsläufig das, was die anderen denken und empfinden. Und genau dies hat für die Resilienz und psychische Belastbarkeit im späteren Leben dramatische Auswirkungen!

Nehmen wir mal ein Beispiel aus dem täglichen Leben: Du gehst durch die Stadt spazieren und ein Bekannter läuft an dir vorbei. Er grüßt dich heute aber nicht… Jetzt fragst Du Dich, warum hat er dich nicht gegrüßt hat…   Jemand mit einer vernünftigen und gut entwickelten Mentalisierungsfähigkeit wird sich dann wahrscheinlich denken: „Vielleicht habe ich etwas Blödes gesagt oder getan, sodass er mich nicht mehr mag“ Oder: „Bestimmt hat er mich auch einfach nicht gesehen oder war in Gedanken vertieft.“

Schauen wir uns nun die nur sehr schwach ausgeprägte Mentalisierungsfähigkeit einmal an. Hier wird sehr häufig der eigene innere seelische Zustand mit dem Erlebten in Verbindung gebracht – und da sprechen wir zum Beispiel von der Angst vor Kritik, ausgelöst durch ein schlechtes Selbstbild. Oder etwas platt ausgedrückt: „Er grüßt mich ganz bestimmt nur deswegen nicht, weil er mich nicht mehr mag. Ja klar, ich habe jetzt mehrere Kilos zugenommen und bin ihm jetzt bestimmt peinlich.“

Solch eine Überzeugung / solch eine Form der Unterstellung ist oft jedoch dermaßen fest einzementiert, dass sie im späteren Leben kaum noch korrigierbar ist. Dieses gefährliche „Verschmelzen“ von mehreren psychischen Zuständen – also dem was ich denke mit dem was ich glaube das andere denken – ist m.E. auch das Sprungbrett für Projektionen. Und Projektionen bedeuten, dass eigene innere Zustände dem anderen zugeschrieben werden – und dann sind es besonders solche, die man am liebsten gerne schnell loswerden möchte.

Aus einem Gefühl wie z.B. „ich bin voller Hass und voll rasender Wut“ wird dann: „Er (!) hasst mich und er (!) ist mir ganz sicher böse“ Und genau diese Gedankenfolge beobachten wir sehr häufig bei der sogenannten Borderline – Persönlichkeitsstörung. 

(5.) Wie kommt man nun aus dem Teufelskreis heraus?

Wichtig ist, dass der Vater und die Mutter dem Kind gegenüber, immer ihr eigenes Denken und ihr eigenes Fühlen ansprechen und auch deutlich machen. Dadurch kann das Kind dann in aller Ruhe lernen was der andere (!) empfindet und dass diese Gefühle nicht gleich mit dem sind was es selber fühlt. Und wenn sich das Kind dann auch noch von seinen Eltern verstanden fühlt, dann wird praktisch alles richtig gemacht.

Was sind Affekte?Etwas technisch ausgedrückt, beruht ein funktionierender Austausch auf zwei Punkten:

      • – aus der Affektmarkierung
      • – und aus der Affektmischung.

Die Affekt-Markierung erfolgt zum Beispiel, indem bei der Mutter – wenn sie das Weinen ihres Kindes hört –  ihr Herz schwerer wird, sich ihre Kehle zuschnürt und sich ihre Stimme verändert … Dann spricht sie – stellvertretend für das Kind – das aus was in ihr hochkommt: Zum Beispiel: „Mein Schatz, Du bist bestimmt traurig, weil dein Spielzeug weg ist… Sie markiert die gesamte Situation ihrem Kind als eine traurige Situation. Aber zeitgleich kommt noch etwas Anderes in ihr hoch – und das ist jetzt Teil der Affektmischung: Sie als die erwachsene Person in diesem Dialog kann einerseits liebevoll einen kühlen Kopf bewahren – sie hat ja nicht das geliebte Spielzeug verloren – sie weiß aber auch, dass das Gefühl von Verlust und Trauer bald vorbei ist.

