Kann man einen süchtigen Borderliner Therapieren

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Wer mit einem Patienten mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung in Kombination mit einer Abhängigkeitserkrankung in der Therapie arbeitet, der muss sich einer gewaltigen Doppelaufgabe stellen:

      • zuerst müssen logischerweise die Symptome aus dem Bereich der Borderline – Persönlichkeitsstörung angegangen werden
      • Gleichzeitig aber auch all die weitreichenden Folgen und Symptome der Sucht.

Was macht das alles so anstrengend, so herausfordernd? Es sind

      • Die emotionale Instabilität der Patienten
      • der Umgang mit den Sucht-Rückfällen
      • die häufige Scham des Gegenübers in Bezug auf seine Abhängigkeit
      • dann ein Praxisproblem: die Unpünktlichkeit / Unregelmäßigkeit bei den Sitzungen,
      • Viele vorzeitige Therapieabbrüche
      • oder die begleitenden körperlichen Erkrankungen.

Das ist aber noch nicht alles… Oft tritt das alles noch kombiniert auf mit einer höheren Gewaltneigung mit aggressiven Handlungen und Verletzung von vereinbarten Regeln narzisstischen Charakterzügen, Anti-Soziales Verhalten und nicht zuletzt von einer desolaten sozialen und gesundheitlichen Situation des Patienten.

Du kannst Dir vorstellen, dass es bei diesen Rahmenbedingungen einem Therapeuten eiskalt den Rücken runterläuft. Und ja, viele von ihnen haben Angst! Angst davor, wenn der Gegenüber mal wieder im Suchtrausch die Kontrolle über sich verliert…. Um hier wirklich sichere Rahmenbedingungen zu schaffen, muss ein wirksames Therapiekonzept all diese genannten Punkte handwerklich aufgreifen und vernünftig integrieren.

Auf solch ein spezielles Rahmenkonzept müssen wir aktuell leider noch etwas warten. Und weil dem so ist, gibt es immer noch nur wenige Therapeuten mit einer speziellen Ausbildung für dieses Themengebiet. Außerdem gibt es auch nur wenig gute Studien, in denen die Wirksamkeit psychotherapeutischer und medikamentöser Verfahren nachgewiesen.

Das verwundert eigentlich, in Anbetracht der hohen Zahl an Persönlichkeitsstörungen mit einer Sucht. Die Wahrscheinlichkeit, Borderline mit einer Suchtabhängigkeit vorzufinden liegt je nach untersuchter Gesellschaft nämlich zwischen 5% und gewaltigen 65 %. Bei denen, die sich in einer psychotherapeutischen Behandlung befinden, liegt sie sogar zwischen 26 und 84 %.

Trotz dieses hohen Bedarfs gibt es aktuell bislang nur zwei Therapieverfahren, bei denen die Wirksamkeit ausreichend bestätigt wurde. Es handelt sich dabei um

      • die DFST „Dual Focus Schema Therapy“
      • und die „Dialektisch – Behaviorale – Therapie“ für Patienten mit Borderline und begleitender Substanzabhängigkeit (DBT-S).

Die Dialektisch – Behaviorale Therapie zielt als einzige Methode direkt auf die Behandlung von Borderline – Persönlichkeitsstörung und begleitender Sucht ab.

Nur für sie gibt es aktuell systematische Therapeuten-Trainings für die ambulante und stationäre Behandlung und auch ein standardisiertes / nachvollziehbares Behandlungskonzept für den stationären Bereich.

Wegen dieser nur sehr geringen Anzahl von Studien, versuche ich mit meinem Beitrag eine kleine Orientierung über den Stand der Forschung, der Methoden, einschließlich der medikamentösen Behandlung zu geben. Bitte beachtet, dass medizinischer Fortschritt genau das ist, was das Wort sagt: Fortschritt.

Auch ich kann nicht alle Studien kennen, sodass ich hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit geben kann. Bitte kontaktiert immer auch euren Arzt / euren Therapeuten zu diesem Thema!

(1) Psychotherapie bei einer Cluster – B – Persönlichkeitsstörung und einer begleitenden Sucht

In der Regel haben all die Menschen, die an einer Cluster–B–Persönlichkeitsstörung leiden (dies ist der Bereich der dramatisch, launischen und / oder emotionalen Persönlichkeitsstörungen), bevor sie sich professionelle Hilfe holen, eigene – häufig stark fehlerhafte – Strategien entwickelt, die es Ihnen aber erst einmal ermöglicht haben, zumindest kurzfristig die innere Anspannung und übermannenden Gefühle zu regulieren.

Dies können auch Drogen sein – jedoch sind diese so dysfunktional, dass sich im Hintergrund fast immer eine Sucht entwickelt. In einer Therapie ist das jetzt ein echt dickes Brett, was gebohrt werden muss:

      • Auf der einen Seite der dysfunktionale Versuch, Gefühle und Spannungen mit Drogen zu regulieren,
      • aber gleichzeitig der Schritt zur Suchtmittel-Abstinenz (ein klares Ziel jeder Therapie)

Das führt fast immer zu Regelbrüchen und belastet die zwischenmenschlich so wichtige therapeutische Beziehung. Das alles – eine Persönlichkeitsstörung inklusive einer begleitenden Sucht – treffen wir im Alltag sehr häufig an. Und da dem so ist, müsste es doch auch sehr viele Studien und Therapie-Ansätze hierfür geben…

Dem ist aber leider nicht so. Das was uns derzeit vorliegt – welche psychotherapeutische Methode ist wie effizient – sind immer noch in der Regel einzelne klinische Falldarstellungen, Kasuistiken oder einzelne experimentelle Untersuchungen.

Aber, es gibt zwischenzeitlich bereits ein paar sehr interessante Ansätze. Wie gesagt gibt es zwei Methoden welche ich in diesem Bericht einmal hervorheben möchte, die nach den allgemeinen Standards randomisiert kontrollierter Studien für die Behandlung dieser Patienten-Gruppe (Persönlichkeitsstörung mit begleitender Substanzabhängigkeit) auf ihre Wirkung hin geprüft worden sind. Beide Verfahren führten zu einer deutlichen Verbesserung sowohl der Sucht – als auch der Persönlichkeitsstörungs-spezifischen Symptomen.

In der „Dual Focus Schema Therapie“ wurden Sucht-Patienten mit verschiedenen Persönlichkeitsstörungen erfolgreich behandelt. Ihr Ziel ist das Ersetzen sepzieller emotionaler Handlungsabläufe mit all ihren Fehlern durch deutlich funktionellere / passendere Bewältigungsstrategien.

Eine Spezialisierung dieser Methode auf die Behandlung einzelner Persönlichkeitsstörungen – also die Unterscheidung z.B. zwischen Perfektionismus und Borderline – besteht bei dieser Therapieform aktuell noch nicht.


Eins weiteres strukturiertes psychotherapeutisches Behandlungskonzept ist die Dialektisch – Behaviorale Therapie für Patienten mit Borderline und einer begleitender Substanzabhängigkeit. Sie wird aktuell in verschiedenen Kliniken – u.a. in der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité – in ein Schritt-für-Schritt- klar nachvollziehbares Therapiekonzept gefasst.

Sie wurde bereits

      • in zwei kontrollierten Studien wissenschaftlich bestätigt
      • Sie ist aktuell immer noch die einzige Methode speziell zur Behandlung einer Borderline – Persönlichkeitsstörung mit begleitender Sucht
      • und ist – was vielleicht das Wichtigste ist – als therapeutisches Konzept in seiner Gesamtheit sowohl für Patienten als auch Therapeuten in einer leicht verständlichen Sprache entwickelt.

Aus diesen vorteilhaften Gründen verdient sie m.E. einen etwas genaueren Blick.

(2) Die Dialektisch–Behaviorale Therapie bei Borderline und begleitender Sucht

Es gibt eine spezielle Form innerhalb der DBT (genannt DBT-S) die ein ganz speziell auf diese Gruppe ausgerichtetes Therapieprogramm beinhaltet.

Im allgemeinen Bereich schult die DBT ja

      • die Achtsamkeit in der Wahrnehmung
      • das Wissen wann / und in welchen Situationen der Betroffene regelmäßig getriggert wird.
      • das Erlernen von Skills um das Verhalten und die eigenen Gefühle besser zu kontrollieren.

