Herzlich willkommen, zu „Richtiges Vorbereiten auf ein familienpsychologisches Gutachten”. Beruflich und privat forsche ich seit mehreren Jahren im Bereich der familienpsychologischen Gutachten und arbeite seitdem fĂĽr meine Klienten an einer Schnittstelle zwischen Psychologie, Gericht und Familie.
In dieser ersten Folge meines Podcast möchte ich dir erklären, was ein familienpsychologisches Gutachten überhaupt ist – und was nicht. Denn nur, wer die Grundlagen hiervon versteht, kann sich auch sicher und souverän auf die Gespräche vorbereiten, die im Laufe des Verfahrens auf ihn zukommen.
Lass mich gleich zu Beginn mit einer wichtigen Klarstellung beginnen: Ein familienpsychologisches Gutachten ist kein Test, den man besteht oder durchfällt. Das ist eigentlich das erste und mit auch das wichtigste Missverständnis, das ich aus dem Weg räumen möchte.
So ein Gutachten ist eher ein Hilfsinstrument für das Familiengericht. Gerade bei schwierigen Entscheidungen zum Thema Kindeswohl braucht es immer eine fachlich fundierte Einschätzung. Und genau dafür wird ein externer psychologischer Gutachter hinzugezogen.
Der Gutachter beantwortet nicht die Frage, wer von den Eltern in seinem Streit nun recht hat. Stattdessen lautet die zentrale Frage des Gerichts an den Gutachter: „Welche Lösung entspricht dem Wohl des Kindes unter psychologischen Gesichtspunkten?” BGB §1666
Die Grundlage für ein solches Gutachten ist immer ein richterlicher Beweisbeschluss nach § 30 des FamFG. So ein Beweisbeschluss legt dann fest, welche Fragen der Gutachter beantworten soll.
Typische Fragestellungen wären hier zum Beispiel:
Das Gutachten ist also immer auf konkrete Fragen des Gerichts zugeschnitten. Es ist kein allgemeiner Bericht, sondern eine gezielte Antwort auf klare rechtliche und psychologische Fragestellungen.
Jetzt fragst du dich vielleicht: Wer bestimmt eigentlich, welcher Gutachter kommt? Und kann ich da irgendwie mitentscheiden?
Der Auftraggeber ist immer das Gericht und niemals eine der streitenden Parteien. Das ist wichtig zu verstehen. Ein Gutachter wird weder von Mutter noch vom Vater beauftragt, sondern immer nur vom Gericht.
Der Gutachter ist dadurch vom Konflikt unabhängig und ausschließlich den gerichtlichen Auftrag gebunden. Er muss die Fragen beantworten, die ihm vom Gericht gestellt wurden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Können Eltern den Gutachter ablehnen?
Ja, das ist möglich. Wenn du als Partei eine Befangenheit vermutest – das also zum Beispiel der Gutachter vorher schon mit deinem Fall zu tun hatte oder persönliche Beziehungen zu einer Partei bestehen – kannst du den Gutachter ablehnen. Das regelt der § 406 der Zivilprozessordnung.
Allerdings musst du dafĂĽr konkrete GrĂĽnde nennen. Ein allgemeines Unbehagen reicht nicht aus.
Wie wird das Gutachten geprĂĽft?
Wichtig zu wissen ist: Das Gericht prüft das Gutachten später auf seine Nachvollziehbarkeit und die methodische Qualität – nicht auf irgendwelche inhaltlichen Gefälligkeiten. Es geht also nicht darum, ob das Gutachten einer Partei gefällt, sondern ob fachlich (!) sauber gearbeitet wurde.
Ein gutes Gutachten muss transparent / sichtbar machen,
Lass uns mal betrachten, wie ein Gutachter eigentlich arbeitet. Denn auch wenn er frei in seinem methodischen Vorgehen ist, so arbeiten sie keinesfalls willkĂĽrlich, sondern folgen klaren wissenschaftlichen Standards.
Worauf basiert ein Gutachten?Der Gutachter arbeitet auf Basis von:
Ein gutes Gutachten beruht auf dem sogenannten Mehrmethodenprinzip. Was bedeutet das? Es werden verschiedene Informationsquellen kombiniert, um zu einem möglichst objektiven und vollständigen Bild zu kommen.
Dazu gehören:
Hypothesenorientiertes Arbeiten
Ein seriöser Gutachter arbeitet hypothesenorientiert. Was heißt das konkret?
Er formuliert zu Beginn eine Hypothese – also eine Annahme, die er überprüfen möchte. Zum Beispiel:
„Das Kind fĂĽhlt sich beim Vater emotional sicherer als bei der Mutter.”