      • Das Spielzeug muss sich ja irgendwo in der Wohnung befinden,
      • oder die Schürfwunden an den Händen sind nicht allzu tief ist und hören bald mit Sicherheit auf zu brennen …

Und wegen ihres Erwachsenenblicks, mischt sie intuitiv auch Hoffnung, Trost und vielleicht auch etwas Freude in ihre Stimme mit ein. Was bewirkt dies? Das Kind wird sich dadurch mit Sicherheit schnell wieder besser fühlen. Hierdurch fühlt sich das Kind einerseits durch diese stimmige Affektmarkierung von der Mutter verstanden … andererseits wird ihm aber durch die abweichende Affektmischung noch etwas sehr Wichtiges vermittelt: Und zwar dass Distanz zu dem Affekt auch möglich ist. Durch diese Distanz kann das Kind dann über diesen Affekt nachdenken, ihn verstehen und sich nicht (!) in einer endlosen Trauerschleife zu verlieren… Im ersten Step sind es also immer die Eltern, die ihrem Kind mitteilen was (!) es bedeutet, wenn es einen bestimmten Affektzustand erlebt. Aus einer äußeren Beschreibung durch die Eltern („Warum bist du heute so unruhig… Du bist wohl wütend, weil…“) entwickelt sich dann eine innere Beschreibung – das heißt eine Selbstreflektion („Warum bin ich (!) heute so unruhig? Ich (!) bin wütend, weil…) Dadurch lernen wir unsere inneren Zustände überhaupt erst einmal zu begreifen:

      • die Eltern geben dem Zustand eine Sprache
      • das Kind lernt diese Sprache
      • es denkt darüber nach und entwickelt diese innere Reflektion…

Lernt ein Kind diese inneren Zustände jedoch nicht (!) zu begreifen, dann haben wir ein nicht zu unterschätzendes Problem: Denn dann hat es Probleme, andere Menschen richtig einzuordnen oder zu verstehen… Das ist dann der Anfang aller Beziehungsprobleme … und ach … F60.3 die emotional instabile Persönlichkeitsstörung lässt mal wieder grüßen…

Studien zeigen immer wieder, dass eine sichere Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern immer was mit einer guten Mentalisierungsfähigkeit zu tun hat. Das sollte uns jetzt auch nicht übermäßig überraschen! Denn, wer sein Gegenüber als eine eigenständige Person mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen erkennt, wird dann auch versuchen, sich genau mit diesen anderen Wünschen und Gedanken einzulassen. Jemand, der das Verhalten anderer Menschen nur schwer im Zusammenhang mit einem innerpsychischen Prozess verstehen kann, der ist in seinen Beziehungen stark eingeschränkt… Er kann sich dann praktisch nur sehr passiv in Beziehungen verhalten. Für ihn ist die Magie einer Beziehung nicht begreifbar, denn er selber kann das alles nur begreifen, indem er alles wie eine scheinbar mechanisch ablaufende Handlung betrachtet…

Nach all dem was wir bis jetzt besprochen haben ist dir bestimmt auch klar, dass viele psychische Erkrankungen mit einer brüchigen Mentalisierungsfähigkeit zu tun haben und da denke ich nicht nur an Borderline, sondern auch an die unzähligen psychosomatischen Erkrankungen … Versetz dich mal in die Lage eines Menschen, der von Ess-Attacken geplagt wird: So jemand kann z.B. sein Trauer auslösendes Körpergefühl innerlich nicht vernünftig von dem komplett anderen Körpergefühl welches aber eigentlich Hunger (!) auslöst unterscheiden.

Warum dieses Problem? In beiden dieser Fälle – sowohl bei Hunger als auch bei Trauer – fühlt er sich innerlich leer… Diese innere Leere versucht er dann auf einer gemeinsamen Ebene zu bekämpfen … Er füllt sich und sein Inneres mit Essen. Diese Sprachlosigkeit in der Unterscheidung zwischen Hunger und Trauer – entstanden, wenn die Eltern dem Kind die Worte dazu nicht geschenkt haben – ist unter anderem ein Grund für diese Essattacken welche heute auch mit Binge-Eating bezeichnet werden. 

(6.) Ist die Fähigkeit zum Mentalisieren eine „Wunderwaffe“ gegen Beziehungsängste?

Nein! Und der Grund dafür ist auch recht simpel: denn bei jedem Menschen versagt diese Fähigkeit zum Mentalisieren von Zeit zu Zeit. Auch wenn es uns noch so gut gelingen mag, zwischen dem wovor wir (!) vielleicht Angst haben und dem wie Andere über uns denken kognitiv, wissend und klar zu unterscheiden … so ertappen sich die Allermeisten von uns beispielsweise dabei ihre Mentalisierungsfähigkeit zu verlieren, wenn sie eine Rede vor einem Publikum halten sollen … Natürlich haben wir das Wissen, die Erkenntnis, dass wir – solange wir innerlich einigermaßen ruhig bleiben – das Publikum gar nicht zu fürchten brauchen! 