Die DBT-S kann aber noch viel mehr! Ihre ganz speziellen Ziele sind:

      • Die Stärkung der Motivation zu einem Leben ohne Suchtmittel
      • Die Schulung ganz individueller Methoden um den Konsum zu senken bzw. die Abstinenz durchzuhalten.
      • Die Reduzierung von Entzugsnebenwirkungen
      • Die Reduzierung des Cravings (das Verlangen)
      • Sie lehrt, wie man Situationen / Reizen für einen erneuten Substanzkonsum wirksam aus dem Weg geht.
      • Die Entwicklung von Resilienz-Strategien
      • Sie fördert eine bessere Vernetzung mit dem Suchthilfe-Angebot vor Ort – stellt sich also deutlich breiter auf!

Bitte beachte, dass Therapieabbrüche bei Borderline mit begleitender Sucht oft beobachtet werden: Warum ist das so?

      • Die Bindungsstärke zwischen Patient und Therapeut ist häufig noch viel zerbrechlicher als bei nicht Sucht-Patienten
      • Die Patienten verstehen die Wechselwirkung zwischen  Sucht und Persönlichkeitsstörung nicht immer in vollen Umfange
      • Und sie verfügen oft nur über eine deutlich niedrigere Stresstoleranz.

Bisher gibt es erst zwei große kontrollierte Vergleichs-Studien, bei denen die Effektivität der DBT-S für Borderliner mit begleitender Sucht im ambulanten Rahmen näher untersucht wurde. Obwohl die Studienteilnehmer von allen untersuchten Therapien profitierten, war die Zahl der Therapieabbrüche bei der DBT-S deutlich niedriger und die Teilnahme an den folgenden Terminen höher als in den Vergleichsgruppen. Sowohl die Symptome als auch der Konsum von Suchtmitteln sank während des Untersuchungszeitraumes bei den DBT-S Patienten im Vergleich zum Therapiestart und auch im Vergleich zu den Kontrollgruppen deutlich.

Obwohl die ganz großen Wirksamkeitsnachweise der DBT-S bei Männern und auch bei Patienten mit kombinierter Fremd-Aggression oder Antisozialität fehlen und auch die untersuchten Gruppen nicht gigantisch groß waren, so ist diese Therapieform aktuell immer noch die am besten in Ihrer Wirksamkeit untersuchte Therapie im Bereich Borderline mit begleitender Sucht. 

(2.1) Prinzipien, Module und besondere Strategien in der DBT-S

Die DBT-S ist eine spezielle Form der DBT-Therapie und ist aufgeteilt in die Einzel- und in die Gruppentherapie:

      • Individuelle Einzeltherapie

      1. Skill-Training / das Trainieren von neuen Verhalten / Fertigkeiten
      2. Medizinisch psychologische Aufklärung
      3. Das Besuchen von Selbsthilfegruppen außerhalb der Klinik
      4. Praxisorientiertes / lebensnahes – Coaching
      5. Ambulante Weiterbetreuung auch nach der stationären Therapie
      6. Medikamentöse Therapie
      7. Burn out – Prophylaxe und (sehr wichtig)
      8. Die Supervision / die Unterstützung des therapeutischen Teams
      • In den anschließenden Gruppentherapien lernen die Betroffenen dann,
      1. ihre eigenen persönlichen Strategien in der Praxis auszuwählen,
      2. Die Wirksamkeit dieser Strategien dann in ihrem eigenen Leben zu überprüfen
      3. und anschließend zu vertiefen / zu einer Tugend zu machen.

Bei einer stationären Sucht-Behandlung wird generell wegen des 100%igen Abstinenzgebotes eine Entgiftung vorgeschaltet. Nach dieser Entgiftung beginnt dann die eigentliche Psychotherapie, bei der das Wechselspiel zwischen der Sucht und der immer wiederkehrenden emotionalen Instabilität gemeinsam aufgearbeitet wird.

Bei einer ambulanten Behandlung ist eine langsame Reduzierung des Suchtstoffes auch während der Behandlung möglich und muss nicht zwingend kurz und knackig vorgeschaltet werden.

(2.1.1) Prinzipien

Ganz am Anfang steht das Kommittent / die Vereinbarung / die Verpflichtung beider Teilnehmer – also des Patienten und auch des Therapeuten – eine Behandlung beginnen zu wollen und alles für die Umsetzung der Ziele einzusetzen. Beide vereinbaren also etwas, was man mit einem Vertrag vergleichen könnte. Du kannst dir aber sicher vorstellen, dass man von einem Suchtkranken, lange nicht das erwarten kann als wenn er keine Sucht hätte … Also dass er „nüchtern“ bzw. „clean“ zur Behandlung kommt.

Bei denen die schon seit langem / und auch chronisch ihre Drogen konsumieren und bei ihren ersten Therapiekontakten sichtlich unter Drogeneinfluss erscheinen, kann es in Einzelfällen sogar besser sein, das Kommittent im gerade aktuellen „Sucht-Spiegel“, d.h. nicht im Rausch, aber auch nicht im Entzug zu vereinbaren.

Vielleicht befindet sich der Patient zu diesem Zeitpunkt durch den Sucht-Spiegel ja gerade auf seinem derzeit höchstmöglichen kognitiven Funktionsniveau und kann das Therapiekonzept jetzt gerade am besten verstehen. Wichtig ist, dass der erfahrende Therapeut hierbei vernünftig und ausgewogen reagiert:

      • Er darf nicht den Eindruck erwecken, dass er den Drogenkonsum positiv bewertet.
      • Er darf das alles aber auch nicht so extrem kritisieren, dass sich der Gegenüber nun dermaßen schämt, in die Enge gedrängt und zum Aufgeben veranlasst fühlt.

Ist das Kommittent erst einmal gegeben, steht also – wie bereits gesagt – ganz am Anfang die Entgiftung im Vordergrund. Und da wird es nochmals schwierig: Wegen unserer neurobiologischen Grund-Mechanismen

      • können wir während einer Entgiftung deutlich schwerer Lernen
      • unsere Denkfähigkeit sinkt
      • und unsere emotionale Verwundbarkeit steigt.

Wie lange dauert das? Das ist wirklich sehr individuell verschieden sodass hier kein Maß gesetzt werden kann. Man muss nun genau darauf achten, dass die Behandlung immer nur in kleinen Schritten an die jeweilige Leistungsfähigkeit des Patienten angepasst wird, um zu hohen Erwartungen und eventuellen Frustrationen – wegen Nichterreichen von Zielen – entgegen zu wirken.

Zeitgleich sollten auch alle anderen eventuell noch bestehenden körperlichen Begleiterkrankungen – falls nicht schon geschehen – therapiert werden damit ein körperlich starker Patient in die DBT-S einsteigen kann und nicht durch seine schlechte körperliche Verfassung noch gebremst wird.

„Mens sana in corpore sano“ = ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Interessant ist, dass sich dieses verstümmelte Zitat ursprünglich so anhörte: „Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano“ Der römische Sartiriker Juvenal ( 60 bis 127 u.Z.) meinte damit: Man solle darum beten, dass sich ein gesunder Geist mit einem gesunden Körper verbinden möge.“ Dies zeigt, wie wichtig es schon damals angesehen wurde, dass der gesunde Geist einen gesunden Körper und umgekehrt benötigt.

Wie würden die Schritte im Folgenden denn nun aussehen? Ist dies eher so ein „mal schauen“? Nein! Sei Dir sicher, dies geht dann total systematisch vonstatten und ist stark standardisiert:

      • Ganz am Anfang stehen die suizidalen bzw. selbstverletzenden Verhaltensweisen. Erst danach, wenn die der Patient stabil genug ist, kann mit der differenzierteren psychotherapeutischen Arbeit begonnen werden.
      • Die zweite Priorität im Anschluss hat die Behandlung Therapieschädigender Verhaltensweisen. Diese therapieschädigenden Verhaltensweisen sind alle Verhaltensweisen, welche die Umsetzung der therapeutischen Inhalten stören.
      • Erst jetzt – im dritten Schritt – können Lebens-Themen und Probleme in der Lebensführung differenziert genug behandelt werden.

Wenn das alles doch immer so leicht wäre, denn nicht immer sehen die Patienten die Notwendigkeit / oder haben einfach nicht die Motivation eigene fehlerhafte Verhaltensweisen ändern zu müssen. Es gibt aktuell eine ganze Reihe von Modellen, in denen der Grad der Veränderungsmotivation von Patienten gezeigt wird. Ein recht anwendungsfreundliches Modell ist das „Stages of Change“ nach Prochaska und DiClemente. Dieses Denkmodell hilft in der Praxis ein System in diese manchmal hochkomplexe Behandlung zu bringen. Solche Denk- und Arbeitsmodelle schaffen die Möglichkeit einen bei Konsumrückfällen deutlich individueller auf den Patienten einzugehen. Die klinische Praxis zeigt nämlich sehr deutlich, dass eine Regelung in solchen Situationen nach Schema F – einfach nicht sinnvoll ist.