Diese Hypothese wird dann systematisch ĂĽberprĂĽft – durch Beobachtungen, Aussagen des Kindes, Tests zur Bindungsqualität. Es geht nicht um subjektive EindrĂĽcke wie „Der Vater wirkt sympathischer”, sondern um ĂĽberprĂĽfbare Befunde.
Am Ende wird die aufgeworfene Arbeits-Hypothese entweder bestätigt, widerlegt oder differenziert. Das Gutachten ist also keine Meinungsäußerung, sondern eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung.
Lass uns mal drei häufige Missverständnisse, die ich immer wieder erlebe ansprechen und auch ausräumen.
Missverständnis 1: Der Gutachter entscheidet über das Sorgerecht
Nein! Der Gutachter entscheidet nicht. Er liefert nur eine  psychologische Entscheidungsgrundlage für das Gericht.
Die Entscheidung – ob zum Sorgerecht, zum Aufenthaltsbestimmungsrecht oder zum Umgangsrecht – trifft immer das Gericht. Der Richter oder die Richterin liest das Gutachten, hört sich die Argumente aller Beteiligten an und fällt dann eine Entscheidung auf der Grundlage aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen.
Das Gutachten ist also ein wichtiger Baustein – aber eben nur einer von mehreren.
Missverständnis 2: Man kann den Gutachter „überzeugen”
Nein. Ein Gutachter prüft die Aussagen auf ihre Kohärenz – ob sie stimmig sind zu allem anderen. Nicht das Argumentationsgeschick, sondern die Realität entscheidet.
Was bedeutet das? Der Gutachter schaut sich an, ob deine Aussagen in sich schlüssig sind. Ob sie zu dem passen, was man beobachten kann. Ob deine Erzählungen über mehrere Themen und Gespräche hinweg konsistent bleiben oder irgendwo anfangen, sich zu widersprechen.
Du kannst einen Gutachter nicht durch rhetorische Tricks oder geschliffene Formulierungen beeindrucken. Authentizität und Ehrlichkeit sind viel wichtiger als perfekte Antworten.
Missverständnis 3: Ein negatives Ergebnis ist endgültig
Nein. Das Gericht kann jederzeit ein Ergänzungsgutachten oder Zweitgutachten anordnen.
Wenn du oder dein Anwalt das Gefühl hast, dass das Gutachten methodische Mängel aufweist oder wichtige Aspekte nicht berücksichtigt wurden, könnt ihr das vorbringen. Das Gericht kann dann nach § 412 der Zivilprozessordnung ein weiteres Gutachten in Auftrag geben.
Allerdings sollte man nicht leichtfertig ein Zweitgutachten fordern. Es erhöht die Kosten, verlängert das Verfahren erheblich und sollte nur bei wirklich begründeten Zweifeln angestrebt werden.
Kommen wir hier zum praktischen Teil: Was bedeutet das alles fĂĽr dich? Wie solltest du dich verhalten?
5.1. Nicht „gut dastehen”, sondern authentisch sein
Es geht nicht darum, irgendwie gut dazustehen, um sich und seine Position zu rechtfertigen. Sondern es geht vielmehr darum, authentisch, reflektiert und kooperationsbereit zu wirken.
Was heiĂźt das nun konkret?
5.2. Ehrlichkeit ist entscheidend
Ehrlichkeit ist entscheidend – auch bei schwierigen Themen. Vielleicht gab es in der Vergangenheit Momente, in denen du überfordert warst. Vielleicht hast du Fehler gemacht. Das ist menschlich.
Aber wenn du nun versuchst, solche Dinge zu verschweigen oder zu beschönigen, wird das fast immer negativ auffallen. Und dann leidet deine Glaubwürdigkeit.
Besser ist es, offen zu sagen: „Ja, diese Situation war schwierig. Ich habe damals nicht optimal reagiert. Aber ich habe daraus gelernt und mache es heute anders.”
5.3. Defensive oder manipulative Strategien werden erkannt
Das Gericht und der Gutachter erkennen defensive oder manipulative Strategien meist sehr schnell.
Was sind solche Strategien?
All das schadet einem am Ende mehr, als dass es zu irgendetwas nĂĽtze ist.
5.4. Dein Ziel sollte sein
Dein Ziel sollte sein:
Ich empfehle dir, schon vor dem ersten Gespräch mit dem Gutachter folgende Fragen für dich zu beantworten und schriftlich zu notieren. Denn beim Gespräch wirst du in aller Regel so nervös sein, dass du dich nicht mehr gut an deine Vorbereitung erinnern wirst:
Diese Selbstreflexion hilft dir, im Gespräch klarer und souveräner zu sein.
Ich möchte dich auch vor ein paar typischen Fehlern warnen, die ich immer wieder beobachte:
Fehler 1: Ăśber den anderen Elternteil schlecht reden
Überlastete Eltern neigen öfter als andere dazu, den anderen Elternteil ausführlich zu kritisieren. Das Problem: So wirkt nicht souverän, sondern konflikthaft. Da besteht schnell die Gefahr, als Querulant eingestuft zu werden.