Ein hin und wieder vorkommendes Verhaspeln wird von den Zuschauern in der Regeln auch gar nicht als so dramatisch empfunden… Und doch … Wenn wir dann unter großen Stress geraten – zum Beispiel aufgrund von starken Bewertungsaffekten – bricht unsere Mentalisierungsfähigkeit bei uns teilweise oder ganz zusammen. Wir sind dann felsenfest davon überzeugt, eine durch und durch vollkommen bescheuerte Figur zu machen, nur Blödsinn zu erzählen, und dass jeder im Publikum nur peinlich von unserem Beitrag berührt ist. Das was wir innerlich befürchten, wird mit dem fälschlicherweise verdrahtet, was andere über uns vermeintlich in der Realität zu denken scheinen.

Aus diesem Grund ist die Mentalisierungsfähigkeit durchaus eine wichtige „Waffe“ um gegen Bindungsängste und Schwierigkeiten anzugehen. Jedoch sollten wir uns nicht zu 100% auf sie verlassen. Auf einem Bein steht es sich einfach nicht sicher genug. Aber sie ist ein extrem wertvoller Ansatz – nicht mehr, aber auch nicht weniger. 

(7.) Zum Schluss eine Warnung!

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung! Darum möchte ich zum Schluss sehr gerne noch den Blick auf eine nachdenkliche Nebenwirkung der Mentalisierungsfähigkeit lenken: Gut erlerntes Mentalisieren versetzt mich dazu in die Lage, besser und überzeugender zu Lügen. 

Das einfache Lügen kennen wir von kleinen Kindern. Zum Beispiel wenn ein Gegenstand kaputt gemacht wurde und das Kind sagt: „Nein, das war ich nicht.“ Zu dem „fortgeschrittenen Lügen“ gehört dann zum Beispiel die sehr gefährliche Fähigkeit, sich mental in den anderen hinein zu versetzen – die Situation also aus seiner (!) Perspektive heraus zu betrachten, zu fühlen und ihn genau an dieser Stelle ganz bewusst zu täuschen…

Gehen wie spaßeshalber nochmal in die Geschichte am Anfang mit dem Kuchen zurück: Wenn der Freund nun sagen würde: „Schatz, schau doch bitte noch einmal etwas genauer auf dem Balkon nach deinem Kuchen. Der kann jetzt ja nicht irgendwo woanders sein. Der „muss“ doch noch auf dem Balkon sein. Suche doch mal etwas genauer …“
Dann schickt er sie bewusst und listig auf den Weg zum Balkon während er sich ungehindert am Kuchen im Kühlschrank vergnüglich tut … Auch wenn das in diesem speziellen Fall noch als Schabernack durchgehen mag, so würden wir dies bei einem Fortgeschrittenen Lügen oder einem Lügen in einer Beziehung zu Recht mit dem das Thema Gaslighting in Verbindung bringen.

Die Kunst der Täuschung ist jedoch immer auch Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung gewesen – wie z.B. der Anthropologie. Anthropologie kommt aus dem altgriechischen und bedeutet:

      • anthropos = der Mensch
      • -logie = die Wissenschaft eines bestimmten Fachgebietes Zusammen also die Lehre vom Menschen.

Auch der Philosoph Georg Friedrich Hegel (1770 bis 1831) sagte, dass alle Vernunft aus der List entstammt … Die Mentalisierungsfähigkeit ist mit Sicherheit sowohl ein Segen aber auch ein Fluch.

Unser großes Thema sind ja die Bindungsängste. Hier können wir die Mentalisierungsfähigkeit ganz gezielt einsetzen um die Ängste der Kindheit mit der Vernunft von heute in der Gegenwart zu besiegen. 

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Marcus Jähn Werde wieder stark durch CoachingEs sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang Borderline oder einer anderen belastenden Störung, aber auch über Future Faking, Love Bombing und Gaslighting die immer häufiger in unsere Gesellschaft zu beobachten sind. 

  • Was ist das eigentlich, eine Persönlichkeitsstörung, ein Perfektionismus, ein Spaltung oder eine Gegenübertragung?
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Ich möchte aber nicht nur über Fragen sprechen, sondern auch praxisgerechte Lösungen anbieten:

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  • U.M.W.E.G.-Methode© und nicht zuletzt die Transaktionsanalyse als Sprachkonzept können helfen, auch in schwierigen Situationen noch kühlen Kopf zu bewahren. 

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