Eine besondere Strategie in der DBT-S ist die sogenannte dialektische Abstinenz. Was das bedeutet, möchte ich kurz skizzieren: Durch die Einigung / das Commitment sich ab jetzt von den Drogen / den Suchtstoffen fernzuhalten steckt der Patient in einem Dilemma.

Zum einen ruft immer wieder die Sucht – andererseits ist da die Vereinbarung zur „dauerhaften Abstinenz“ und die häufige Folge davon sind Rückfälle in die Sucht.

Und diese beiden Realitäten Die Sucht Die Abstinenz zu akzeptieren, dass fällt den Patienten typischerweise nach so einem erneuten und ungewollten Rückfall sehr schwer.

Und hier kommt jetzt die dialektische Abstinenz zum Tragen. 

Sie fordert von beiden Seiten – also sowohl dem Patienten als auch dem Therapeuten – anzuerkennen, das ein Ausgleich zwischen diesen beiden Extremen:

      • der sofortigen und absoluten Abstinenz
      • und dem Fakt, dass Rückfälle als ein typisches Bild der Erkrankung immer wieder auftreten können.

Dieser dialektische Ansatz fördert damit zwei Dinge gleichzeitig:

    • das Streben nach der Abstinenz
    • und gleichzeitig schult es in der Anwendung bewertungsfreier, lösungsorientierter Bewältigungsmethoden nach einem Rückfall.

Der Unterschied liegt in dem Bereich rund um die Therapie von Abhängigkeitserkrankungen. In der Einzeltherapie werden

      • die ganz persönlichen individuellen Themen angesprochen
      • und Bedingungsmodelle sowie Methoden erarbeitet die künftig den Patienten im Leben stabilisieren sollen.

Welches Thema zuerst und am längsten behandelt wird, das entscheidet sich immer an dem individuellen Hierarchieziel.

  • Weiter wird dann z.B. mit den Tagebuchkarten gearbeitet
  • Die Verhaltensanalysen werden angesprochen
  • Dann wird geschaut, wie die Ziele bislang erreicht wurden
  • Und ob die Ziele nach wie vor mit der realen Situation des Betroffenen überhaupt erreichbar sind.

Modul Fertigkeiten Training

Das Skills- und Achtsamkeitstraining innerhalb der DBT-S ist kein Prozessbegleiter, sondern ist ein Verhaltenstraining. Durch dieses werden Techniken gelernt um sich von den Anspannungsentlastung und lösungsorientierten Problembewältigung.

Ziel ist es, dass die Betroffenen

  1. ihre inneren Anspannungen und ihr ständiges Verlangen (Craving) nach den Suchtstoffen in den Griff bekommen, indem diese Problem Herde erst einmal erkannt werden und in ihrer Tragweite / Ihren Auswirkungen eingeschätzt werden können.
  2. Im zweiten Step kann der Patient durch das dann folgende intensive Training seine schwierigen Verhaltensweisen / seine Sucht durch bessere / funktionellere Methoden ersetzen.

Modul Ausbildung

In der DBT-S finden wir neben einer Prozessbegleitung und dem Verhaltens-/Fertigkeitentraining auch ausbildende / edukative Therapieeinheiten. Sie helfen dem Betroffenen dann, selber ein Laien-Experte in der eigenen Sache zu werden.

Modul Selbsthilfegruppen

 

Selbsthilfegruppen stehen in der DBT-S wie auch in der DBT ganz am Anfang der Therapie. Bereits in den therapeutischen Einrichtungen, wie zum Beispiel einer Klinik sind sie ein fester Bestandteil. Sie helfen den Patienten sich untereinander in ihren Problemlösungen / in ihren Fehlerkorrekturen zu zeigen. Wie in einer verschworenen Gemeinschaft helfen sie sich gemeinsam ohne Angst davor dass der Andere nicht versteht, was man gerade durchmacht. Die DBT-S, welche sich ja intensiv auch mit dem Suchtkonsum beschäftigt hat als weiteres Modul noch den Besuch von externen Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen auf dem Plan. Und für den absoluten Notfall bekommt der Patient eine Notfallnummer, wo er seinen / oder einen allgemeinen Betreuer im Krisenfall anrufen kann.

Gerade für diejenigen Patienten, denen die zerstörerische Wirkung ihrer Sucht nicht so deutlich vor Augen ist (ich vertrag das schon / bei mir ist das nicht so schlimm / andere Drogen sind viiiiel schlimmer) ist diese wissensbildende / diese edukative Suchtgruppen so wichtig. Hier werden dann schonungslos und beispielhaft die Wirkungen und Folgen des Substanzkonsums angesprochen und gezeigt.

Kommen wir zur Therapie zurück: In der Therapie zeigt sich immer wieder, dass die Validierungsstrategien der DBT und die motivationalen Gesprächsführung stets von Vorteil sind.

Was versteht man z.B. unter diesen Validierungsstrategien? Validus ist lateinisch und bedeutet „kräftig, wirksam, fest“ Auf

 Kreditkarten finden wir z.B. den Hinweis: Valid und dann ein Datum. Diese Karte ist gültig bis dann… Bei den Validierungsstufen unterscheiden wir 6 Stufen voneinander:

2.1.3) Besondere Strategien

Bindung ist und bleibt der zentral wichtige Schutzfaktor für eine seelische Gesundheit! Darum sind auch so viele Strategien darauf ausgerichtet, eine persönliche Bindung zwischen Patient und Therapeuten aufzubauen und zu verfestigen. Wir nennen diese (Attachments – Strategien) Sie sind ein ganz wichtiges Kernelement der DBT-S und erfordern viel Zeit in der Therapie.

Das folgende Beispiel hilft, einen Einblick in diese Problematik zu bekommen: 
Ein notorisch unpünktlicher Patient wird mit einem Schmetterling verglichen, der sich oft auf die Hand seines Therapeuten setzt. Er flattert aber immer wieder weg und dass besonders dann, wenn der Therapeut annimmt, dass beide nun doch einen guten Kontakt bekommen haben. Dies ist ein typisches Verhalten vieler Sucht-Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen und ist fester Bestandteil in dem Konzept der DBT-S. Beispiele für solche typischen „Schmetterlings-Patienten“ sind:

      • Eine nur temporäre Teilnahme an der Therapie
      • Das Nichteinhalten von gemeinsamen Absprachen
      • Frühzeitige Therapieabbrüche

Wie geht man in der Therapie nun vor, um gerade diesen Menschen die notwendige Unterstützung zu bieten? Denn, „machen ist wie wollen – nur viel krasser“ Wie also erfolgt die richtige Hilfe? 

Die DBT-S geht hier ganz systematisch vor:

      • Bereits ab der ersten Therapiestunde lotet der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten die Wahrscheinlichkeit für solche „Attachment – Probleme“ aus und bespricht mit ihm detailliert – bis ins kleinste Detail – die wahrscheinlichste Situation in der das auftreten mag.
      • Dann wird ein Plan-B als Alternative erstellt, in welchem der Patient z.B. eine Liste von Orten, Personen, deren Kontakt aufschreibt, wo er sich aufhalten könnte, wenn er der Therapie „verloren ginge“.

 

Es gibt sehr viele Möglichkeiten um das Attachment zu Erhöhen. Z.B. indem die Häufigkeit der Gespräche in den ersten Monaten flexibel und individuell auf die Fähigkeiten des Patienten angepasst werden.

      • Es können „Check – in“ – Anrufe oder Nachrichten vereinbart werden, mit denen sich der Patient beim Therapeuten immer kurz vor dem Termin meldet. Dies alles kann helfen, die Abbruchmenge deutlich zu senken. Das Spektrum der Attachments – Strategien ist riesengroß.
      • Der Therapeut kann den Patienten auch anfangs in der Nähe des Aufenthalts –/Konsumortes besuchen um die ersten Sitzungen zu starten. Was hilft, hat das Recht auch angewendet zu werden.

(2.2) Wie wirksam ist Psychotherapie bei Sucht und Antisozialität?

Eine Antisoziale-Persönlichkeitsstörung ist bei Patienten mit Borderline und begleitender Sucht nicht selten anzutreffen. Wenn sie vorhanden sind, dominieren sie oft den therapeutischen Rahmen und bedürfen einer effizienten Behandlung.