Besser ist es, sachlich zu bleiben: „Ich sehe bestimmte Dinge anders als der Vater/die Mutter. Aber ich weiß auch, dass er/sie das Kind liebt und sich bemüht.“
Fehler 2: Informationen zurĂĽckhalten oder verschleiern
Wenn du versuchst, unangenehme Wahrheiten zu verstecken, wird das früher oder später sowieso auffallen. Und dann leidet deine Glaubwürdigkeit wirklich massiv.
Sei lieber von Anfang an offen – das stärkt deine Position.
Fehler 3: Emotionale Kontrolle verlieren
Ich verstehe, dass so Situation, in der man in der Gefahr steht, das Verhältnis zu und mit seinem Kind durch die Beurteilung Außenstehender verändert zu bekommen, sehr belastend ist. Aber in einem Gutachtenverfahren kommt auch es darauf an, selbst unter Stress halbwegs ruhig und reflektiert zu bleiben.
Kurzfristige Wut oder emotionale AusbrĂĽche könnten groĂźe langfristige Wirkung haben. Ein Gutachter schaut ganz besonders hin, wie du mit Stress umgehst – denn das ist ein Hinweis darauf, wie du in schwierigen Erziehungssituationen – ohne Beobachtung – reagieren wĂĽrdest.
Was konnten wir in dieser Folge 1 als Take-Home-Message mitnehmen?
Diese erste Folge ist wie ein Grundeckstein und legt ein Fundament fĂĽr alle weiteren Themen. Wenn du verstehst, was ein familienpsychologisches Gutachten wirklich ist und wie es funktioniert, kannst du dich viel gezielter darauf vorbereiten.
Du weißt jetzt, dass es nicht darum geht, eine Rolle zu spielen, sondern authentisch zu sein. Und du weißt, dass der Gutachter nach klaren Kriterien arbeitet – nicht nach Sympathie oder Bauchgefühl.
Dieses Wissen nimmt dir hoffentlich schon mal einen groĂźen Teil einer eventuellen Unsicherheit.
In der nächsten Folge sprechen wir über die rechtlichen Grundlagen und den formalen Ablauf eines familienpsychologischen Gutachtens.
Die Kernfragen der nächsten Folge sind:
Wenn du die rechtliche Logik verstehst, kannst du viel besser einschätzen, an welchen Stellen du aktiv werden kannst – und wo du einfach abwarten musst.
Also: Bleib dran, und wir sehen uns in der nächsten Folge!
Alle Inhalte dieser Folge basieren auf aktuellen, wissenschaftlich fundierten Quellen:
Dieses über 1000 seitige Nachschlagewerk für Gutachter, Juristen (aber auch Betroffene), Psychologen und Gerichte befasst sich mit allen rechtlichen Vorgaben und Fragen rund um das sachverständige Vorgehen eines Gutachters.
Wie sieht das diagnostische Vorgehen aus? Welche Risiko- und Schutzbedingungen des Kindes sind zu berĂĽcksichtigen? Hier werden verschiedene diagnostische Verfahren vorgestellt und eine Unmenge an Rechtsfragen beantwortet wie z.B. was mit Aufzeichnungen im Gutachten geschieht? Können Emails oder digitale Chats dem Gutachter vorgelegt werden?Â
Was wir hier finden sind Leitlinien fĂĽr den Sachverständigen, rund um die Qualitätssicherung, Kosten und VergĂĽtung, das Thema Kindeswohl und wie ein schriftliches / mĂĽndliches Gutachten aufgebaut sein sollte.Â
Es sind viele Bereiche, die wir ansprechen können: Angefangen vom Umgang mit dem Ex-Partner und den Kinder, aber auch ĂĽber Erziehungsfähigkeit, Kommunikationsbereitschaft, Loyalität und Kindeswohlgefährdung … Â
Es ist durch das Gesetz klar geregelt, dass sich jede Person im Familien-Verfahren sowohl vor den Ämtern als auch vor Gerichten (Ausnahme: alle finanziellen Angelegenheiten) durch einen Beistand begleiten lassen kann.
Diese Möglichkeit wird leider noch viel zu wenig genutzt, da sie auch in den Jugendämtern kaum bekannt und nicht gerade populär ist. Eigentlich nachvollziehbar, da sich die gesamte familiale Intervention einschließlich der Familiengerichte gerne im familiären Verfahren unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit bequem einrichtet.
Buchen Sie sich gerne auf meinem Online-Kalender ein Zeitfenster oder nutzen Sie mein klassisches Kontaktformular um mit mir in Verbindung zu treten. Ich freue mich auf Sie. Ihr Marcus