(2.2.1) Psychotherapie der Abhängigkeit

Wenn wir für diesen Bereich nach Studien in der Literatur suchen, dann finden wir die meisten in Verbindung mit Alkoholabhängigen. Im Rahmen der Kokain –, Cannabis –,Opiatabhängigkeit und der Behandlung von Verhaltenssüchten ist die Studienlage leider deutlich dünner. Die wenigen Ergebnisse erlauben aber erst einmal die Vermutung, das es nicht „die eine allgemeingültige Therapie“ zur Behandlung einer Sucht-Erkrankung gibt. Vielmehr ist es so, dass viele verschiedene Konzepte zu einer vergleichbar guten Besserung der Symptomatik führen können, und dass ohne einen bestimmten Vorteil für eine bestimmte Methode besonders herauszustellen:

Die verschiedenen Konzepte sind z.B.

      • psychodynamische Strategien
      • verhaltenstherapeutische Interventionen
      • Kontingenzmanagement, (sofortige Konsequenzen für ein Verhalten)
      • Paar – und Familientherapie
      • oder Case – Management, (Fähigkeiten und Ressourcen besser nutzen)
      • motivierende Gesprächsführung,
      • Kurzinterventionen,
      • motivationale Gesprächsführung,
      • psychosoziale Behandlung (Community Reinforcement Approach),
      • Behandlungsverträge (TFP = Übertragungsfokussierte Psychotherapie)
      • der Besuch von Selbsthilfegruppen,
      • soziales Kompetenztraining
      • und Drogenberatung

Kennzeichen / Merkmale / Prädiktoren für eine Besserung waren das Commitment des Patienten für die effektive Teilnahme an einer Behandlung sowie die regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen.

Wichtig ist meines Erachtens auch zu erwähnen, dass es neben der Psychotherapie auch noch die Unterstützung von Medikamenten gibt.

Als schützend vor einem Rückfall zeigten sich u.a. Psychopharmaka wie z.B. Acamprosat, Wohlgemerkt, nur unterstützend aber nicht Teil der Kerntherapie

(2.2.2) Psychotherapie der Antisozialität

Wir finden diese Personengruppe im ICD–10 unter F60.2 als Dissoziale Persönlichkeitsstörung (F60.2) mit der antisozialen Persönlichkeitsstörung als Untergruppe.
Die amerikanische Einteilung der psychischen Krankheiten – der DSM – führt sie konkret unter der Bezeichnung Antisoziale Persönlichkeitsstörung.

Auch wenn sich die Einordnung zwischen diesen beiden Systemen etwas unterscheidet, so haben sie doch etwas gemeinsam und zwar, dass diese Patienten – welche sich aktiv kriminell verhalten – praktisch nie freiwillig, sondern erst nach einem Beschluss von außen in eine Behandlung begeben. Warum erwähne ich dies? Nun, weil dem so ist, finden die meisten Therapien in Kliniken und nicht ambulant statt – darum bestehenden die aktuellen therapeutischen Konzepte auch hauptsächlich nur für diesen institutionellen Rahmen – ambulante Therapiekonzepte suchen wir noch vergeblich.

Bei der Vorgehensweise werden drei Prinzipien empfohlen:

  • Risikoprinzip: Eine intensive Betreuung hoch risikohafter Patienten.
  • Bedürfnisprinzip: Hier richtet man sich in der Therapie auf die kriminelle Neigung des Betroffenen aus 

  • Ansprechbarkeitsprinzip: Hier wird die Therapie handlungsorientiert auf die Bedürfnisse und Ziele des Einzelnen Patienten hin ausgerichtet.
    Ganz klar ist, das man bei dieser Personengruppe kaum nach einem „Schema F“ vorgehen kann…

Die Problemanalyse und die Planung der anschließenden Behandlung erfolgen nach dem Bedürfnisprinzip des Patienten und konzentrieren sich auf interne Themen wie

      • Grundannahmen 
      • Rollenmodelle
      • Seine Wahrnehmung
      • Seine Verhaltensstile
      • oder auf Themen die von außen kommen wie zum Beispiel soziale Ursachen.

Die Vorgehensweise sollte simpel, klar und leicht nachvollziehbar / wiederholbar sein. 
Auch hier gibt es – wie in der DBT-S – eine Rangfolge in den Prioritäten – „was muss zuerst bedacht werden?“

      • Zuerst fokussiert man sich auf ein mögliches lebensbedrohendes Verhalten – sich selbst und anderen gegenüber.
      • Danach nimmt man sich all die Verhaltensweisen unter die Lupe, die gegen geltende soziale Normen und Regeln verstoßen und damit eine Therapie immer wieder infrage stellen (zum Beispiel stehlen, betrügen Drogenkonsum) – Therapie oder Knast, was ist besser? 
      • Erst danach kommen weitere Verhaltensweisen zur Sprache welche die Therapie irgendwie noch gefährden könnten.

Das eine Therapie bei solchen Personen Wirkung zeigen kann, beweisen Studien rund um die kognitiv–behavioralen Therapieverfahren (z.B. die DBT) und auch über das Rückfall–Vermeidungs-Modell (welches direkt aus der Suchtbehandlung stammt). Den Nutzen reiner psychodynamischer Verfahren konnte man bislang nicht nachweisen.

Man könnte nun sagen dass man sich doch voll und ganz auf die DBT konzentrieren sollte… Leider ist die Wirklichkeit nicht ganz so einfach. Denn, Studien über eine Wirksamkeit bei Borderlinern mit Sucht und Antisozialer Persönlichkeitsstörung gibt es derzeit leider noch nicht. Was es bislang gibt, sind Studien bei Patienten mit Antisozialer Persönlichkeitsstörung und kombinierter Kokainabhängigkeit. Hier wird über einen Nutzen durch das Kontingentsmanagement (Verstärkung durch äußere Anreize – eine Form davon ist das Token-System) gesprochen. Diese Ergebnisse waren bis dato aber nicht ausreichend wiederholbar gewesen.

Untersuchungen mit opiatabhängigen Patienten und Antisozialer Persönlichkeitsstörung zeigten nämlich nur eine begrenzte Wirksamkeit dieser Methode. Das diese Gruppe immer zahlenmäßig stärker wird zeigen die Studien rund um Fentanyl. Fentanyl gehört wie Morphin, Codein ect. Zu den Opiaten. Fentanyl wurde unlängst als 50 x gefährlicher als Heroin eingestuft – weil stärker in der Wirkung und billig herzustellen.

Dann gibt es noch die sehr große Gruppe der Alkoholabhängigen Patienten mit dieser Persönlichkeitsstruktur. Gemäß den Studien schienen sie einen nachweisbaren Vorteil durch die kognitiv–verhaltenstherapeutische Therapie zu erlangen. 

(3) Medikamentös unterstützende Therapie

Wenn ich hier kurz das Thema über Medikamente streife dann möchte ich darauf hinweisen, dass sich unsere Forschung in einem permanenten Wandel befindet – und das ist auch gut so. Bitte suche immer Deinen Arzt / am besten einen Psychiater auf um Deine Situation mit ihm abzugleichen. Beachte auch, dass es keine Wirkung ohne Nebenwirkungen geben kann. Darum sollten Indikationen (also der Grund FÜR eine Therapie) immer mit den Kontraindikationen (den Gründen DAGEGEN) der Substanzen gegeneinander abgewogen werden. Ich werde in einem separaten Vortrag einmal näher auf dieses Thema eingehen… 

(3.1) Vorbeugende Mittel bei Alkoholabhängigkeit

Wir haben heute sogenannten Anti–Craving–Substanzen zur Verfügung, mit denen man die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen deutlich reduziert kann. Viele dieser Medikamente sind auch ohne Rezept erhältlich. Trotzdem ist auch hier meine klare Empfehlung: Die Einnahme aller Medikamente – sollte immer durch eine Psychotherapie, zumindest die Teilnahme an Selbsthilfegruppen unterstützt werden.

Acamprosat (im Handel unter Calpram bekannt), ein Partialagonist am NMDA-Rezeptor, Ist nach erfolgter Entgiftung bei Patienten mit einem Körpergewicht von über 60 kg einsetzbar. Die empfohlene Dauer einer Behandlung beträgt zwölf Monate und sollte nach einem Rückfall nicht abgebrochen werden. Da die Wirksamkeit des Medikamentes nicht garantiert ist, muss sie in regelmäßigen ärztlichen Kontakten geprüft werden.

Naltrexon ist ein Opioidrezeptor-Antagonist (Ein Gegenspieler), dessen Wirkung auf den Alkoholkonsum hin untersucht worden ist. Seine Wirkung besteht darin, die belohnenden Effekte von Alkohol zu reduzieren. Er ist seit Mai 2010 in Deutschland zugelassen – natürlich verschreibungspflichtig Da die Substanz in Deutschland aufgrund widersprüchlicher Daten über die Wirksamkeit nicht für diese Indikation zugelassen ist, kann ein Therapeut sie nur im Rahmen eines Heilversuchs verordnen.

Die Wirkung und damit der von Disulfiram einem Hemmer der Aldehyddehydrogenase, – auch bekannt als Antabus® ist wegen seiner gelegentlich auftretenden schweren Herz – Kreislauf – Interaktionen umstritten. In der Schweiz ist es seit 1949 zugelassen. In den letzten Jahren wurde diese Medikation jedoch wieder häufiger verabreicht. Wirksam ist eine toxische Disulfiram – Alkohol – Reaktion: Nach dem Konsum von Alkohol entsteht in unserem Körper das giftige Abfallprodukt Acetaldehyd. Disulfiram blockiert nun den Abbau dieses „Konsum-Giftes“ und der Trinkende leidet länger und schwerer unter seinem Kater. Er hat dann viel intensiver mit Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwitzen und Herz-Rhythmusstörungen zu kämpfen – was dann den Effekt „Finger weg vom Alkohol“ unterstützen soll.

Gerade weil es sich um eine „Vergiftungs-Verlängerung“ handelt, darf dieses Medikament nur an Patienten mit hoher Eigenverantwortung, sozialer Stabilität und guter Compliance unter engmaschiger ärtzlicher Aufsicht abgegeben werden.

(3.2) Postakutbehandlung anderer „Stoff-Süchte“

Was ist Postakut? Es ist die Behandlung, welche nach der Stabilisierungs-Medikation einsetzt.
1. Zuerst Stabilisieren
2. Danach Therapieren

      • Kokainabhängigkeit und Psychostimulanzien (z.B. Ritalin ect.): Sie sind die „Stimmungsmacher im Gehirn“ Aktuell gibt es keine wirksamen Medikamente um bei Kokainabhängigkeit oder bei einem häufigem Konsum von Psychostimulanzien wirksam zu helfen.

      • Opioidabhängigkeit (z.B. Morphin / Codein / Fentanyl):
        Sie unterdrücken die Schmerzreise im Zentralen Nervensystem. Naltrexon ist als Medikament zur Vermeidung von Rückfällen zugelassen. Es ist ein Opioid–Antagonist, also ein Mittel was den rauschartigen Effekt des Belohnungssystems erfolgreich dämpft. Gerade wegen dieser Wirkung ist die Bereitschaft zur Mitarbeit der Patienten oft nur sehr gering. 😊 In Deutschland sind Methadon und Buprenorphin als Ersatzdroge, in der Schweiz beispielsweise auch mit Heroin zugelassen. 



        Wann wird dieses Medikament eingesetzt?

        1. Wenn die Abhängigkeit länger als zwei Jahre ist
        2. Der Patient älter als 18 Jahre ist
        3. Er bereits mehrere erfolglose Entzugsversuche hinter sich hat
        4. Aktuell keine drogenfreie Therapie durchgeführt werden kann und dies als eine zeitliche Überbrückung bis zur „Abstinenz-Therapie“ dienen soll.

 

      • Cannabisabhängigkeit: Hier besteht derzeit keine Medikationsempfehlung. Um die typische „De-Motivation“ zu behandeln eignet sich in dieser Situation – neben psychosozial aktivierenden Maßnahmen – also Hilfen aus dem sozialen Umfeld – auch die Einnahme atypischer Neuroleptika. Diese wirken ja, indem sie die Dopamin- und Serotoninrezeptoren blockieren.
      • Tabakabhängigkeit
        Zur Raucherentwöhnung und Rückfallprophylaxe sind Nortriptylin und Bupropion (eigentlich beide Antidepressiva) zugelassen. Im Zusammenhang mit der Verwendung von Bupropion sind aber immer wieder unerwünschte Nebenwirkungen aufgetreten wie z.B. Krampfanfälle bis hin zu Todesfällen, die aber nicht zu 100% auf die Medikation zurückgeführt werden konnten.


Weitere geprüfte Substanzen sind:

      • Mecamylamin, (ursprünglich ein Blutdrucksenker – der aber die belohnende Wirkung von Nikotin blockiert)
      • Lobelin – auch Indianertabak oder Brechkraut genannt
      • Clonidin, – ein Mittel gegen Bluthochdruck das aber auch die Entzugserscheinungen dämpft
      • Silberacetat – In Verbindung mit Zigaretten und Tabakrauch erzeugt es einen metallischen Geschmack. Ist aber bei höherer Dosis giftig.
      • Buprenorphin – ein betäubungsmittelpflichtiges Opiadanalgetikum. Wegen seines geringen Suchtpotentials dient es häufig als Substitutions- / Ersatzdroge in der Therapie
      • Naloxon Ein Opioid-Antagonist. Dieses Notfallmedikament wird seit den 1960er Jahren auch bei Überdosierungen von Opioiden wie Heroin, Methadon oder Fentanyl eingesetzt.
      • und zuletzt noch das Naltrexon welches ich zuvor schon beschrieben habe

Die Studien über die Wirkungen / Nebenwirkungen dieser Medikamente sind aktuell noch nicht ausreichend um eine Zulassung auch für dieses Einsatzgebiet zu erteilen. 

(4) Mein Resümee

Die Behandlung von eines süchtigen Borderliners ist sehr komplex und die Zahl der betroffenen Patienten außerordentlich hoch. Das Dilemma ist, dass es aktuell kaum psychotherapeutische Verfahren gibt, die für den Einsatz genau dieser Patienten entworfen und in ihrer Wirksamkeit geprüft worden sind.

Zwei Therapien bilden hier eine Ausnahme:

  1. Die „Dual Focus Schematherapie“ (die DFST) und die Dialektisch – Behaviorale Therapie für Patienten mit Borderline – Persönlichkeitsstörung und komorbider Substanzabhängigkeit (DBT-S). Beide Therapie-Konzepte sind chancenreich und eignen sich für den Einsatz sowohl im ambulanten als auch im stationären therapeutischen Umfeld. Für die DBT-S existiert aktuell schon ein standardisiertes Ausbildung – Curriculum / ein Studienprogramm und auch ein methodisches, stationäres Behandlungskonzept.
    Wenn wir es schaffen sollten, diese Konzepte flächendeckend einzusetzen, hätten wir die Chance in der Zukunft eine gravierende Lücke im Versorgungssystem für diese schwer kranke Gruppe Betroffener zu schließen.
    Leider sind die Möglichkeiten für eine medikamentöse Rückfallprophylaxe oder Substitution bei Suchterkrankungen nur sehr begrenzt.

Trotz dieser Begrenzung möchte ich den Einsatz dieser Medikamente nicht kategorisch ausschließen. Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können sie sehr wohl unter Aufsicht begleitend zu einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt werden.

Borderline und die komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Der laute und der stille Borderliner

Schriftzug Marcsu Jähn

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Personen mit einer Borderline Diagnose erzählen oft und häufig von körperlichen, psychischen Gewalt und / oder sexuellen Traumatisierungen in ihrer Vergangenheit. 

Anfänglich in der medizinischen Geschichte wurde solchen Aussagen von den Ärzten kaum Beachtung geschenkt. Ganz im Gegenteil: Es wurde sogar aktiv angezweifelt, dass eine traumatische Vergangenheit überhaupt einen Einfluss auf die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung haben könnte.  Inzwischen wird aber immer deutlicher, dass die gewaltige Zahl an kindlichen Traumatisierungen bei über 50 % bis 80 % der Borderliner in einer Anamnese nicht mehr übersehen werden kann und darf. Hinzu kommt, dass überdurchschnittlich viele Borderline – Patienten von sexuellem Missbrauch in ihrer Kindheit berichten! Das alles lässt zumindest für Borderline einen Trauma-Ursprung klar vermuten.

Als das dann im Laufe der Zeit immer klarer, wurde fiel man teilweise sogar in das andere Extrem: 
Dann auf einmal wurde darüber diskutiert, den Begriff Borderline generell durch den der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (KPTBS) zu ersetzen – weil Trauma in der Anamnese praktisch immer vorkam. Dies geschah jedoch nur eine kurze Zeit! Heute wissen wir, dass die Traumatisierungen in der Entwicklung von Borderline zwar wichtig aber grundsätzlich nicht zwingend sind.

All diese unterschiedlichen Ergebnisse zeigen uns aber immer klarer, das wir stärker nach dem Zusammenhang zwischen einer Traumatisierung und Borderline (hier ganz besonders in der Kindheit und Jugend) forschen müssen. 

(1) Die Folgen von Traumatisierungen in der Kindheit

Immer wieder beobachten wir, dass die gleiche Situation für den Einen traumatisierend sein kann … für den anderen ist sie jedoch nur eine harmlose Episode … und zwar so harmlos das in dieser Situation für ihn bereits einfache Bewältigungsstrategien genügen. Das macht die Beschreibung eines Traumas jetzt nicht gerade einfacher, sondern eher deutlich komplexer.

Darum ist es sinnvoll,

      • sich zuerst einmal auf tatsächliche / objektive Kriterien eines Traumas zu konzentrieren, diese dann zu beschreiben,
      • um sie dann von den subjektiven Rahmenbedingungen unterscheiden zu können.

Und genau das ist jetzt einfacher gesagt als es in der Wirklichkeit so ist – denn es gibt nämlich nicht so viele konkrete / objektive Kriterien für ein Trauma! Eines der wenigen objektiven Kennzeichen wird im DSM und dem ICD als eine „Bedrohung der körperlichen Integrität“ beschrieben. Aber leider ist das für die Praxisarbeit noch nicht ausreichend genug um die gesamte Diskussion darüber, ob Borderline nun eine komplexe Traumafolgestörungen ist oder nicht, ausreichend zu beschreiben. Und beschreiben müssen wir es ja, denn ohne eine klare Definition kann ein Trauma nicht verstanden und therapiert werden! Grundsätzlich können wir mal folgende  Aussage in den Raum stellen: 
Nicht jede Borderline – Persönlichkeitsstörung ist eine Traumafolgestörung! Erst recht nicht, wenn wir einzig und allein die Definition des DSM und der ICD für ein Trauma nehmen.

Welche Traumatisierungen fehlen dann noch? Es fehlt die große Gruppe der Entwicklungstraumatisierungen in Form von wiederholter psychischer, körperlicher und leider auch sexueller Gewalt, die an den wehrlosen Kindern verübt werden. Diese Entwicklungstraumatisierungen sind in den Trauma-Kriterien nach dem DSM und dem ICD explizit NICHT enthalten, und dass, obwohl genau diese Patienten den wohl größten Teil derjenigen in den Praxen ausmachen die verzweifelt nach einem Termin und nach professioneller Hilfe suchen. Das alles ist von wirklich großer Wichtigkeit, wenn wir über Trauma-Heilung bei einer Persönlichkeitsstörung sprechen.

Auch sollte man sich fragen,

      • ob z.B. sexuelle Gewalt gegen ein Kind, nicht auch ebenso stark eine Bedrohung der körperlichen und psychischen Integrität darstellt
      • und warum dann diese Bedrohung nicht genauso klar und deutlich zu den objektiven Kriterien einer Traumatisierung gehört.

Nimmt man das alles nun ernst, dann muss man logischerweise auch die Definition von Trauma im Kindesalter um all die gemachten Erfahrungen von psychischer Gewalt und Vernachlässigung ausdehnen.

Diese Denke ist nicht neu… Sie hat sogar eine eigene Geschichte in der Psychoanalyse. Wir kennen sie z.B. von der Londoner Schule rund um den Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby. Hier wurde bereits in den 1950er Jahren bei den sich wiederholenden / repetitiven Bindungsschädigungen bereits von „sich immer weiter steigernden / kumulativen Trauma“ gesprochen.

Dies ist jedoch keine Einzelaussage eines engagierten Forschers. Dies wird durch viele weitere neurobiologische Studien bestätigt, die alle eines zeigen: welch große Schäden „Attachments Trauma“ oder „relational Trauma“ in dem verletzbaren kindlichen Gehirn hinterlassen. 

Solche frühen Schädigungen vernarben dann und sind bis ins hohe Erwachsenenalter nachweisbar. 

Was machen wir jetzt mit diesem Wissen?

 1.1 Eigentlich müsste nun doch alles klar sein, und der Begriff Trauma kann neu definiert werden ….

Aber viele Ärzte und auch Forscher lehnen eine solche Begriffserweiterung des Traumas kategorisch ab. Warum? Weil ich dann zu praktisch allem / beinahe inflationär sagen kann: „Er / Sie / Ich wurde traumatisiert….“ „Traumatisiert sein“ wird dann zu einem ganz alltäglichen Begriff wie z.B.

      • „Dies ist besonders schwer erträglich,
      • Es ist einfach nicht zu verarbeiten,
      • Es ist bis heute noch sehr belastend“.

Und ja, der Trauma–Begriff, der auch die Bindung – und Beziehungsschädigung in der Kindheit und Jugend einbezieht, ist tatsächlich nicht eindeutig begrenzbar. Wir befinden uns in einem echten Dilemma! ….  Was wir brauchen ist eine Begriffserweiterung – aber genau das stellt gleichzeitig eine Büchse der Pandora dar: eine Inflation des Trauma-Begriffes. 

Vielleicht könnte man dieses Dilemma lösen, indem man neurobiologische Forschungen mit in die Diagnose hineinnimmt.

Durch solche Befunde könnte man z.B. deutlich klarer abgrenzen,

      • welche Traumatisierung anschließend
      • welche nachweisbaren Schädigungen verursacht.

Das wäre mal ein erster Schritt. Anschließend könnte man dann mit diesen Erkenntnissen neue Konzepte, Begriffe und Metaphern für ein Trauma entwickeln. 

1.2 Die Abwesenheit der Eltern

Was sagt denn die Zahlenlage? Auf der Suche nach konkreten und auch belastbaren Zahlen von schwerer Vernachlässigung im Kindesalter sieht man sich in Deutschland allein auf weiter Flur… Genaue Zahlen habe ich hierzu nicht gefunden. 
Anders in den Vereinigten Staaten! Studien zeigen, dass hier bis zu 5 % aller Kinder von „Neglect“ (Vernachlässigung) betroffen sind und sie zeigen auch dass dies die häufigste Form von Kindesmisshandlung überhaupt ist.

Eine spezielle und nicht zu übersehende Form von Vernachlässigung ist

      • die „andauernde Nicht–Verfügbarkeit /
      • beziehungsweise die dauerhafte emotionale Abwesenheit“
        der wichtigsten Bezugspersonen.

Z.B., wenn die Eltern Alkohol– oder Drogenabhängig sind oder die wichtigste Bezugsperson selber an einer schweren psychischen Erkrankung (z.B. einer Psychose) leidet und dem Kind dann logischerweise nicht ausreichend Aufmerksamkeit und/oder Zuwendung schenken kann.

Und hier brauchen wir nicht herum diskutieren: Es ist bis nämlich wirklich gut belegt, dass eine dauerhafte Vernachlässigung in dieser empfindsamen / verletzbaren Entwicklungsphase der Kinder zu sehr schweren Folgeschäden führen kann.

Verhaltensexperimente mit gesunden (!) Kleinkindern zeigen, dass die Abwesenheit der nächsten Bezugsperson in einer fremden Umgebung mit starker Angst beantwortet. Wenn dies bei gesunden / nicht auffälligen Kleinkindern passiert, dann passiert dies deutlich häufiger bei denen die bereits auffällig sind! Diese Reaktion der Kinder basiert auf der natürlichen Tatsache, dass sie in freier Natur ohne ihre Mutter in akuter Lebensgefahr schweben (Hier sprechen wir von der Vernichtungsangst der Säuglingen).

Die Verlassenheitsangst eines kleines Kindes ist also eine Realangst die wir niemals übersehen dürfen! Entsprechend verletzbar sind diese Erlebnisse für das Kind, wenn sie immer wieder und auch über einen längeren Zeitraum passieren. Eine immer wieder verunsichernde oder auch fehlende Beziehung durch selber schwer belastete Eltern oder durch ständig wechselnde Bezugspersonen sind für das Kind nun mal extrem belastend. All das verhindert, dass das Kind ausreichend stabilisierende Erfahrungen von liebevoller Spiegelung durch das Gegenüber machen kann.

Diese fehlende Sicherheit versetzt es dann in einen andauernden Spannungszustand und es reagiert darauf mit unorganisierten Affekten und einem von außen nicht mehr nachzuvollziehenden Bindungsverhalten (typisch Borderline halt F60.30 und F60.31)

Ähnlich hohe Zahlen wie für die Vernachlässigung finden wir bei körperlicher Gewalt wie es z.B. durch anschreien, beschimpfen, demütigen und entwerten erfolgt. Den armen Kindern und Jugendlichen wird durch Herabsetzungen, lächerlich machen, einschüchtern oder ignorieren vermittelt,
– Du bist völlig wertlos, ungewollt und damit „zu Recht“ ungeliebt.

In der Dialektisch – Behavioralen Therapie (DBT) nennt man dies eine permanente „Invalidierung“ des Kindes: Und ja, oft sind diese Menschen später tatsächlich psychisch „Invalide / Krank / bis hin zur Erwerbsunfähigkeit“.

Durch diese psychische Gewalt entwickelt sich eine massive Störung der emotionalen Bindung an die Bezugspersonen – und als Resultat erfolgt dann:

      • ängstliches Verhalten, Misstrauen, Rückzug oder Aufsässigkeit, also Schwierigkeiten in Beziehungen generell.
      • Und eine dauerhafte starke Verunsicherung in Bezug auf den Selbstwerts und die Fähigkeit sich abzugrenzen.

Jetzt wird das Kind älter – wächst heran zum Erwachsenen. Kann man hoffen, dass sich diese „Störung“ irgendwie im Alter herauswächst? Nein! Diese Hoffnung ist so gering, dass wir sie praktisch vernachlässigen können. Die Betroffenen bleiben dauerhaft vorgeschädigt und als Erwachsener extrem verletzbar / wir nennen das Vulnerabel. Vulnerabel und anfällig für all die Dysregulationen welche wir beim Borderliner sehen.

Was ist die Hauptquelle für diese schwere emotionalen Belastungen? 
Häufig entstehen sie konkret durch Probleme in den engen / dyadischen zwischenmenschlichen Beziehungen zum Beispiel bei Konflikten und Trennungen vom Partner oder am Arbeitsplatz. Und Häufig zeigen sich bereits in der Adoleszenz / der Pubertät sehr deutliche Zeichen einer Persönlichkeitsstörung. 


Seien wir uns aber immer darüber im Klaren: Diese Störungsbilder sind immer nur die Bewältigungsversuche oder Reaktionen auf die durch das Trauma entstandene Problematik. Sie sind nicht willentlich einstudiert, sondern sie sind der Versuch des Überlebens in einer traumatisierenden Umgebung

 

Teil (2) Trauma oder Borderline – Ist das für eine Diagnose wichtig?

Liegt bei einem Borderliner zusätzlich noch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) vor, dann kann man recht sicher auch von einer Trauma-Ursache für das Störungsbild „Borderline“ ausgehen! Das hört sich zwar logisch und zwangsläufig an, muss aber aktuell immer noch ausdrücklich erwähnt werden – damit es in den Köpfen der Therapeuten auch fest verankert ist!

Typische bei den Betroffenen ist hier das immer wieder Durchleben der traumatischen Situation zum Beispiel in Form von Intrusionen (also den nicht gewollten Erinnerungen) oder Albträumen. Und tatsächlich haben wir eine riesige Überschneidung zwischen der Diagnose Borderline und PTBS: Wir haben hier Komorbiditätsraten (Begleiterkrankung) von über 60 %.

Weitere Überschneidungen sind z.B.

      • Angststörung
      • depressive Störung
      • und Dissoziative Störungen.

Teil 2.1 Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS)

Gleich vorneweg: Wir sollten stets eine Unterscheidung machen zwischen Borderline mit einer PTBS und denen ohne begleitende PTBS.

Das ist in zweifacher Hinsicht wichtig:

      1. aus neurobiologischer Sicht
      2. aber auch aus der Praxis heraus!

Warum ist dies so wichtig? Nun, Patienten mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung die auch noch an einer komorbiden PTBS leiden, sind deutlich komplexer in der Behandlung als diejenigen ohne diese Zusatzbelastung! Was wir brauchen ist ein praxisbezogener Vorschlag, um eine Differenzialindikation zu stellen / um später dann zu unterscheiden, welche (!) traumatherapeutische Therapie bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen angeboten werden kann. Bislang sprechen wir ja von Traumatherapie als eine Einheit…

Wir brauchen also so etwas wie eine eigene Diagnose-Kategorie / Diagnose-Abstufung für die vielen typischen aber auch sehr unterschiedlichen Symptomen die wir nach den kindlichen Traumatisierungen so alle sehen.

Eine Pionierin auf diesem Gebiet veröffentlichte im Jahre 1976 veröffentlichte ein wirklich wegweisendes Buch für die Behandlung schwerer Traumen mit dem deutschen Titel: „die Narben der Gewalt“. Es handelt sich hierbei um die amerikanische Traumaforscherin Judith Hermann. 
Sie entwickelte eine heute immer noch aktuelle Einteilung der Folgen von Traumatisierungen durch sexuellen Missbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung in der Kindheit. Sie war praktisch die erste die z.B. die Bezeichnung „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ vorschlug um das Problem einmal aus dem diffusen Nebel heraus zu holen und klarer einzugrenzen.

Dieses Bild der K-PTBS zeigt sich – nach ihren Beobachtungen – in folgenden Merkmalen:

      • Störungen der Affektregulation
      • Dissoziative Symptome
      • Eine gestörte Selbstwahrnehmung
      • Störungen der Sexualität und Beziehungsgestaltung
      • Somatoforme Körperbeschwerden
      • Veränderungen von Glaubens–und Wertvorstellungen

Dieses Konzept der K-PTBS wurde dann später rund um Judith Hermann und Bessel van der Kolk ausgearbeitet. Nach sehr ausgedehnten Praxis-Studien wurde anschließend die Empfehlung ausgesprochen, die K-PTBS unter dem Akronym DESNOS (Disorders of Extreme Strees not Otherwise Specified) als diagnostische Kategorie in das DSM aufzunehmen – der Ritterschlag für diese Studien. 
Der DSM ist nämlich das „Diagnostic an Statistical Manual of Mental Disorders“ Das Klassifikationssystem / die Bibel / der Heilige Gral der Psychiatrie. Es wird seit 1952 von der APA herausgegeben. 
Der Begriff DESNOS wird im amerikanischen Sprachraum gleichgesetzt mit dem Begriff K-PTBS.

Wenn ein Patient nun mit einer K-PTBS diagnostiziert wird, dann hat dies auch eine direkte Auswirkung für die weitere Behandlung: Durch diese gezielte Diagnose können anschließend auch gezielte stabilisierende und ganz besonders auch Ressourcen-fördernde Maßnahmen eingesetzt werden. All das hatte man vorher nicht so klar „auf dem Schirm“.

Wie kann man z.B. eine K-PTBS ermitteln?

Nun, ebenso wie jede Therapie nach einer klaren Struktur durchgeführt wird, so muss zuerst auch die Diagnose strukturiert durchgeführt werden – ansonsten wäre ja bereits das Fundament brüchig. In diesem Falle bedient man sich des I-KPTPS. Dies ist ein strukturierter Interview-Katalog in welchem durch klare Fragen dann die Antworten des Gegenübers ausgewertet werden. Solch eine umfangreiche Diagnose – er beinhaltet über 40 Fragen mit weiteren Zusatzthemen – zeigt auf, das die Probleme durch die K-PTBS extrem unterschiedlich bei den Betroffenen ausfallen können.

Und genau diese Vielfalt an Beschwerden begreift ein Außenstehender oft erst nachdem man diese sichtbaren Symptome – welche die Außenwelt fälschlicherweise als Störung bezeichnet – nun richtigerweise als Anpassungsstrategie und Bewältigungsmuster von Regulationsdefiziten, Ängsten und traumatischen Erfahrungen erkennt.

Aus der Betroffenen-Sicht wirkt die Umwelt – gerade wegen der erlebten Traumen – nämlich total unsicher. Für ihn lauern überall die tödlichen Gefahren.

Hierzu ein Beispiel aus der Somatik: 
Ein Tumorpatient – der bereits stark in seinen Ängsten beansprucht wurde – reagiert auf kleine und vielleicht harmlose Schmerzen oft mit der Angst vor einem Rezidiv. Diese Angst ist für ihn dann natürlich mehr als überwältigend, weil er das Gefühl hat, das alles überhaupt nicht mehr alleine bewältigen zu können. Wegen dieser negativen Erfahrungen ist es dann auch klar, dass sich dadurch immer stärker Misstrauen, Ängste, Kontakt – und Beziehungsschwierigkeiten bei den Betroffenen entwickeln. Das kann sich dann so sehr steigern und praktisch Lebensbereiche umfassen, dass sie als schwere psychische Erkrankung / oft sogar als Persönlichkeitsstörung von Außenstehenden wahrgenommen werden. 

Teil (2.2) Überschneidungen bei Borderline –und der K-PTBS.

Zwischen Borderline und der K-PTBS gibt es sehr viele Überschneidungen – was eine Unterscheidung etwas komplexer aber nicht unmöglich macht. Bei einer Meta-Studie wurden diese Diagnoseüberschneidungen einmal gezielter untersucht, mit dem Ziel diese irgendwie voneinander abzugrenzen – falls das überhaupt möglich ist. 
Das Ergebnis:
80 % der diagnostizierten Borderliner erfüllten gleichzeitig die Diagnose-Kriterien für Borderline UND einer komplexen PTBS. Fast alle (96 %) der Borderline–Patienten berichteten über traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit, wie z.B. Vernachlässigung, körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Diese Daten wurden erhoben mit dem TAQ (Traumatic Antecedents Questionnaire – Dem Fragebogen zu traumatischen Vorgeschichten).

Diejenigen, welche die Kriterien einer K-PTBS erfüllten, berichteten deutlich häufiger von sexuelle Traumatisierungen (23 % versus 48 %) und körperliche Gewalt Erfahrungen (50 % versus 70 %),

Was sagt uns das? Es zeigt uns, dass die Diagnose einer K-PTBS deutlich häufiger

      • mit Traumatisierungen in der Kindheit nach der Beschreibung eines Traumas durch den DSM und ICD in Verbindung steht
      • als z.B. bei einer Borderline Diagnose.

Und was ist jetzt richtig? 

Die Diagnosen Borderline und K-PTBS überschneiden sich so häufig, dass es praktisch unmöglich ist, sie durch reine Statistiken voneinander zu unterscheiden. 
In einer Diskrimininanz-Analyse konnte man zumindest die beiden Variablen

      • „intensive Gefühle von Ärger“
      • und „und stabile Beziehungen“
        mit 95 % als deutliche Zeichen einer Borderline – Persönlichkeitsstörung erkennen. Und solch eine Aussage passt auch gut zu dem was in der klinischen Praxis zu beobachten ist: 

        dass ein Borderliner viel häufiger im zwischenmenschlichen Bereich seine Affekte auslebt und dadurch mit Problemen in Kontakt kommt.

Teil (3) K-PTBS und Borderline: Eine Störung aber zwei Gesichter

Wenn es so viele Überschneidungen gibt, dann liegt der Verdacht nahe, dass beide Diagnosen eine gemeinsame, durch Trauma ausgelöste Ursache haben.

Genau diesen Vorschlag machten verschiedene Forscher, die sowohl bei sexuell traumatisierten Frauen als auch bei Kriegsveteranen – zwei ganz unterschiedliche Typen einer PTBS vorfanden:

      1. die externalisierende und
      2. die internalisierende PTBS.

Mal wieder zwei Fachbegriffe:

      • Externalisierend
      • Internalisierend…

Internalisierendes Verhalten bedeutet:

      • Fast nur auf das eigene Selbst gerichtetes Handeln
      • unsicheres, depressives, ängstliches, reizbares Verhalten und auch ein sozialer Rückzug
      • Das Risiko für die Entwicklung von Angststörungen und Depression, Einsamkeit, und Selbstwertproblemen
      • Diese Menschen fallen wenig er auf und werden deshalb auch häufiger übersehen
      • Internalisierende Symptome entsprechen depressiven Reaktionen, Selbstverletzungen, Dissoziative Symptome und auch ängstlichem Vermeidungsverhalten oft von sozialem Rückzug begleitet.

Externalisierendes Verhalten

      • Hypermotorik, Unruhe, „sensation seeking“, verbale/körperliche Aggression, emotionale Ausbrüche, Probleme mit der Impulskontrolle („sie explodieren leicht“)
      • Hohes Risiko für die Entwicklung von ADHS, Verhaltensstörungen und Dissozialität
      • In ihrem Verhalten fast nur nach außen gerichtet, Sie fallen schnell auf, finden schnell die Aufmerksamkeit von Eltern, Lehrern und auch bei Erwachsenen in der näheren Umgebung
      • Externalisierende Symptome sind durch Impulsivität, Substanzmissbrauch und Charakterzüge einer Cluster – B – Persönlichkeitsstörung gekennzeichnet.

Borderline würde man darum eher als externalisierende Variante einer komplexen Traumafolgestörung verstehen. 
Andererseits entspricht die von Judith Hermann vorgeschlagene Diagnose einer K-PTBS der Internalisierenden Variante einer Traumafolgestörung.

Darum ist es nur absolut konsequent, die Diagnose einer Entwicklungstraumafolgestörung (Develop Mental Trauma disorder), egal ob externalisierend oder internalisierend, in das Kinder–Jugend–Kapitel des DSM mit einzubinden. Dieses Unterscheiden einer K-PTBS in eine externalisierende und in eine internalisierende Variante ist auch genau das, was in der klinischen Praxis beobachtet wird. In der Praxis sieht man nämlich immer wieder diese Mischformen zwischen den beiden Extremen einer internalisierenden und einer externalisierenden Variante – die sich beim selben Patienten sogar immer wieder abwechseln kann – typischerweise wenn auch starke dissoziative Symptome vorhanden sind.

Andere Forscher unterscheiden noch zwischen einer Auto– und einer fremdaggressiven Ausprägung – aber das führt nun doch zu weit in dieser Abhandlung 

Teil (4) Welche Konsequenzen hat das alles für die Behandlung von traumatisierten Borderline-Patienten?

Am besten eignet sich eine spezielle, auf das Trauma und seine (!) Symptome ausgerichtete Psychotherapie. Dies trifft ganz besonders auf die Therapie von Borderlinern mit frühkindlicher Traumatisierung zu, die entweder an einer K-PTBS oder an einer komorbiden PTBS leiden.

Die Traumatherapie von Borderlinern muss sich künftig einer ganz konkreten Problematik stellen: Und zwar dass bei diesen armen Menschen, beide zentralen Stressbewältigungssysteme schwer geschädigt sind:

      • das Bindungs–Panik–System und
      • dass Furcht–Kognitions–System.

Solche Störungen der Bindungsfähigkeit stören in der Therapie auch den so wichtigen Aufbau einer stabilen, vertrauensvollen, belastbare Arbeitsbeziehung. Störungen durch ein Trauma belasten außerdem die kognitiven, verstandesbezogenen Verarbeitungsmöglichkeiten.

      • Im Hochstress / unter Maximalbelastung kann man einfach nicht vernünftig denken.

Das ganz große Dilemma all dieser Probleme folgt auf dem Fuß: Rein biologisch findet – während wir uns im „Trauma-Modus“ befinden – eine emotionale Konditionierung in der Amygdala statt…

      • Sinnesreize welche üblicherweise über den Thalamus laufen,
      • die emotionale Bewertung über das limbische System (insbesondere von der Amygdala)
      • und die Zusatz- Informationen (über den Hippocampus)
        werden synaptisch in unserem Gehirn buchstäblich dauerhaft pathologisch zementiert und verschweißt.

Das führt dann zu weiteren hochproblematischen Therapieproblemen… Einerseits ist es rein biologisch z.B. nicht möglich,

      1. regressive Zustände therapeutisch überhaupt zu behandeln, ohne die durch die Regression verursachten Symptome einer PTBS abschwächen zu müssen.
      2. Andererseits ist es aber auch unmöglich, die in der Kindheit und Jugend entstandenen Symptome einer PTBS ins geschädigte Wachbewusstsein zu integrieren, ohne die aufkommende Altersregression / der Rückfall in weit zurückliegende Situationen vernünftig zu behandeln.

Jedes Problem einzeln für sich betrachtet ist schon belastend genug. Diese Doppelbelastung ist jedoch wie ein Gordischer Knoten. Zum Glück hat man sich mit diesem Thema in den vergangenen Jahren besonders intensiv auseinander gesetzt und es sind viele Fortschritte seitdem erzielt worden. Wurden noch vor 15 – 20 Jahren die Therapie von Realtraumata bei Borderline–Patienten nur an sehr wenigen Kliniken durchgeführt, so wächst die Kompetenz sowohl von Kliniken als auch niedergelassenen Therapeuten in diesem Thema immer mehr an. 

Zusammenfassung

Traumatisierungen in der Kindheit mit extremer Vernachlässigung und psychischer Gewalt, sind hochgradig verantwortlich für die Entstehung von Borderline.

Patienten mit einer Borderline–Persönlichkeitsstörung und zusätzlich einer begleitenden Traumafolgestörung profitieren immer mehr von den neuen psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen, die nun ganz gezielt an den Symptomen der Traumatisierung ansetzen – und nicht mehr nur die Affekte der Störung verringern wollen.

Dies hilft besonders effektiv wenn zusätzlich noch dissoziative Symptome in dem Störungsbild auftreten.

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